: "Es gibt Syrer, die nicht arbeiten wollen"
von Pierre Winkler
17.02.2023 | 03:21 UhrZu den Plänen der Ampelkoalition, das Einwanderungsrecht zu modernisieren, zum EU-Pilotprojekt für stärkere Außengrenzen, zur humanitären Lage im türkisch-syrischen Erdbebengebiet
16.02.2023 | 75:04 minDer Migrationsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen hat gezeigt: An vielen Orten in Deutschland läuft längst ein Notprogramm, wenn es um die Unterbringung von Zuwanderern geht. Es könne "zu dem Punkt kommen, wo das Band überdehnt wird und die Hilfsbereitschaft einfach bricht", sagte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der seine Grünen-Mitgliedschaft derzeit ruhen lässt, am Donnerstagabend bei Markus Lanz.
Er müsse in seiner Stadt bereits zu drastischen Maßnahmen greifen und habe persönlich verfügt, "dass alle, die darauf warten, dass sie ein Aufenthaltsrecht kriegen, für das nächste Jahr das Aufenthaltsrecht haben. Weil ich habe keine Leute mehr, um das zu prüfen." Das gelte für den Moment in Tübingen, "bis der nächste Richter kommt".
Viele Kommunen und Städte können kaum noch Flüchtlinge aufnehmen, es fehlt an finanziellen Mitteln. Nancy Faeser lädt daher heute zum Flüchtlingsgipfel. Die Erwartungen sind hoch.
16.02.2023 | 04:48 minIntegration in den Arbeitsmarkt
Laut Palmer ist die Bearbeitung von Asyl- und Aufenthaltsanträgen nur eines von mehreren Gebieten, bei denen zahlreiche Kommunen gerade an ihre Grenzen kämen. Damit hänge auch die Frage zusammen, welche Zuwanderer wie schnell in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden könnten.
Ich habe Riesenprobleme in meiner Stadt mit Leuten, die sagen: 'Ich will morgen arbeiten, ich kriege aber keine Arbeitserlaubnis, weil ich keine Aufenthaltserlaubnis kriege.' Und im Ausländeramt ist niemand mehr da, der die Akten angucken könnte.
Palmer: "nicht zu viele Illusionen machen"
Unabhängig von überforderten Ämtern seien aber auch einige der Menschen das Problem, die nach Deutschland kämen:
Da darf man sich auch nicht zu viele Illusionen machen. Nicht jeder kommt als protestantischer Workaholic auf die Welt.
Er habe speziell den seit 2015 nach Deutschland Geflüchteten in Tübingen Jobs als Reinigungskräfte bei der Stadtverwaltung angeboten. "Viele Menschen, die aus der Türkei gekommen sind, machen diese Tätigkeiten seit zehn, 20, 30 Jahren zuverlässig", sagte er. In diesem Fall sei das nicht so gewesen: "Nach zwei Monaten war kein einziger Syrer mehr da und hat diese Arbeit weiter angenommen."
Bilanz für Tübingen
Der Politiker legte nach: "In dem Moment, wo man das so offen ausspricht wie ich, wird man ja schon komisch angeguckt: 'Darf man das sagen, es gibt Syrer, die nicht arbeiten wollen? Muss ja doch ein AfDler sein, der sowas sagt.' Nein, das ist einfach die Wirklichkeit, die gibt es."
Palmer zog Bilanz für Tübingen, was Zuwanderer seit 2015 betrifft:
25 Prozent sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, also die Erwerbsfähigen, da sind nicht die Kinder dabei.
Weitere 25 Prozent seien in Fortbildungs- oder Integrationskursen, "und 50 Prozent sind schlicht nicht tätig, in keiner Weise".
Stegner lobt gelungene Integration
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sah diese Zahlen positiv: "Es ist aber doch ein Fortschritt, wenn wir schon 25 Prozent sozialversicherungspflichtige Beschäftigte bei Leuten haben, die gekommen sind als Flüchtlinge, kein Wort Deutsch gesprochen haben, integriert werden müssen." Es müssten noch mehr werden, "aber das ist doch großartig gegenüber dem, was da war".
Palmer widersprach:
Ich bin damit sehr unzufrieden. Ich finde, sechs Jahre, nachdem er hier ist, immer noch keiner Tätigkeit nachzugehen als erwerbsfähige Person, keine gute Integrationsleistung unserer Gesellschaft.
Hürden für Arbeitserlaubnis
Stegner kündigte an, dass die Ampel-Koalition die Hürden für Arbeitserlaubnisse senken werde. "Die Unternehmer haben sich bei uns beklagt, die der Union deutlich näherstehen, dass die Union das immer verhindert hat", sagte er.
Arbeit als Bedingung für ein Aufenthaltsrecht lehnte Stegner ab und bezeichnete dieses System als "Zwangsarbeit".
Die Unterstellung, die Leute wollen nicht arbeiten, ist doch falsch. Die meisten brauchen eine ordentliche Perspektive, dann arbeiten sie auch.
Die Politik dürfe Arbeit nicht vorschreiben, sondern müsse sie ermöglichen.
Anmerkung der Redaktion: Boris Palmer lässt seine Grünen-Mitgliedschaft bis zum Jahresende 2023 ruhen, damit war im Mai 2021 ein Parteiausschlussverfahren des Tübinger OBs vom Tisch. Wir haben den Beitrag entsprechend präzisiert.