Eilmeldung11.5.2024, 12:25:00
ESC: Niederländer Joost Klein darf beim Finale nicht auftreten

: Wie demokratisch ist Polen noch?

von Svenja Bergerhoff, Warschau
08.06.2023 | 17:16 Uhr
Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit werden neuen Gesetzen oder Reformen der Regierung in Polen zuletzt häufig attestiert. Ist die Demokratie dort in Gefahr?

In Polen haben hunderttausende Menschen gegen die Regierung demonstriert. Anlass ist ein Gesetz, das wenige Monate vor der Parlamentswahl auf die Opposition zielt.

07.06.2023 | 06:08 min
Die polnische Justizreform, in den letzten acht Jahren vorangetrieben von der national-konservativen Regierungspartei PiS, ist das prominenteste Beispiel für Polens Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit.
Am Montag erst hat der europäische Gerichtshof wieder ein Urteil zur Justizreform verkündet und einen weiteren Verstoß festgestellt.

Laut dem Urteil des Europäischen Gerichthofes verstößt die polnische Justizreform von 2019 gegen EU-Recht. Die EU wirft Polen bereits seit Jahren mangelnde Rechtsstaatlichkeit vor.

05.06.2023 | 01:24 min

Regierung geht gegen Richter vor

Einer, der weiß, welche Auswirkungen diese Reform haben kann, ist Richter Igor Tuleya. Er arbeitet am Bezirksgericht in Warschau. Wieder. Denn: für über zwei Jahre durfte er seinen Beruf nicht ausüben.
Der Grund: Eine umstrittene Disziplinarkammer, die im Rahmen der Justizreform zwischenzeitlich eingeführt wurde, kam zu dem Schluss Richter Tuleya habe sich strafbar gemacht. In Zusammenhang mit einem für die Regierung unangenehmen Verfahren.

"Ich sitze immer noch auf einem Pulverfass"

Tuleya wurde suspendiert, seine Bezüge gekürzt und die richterliche Immunität aufgehoben. Der Richter wehrt sich gegen die Anschuldigungen und wird so zu einer regelrechten Symbolfigur im Kampf für die Unabhängigkeit der Justiz Polen.
Seit Ende letzten Jahres darf er immerhin wieder Arbeiten. Seine Sorgen um das Rechtssystem in Polen aber sind geblieben. Er sitze immer noch auf einem Pulverfass, meint Tuleya. Und die Demokratie in seinem Land sei eigentlich jetzt schon keine mehr:
Wir haben es hier mit einer Art Fassadendemokratie zu tun. Denn: ja, wir haben einige Institutionen, wir haben Gerichte. Die sind aber nicht völlig unabhängig. Und wir haben ein Verfassungsgericht, das kein Verfassungsgericht ist.
Igor Tuleya, Richter am Bezirksgericht in Warschau

Parlamentswahlen im Herbst

Viele Polen blicken gerade auf die Wahl im Herbst mit gemischten Gefühlen. Der Grund: ein Gesetz, das Ende Mai von Präsident Duda unterzeichnet wurde und das Potential hat, die Wahl zu Gunsten der PiS zu verzerren.
Das Gesetz sieht die Bildung einer Kommission vor. Die soll feststellen, ob Politiker in den vergangenen Jahren wirklich im Sinne Polens gehandelt haben oder gar zum Vorteil Russlands.

Vor allem ein "Anti-Tusk"-Gesetz?

Kritiker sind sich sicher: Dieses Gesetz zielt darauf ab, die Opposition zu schwächen. Allen voran ihren aussichtsreichsten Kandidaten: Donald Tusk.
Der Ex-Premier Polens könnte, wenn die Kommission ihm russischen Einfluss auf seine Entscheidungen attestiert, von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden. Er hätte dann also keine Chance mehr, bei einem Wahlsieg im Herbst Regierungschef zu werden.
Da entsteht ein sehr politisches Gremium, das im Grunde genommen ohne Konsequenzen jedem die politische Teilhabe entziehen kann. Und das ist furchtbar gefährlich.
Cezary Łazarewicz, Freier Journalist und Publizist
So könnte das Gesetz die Fairness der Wahl beeinflussen. Viele sehen deshalb erneut Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit. Nicht nur in Polen. Kritik kommt auch aus den USA und von der Europpäischen Union. Die EU-Kommission hat schon eine Untersuchung angekündigt.
Präsident Duda gibt inzwischen an, das Gesetz nochmals überarbeiten zu wollen. Erst einmal aber gilt es. Mit all seinen möglichen Auswirkungen.

Polens Probleme sind Europas Probleme

Die immer weiter verlorengehende Unabhängigkeit der Justiz ist aber nicht nur ein Problem Polens, meint Igor Tuleya.
Was in Polen passiert, passiert auch in Europa. Genauso wie ich mich schäme, sollten sich die anderen Europäer schämen, dass sie eine solche Situation im östlichen Teil der Europäischen Union zugelassen haben.
Igor Tuleya, Richter am Bezirksgericht in Warschau
Am Ende ist die Rechtsstaatlichkeit nur eines von vielen Problemen in Polen. Wenn auch ein besonders Wichtiges.
Welchen Weg das Land langfristig auch im Hinblick auf seine demokratische Grundordnung einschlägt, wird maßgeblich vom Ausgang der Parlamentswahl im Herbst abhängen.

Mehr zu Polen