: Die digitale Spur der geheimen Papiere

von Jan Schneider
11.04.2023 | 15:01 Uhr
Wie konnten haufenweise streng geheime Dokumente der US-Geheimdienste einfach so im Internet landen? Eine Spurensuche in Chatgruppen und Computerspielforen.
Rauch steigt aus brennenden Gebäuden in einer Luftaufnahme von Bachmut auf (Archivbild).Quelle: dpa/AP/Libkos
Es ist eine Blamage für den bestausgestatteten Geheimdienst der Welt: Streng geheime Dokumente zum Krieg in der Ukraine, aber auch zu anderen Themen sind im Internet geteilt worden und haben sich rasch über mehrere Plattformen verteilt. Und es ist noch nicht klar, ob das schon alles war: Die US-Regierung sei besorgt, dass noch weitere Dokumente auftauchen könnten, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby.
Wir wissen nicht, wer dafür verantwortlich ist. Und wir wissen nicht, ob sie noch mehr haben, das sie veröffentlichen wollen.
John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates
Pentagon-Sprecher Chris Meagher gab zu, dass noch nicht geklärt ist, wie die Dokumente an die Öffentlichkeit gekommen sind.

Wo wurden die geheimen Dokumente entdeckt?

Weltweit wird über das Daten-Leak bei den US-Geheimdiensten seit vergangener Woche gesprochen, nachdem die "New York Times" über eine erste Sammlung Dokumente rund um den Krieg in der Ukraine berichtet hatte. Im Netz sind die Dokumente jedoch schon seit Monaten, wie das Recherchenetzwerk Bellingcat nachweisen konnte. ZDFheute hat einige der Ergebnisse nachvollzogen und Dokumente vorliegen. Andere - bereits gelöschte Inhalte - konnten nicht mehr verifiziert werden.
Am 4. März wurden zehn Dokumente in einem Forum für Videospielfans hochgeladen. Zwei Nutzer hatten sich über den Krieg in der Ukraine unterhalten. Um den Gesprächspartner von seiner Position zu überzeugen, antwortete der Nutzer mit:
Hier, nimm ein paar durchgesickerte Dokumente.
Nutzer des Discord-Servers "Minecraft Earth Map"
Die Dokumente zeigen unter anderem Karten der Kampfgebiete in der Ukraine wie Bachmut und Charkiw sowie Schätzungen, wie viele Soldaten auf russischer und ukrainischer Seite bereits getötet wurden im Verlauf des Krieges. Einige der Dokumente waren mit dem Hinweis "top secret" ("streng geheim") markiert.
Eric Toler von Bellingcat auf Twitter

Erste Dokumente schon im Januar im Netz gefunden

Einige Tage vorher wurden die Dokumente bereits in anderen Foren - etwa dem Kanal des philippinischen Influencers "Wow Mao" - geteilt. Die Rechercheure bei Bellingcat konnten mit einigen Mitgliedern eines Kanals sprechen, auf dem bereits am 13. Januar Bilder von ähnlichen Geheimdokumenten verbreitet wurden. Sie behaupteten demnach, die jetzt bekannt gewordenen Dokumente seien nur "die Spitze des Eisbergs", den Namen der Quelle der Dokumente wollte der aktuelle Administrator des Forums mit rund 20 Nutzern jedoch nicht nennen.
Was steht in den Dokumenten? Sind sie echt und was könnten die Folgen des Leaks sein? Antworten darauf haben wir hier für Sie zusammengefasst:

Weiterverbreitung des Leaks bei 4Chan und Telegram

Etwa einen Monat nach den Veröffentlichungen in den Foren tauchten die geheimen Dokumente an anderen Stellen im Netz wieder auf: In einem Kanal der umstrittenen Webseite "4Chan" stritten sich am 5. April erneut zwei Nutzer über den Krieg in der Ukraine: Es ging um die Frage, welche der beiden Armeen mehr Soldaten verliere. Als Beleg für die eigene These teilte ein Nutzer mehrere der Karten aus Kampfgebieten mit Statistiken über getötete Kämpfer und kommentierte die Bilder mit den Worten:
Zumindest ist mein Stück Papier glaubwürdiger als vom Hörensagen.
Nutzer CXWfLHRB auf "4Chan"
Teile dieser Unterhaltung sind bis heute abrufbar, einige Bilder wurden bereits gelöscht.

Pro-russische Telegram-Kanäle greifen das Leak auf

Wenige Stunden später wurden die Dokumente über pro-russische Telegram-Kanäle weiterverbreitet. Hier wurden die Bilder jedoch offenbar bearbeitet. Waren in den ersten Veröffentlichungen stets die Verluste der ukrainischen Armee kleiner als die der russischen, sind nun die ukrainischen Verluste höher.
Medienberichten zufolge gehen US-Vertreter davon aus, dass viele der ursprünglich geleakten Dokumente echt sind. Mittlerweile kursieren jedoch viele manipulierte Versionen. Die USA arbeiten Berichten zufolge daran, sie nach und nach zu beseitigen.

Wer könnte die Quelle des Leaks sein?

Bleibt die Frage, wer die Dokumente zuerst ins Netz geladen hat und warum. Es gibt einige Unterschiede zu vorherigen Leaks. Chelsea Manning und Edward Snowden hatten sich an Medien bzw. Wikileaks gewandt, um Originaldokumente zu veröffentlichen. Diese waren hauptsächlich in digitaler Form verbreitet. Bei dem jetzigen Leak handelt es sich um Fotos von ausgedruckten Dokumenten.
Auch wurde nicht die große Öffentlichkeit gesucht, sondern es dauerte länger, bis die Dokumente aus einer kleinen Chatgruppe weitere Kreise gezogen hatten.
Thomas Rid, Experte für Cyber-Sicherheit von der Johns-Hopkins-Universität, äußerte im Deutschlandfunk die These, dass jemand die Dokumente einfach gefunden haben könnte - etwa in einer verlorenen Tasche. Rid hält es durchaus für möglich, dass die Person, die die Dokumente hochgeladen hat, nicht die Person war, die den Zugang dazu in den Geheimdiensten hatte. Dafür spreche etwa, dass die Seiten abfotografiert wurden, ohne auf die eigene Sicherheit zu achten: Im Hintergrund sind noch Gegenstände wie ein Messer, Klebstoff und ein kaputtes iPhone zu sehen.

Thema

Aktuelle Nachrichten zur Ukraine