: Demokratien verlieren weiter an Boden

von Marcel Burkhardt
19.03.2024 | 05:01 Uhr
Immer mehr autokratisch regierte Länder stehen immer weniger Demokratien gegenüber: Das zeigt eine aktuelle Bertelsmann-Studie. Aber es gibt auch Beispiele, die Hoffnung machen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Von 137 untersuchten Ländern seien nur 63 Demokratien, aber 74 Autokratien. Vor vier Jahren war das noch andersherum.

19.03.2024 | 02:09 min
In Entwicklungs- und Schwellenländern sind autokratische Kräfte weltweit auf dem Vormarsch. Dem aktuellen Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung (BTI) zufolge wurden nie zuvor in den vergangenen 20 Jahren "so viele Länder so schlecht regiert".

Regierungsführung in vielen Ländern "gescheitert"

Nur noch ein gutes Viertel der zwischen Februar 2021 und Januar 2023 untersuchten 137 Staaten werde "gut bis sehr gut" regiert. Dagegen bescheinigt der BTI mehr als 100 Ländern "eine nur mäßige bis gescheiterte Regierungsführung".
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Ein Drittel der Regierungen sei heute nicht in der Lage oder auch nicht willens, "Entwicklungsziele für alle zu formulieren und umzusetzen", sagt Hauke Hartmann, einer der Studienautoren, auf ZDFheute-Anfrage.
Politische Freiheit hänge stark mit wirtschaftlicher Fairness zusammen, stellt die Studie fest. Von 55 Transformationsländern mit unfreien und unfairen Wirtschaftsbedingungen seien nur fünf Demokratien. Und unter den 16 Ländern mit nahezu uneingeschränkter wirtschaftlicher Freiheit und Fairness sei Singapur die einzige Autokratie.
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Autokratien werden immer repressiver

Die Zahl der Demokratien ist seit der vorangegangenen Untersuchung von 67 auf 63 gefallen - hingegen ist die Zahl der Autokratien mit Benin, El Salvador, Kirgisistan und Tunesien von 70 auf 74 angestiegen. Autokratische Regime werden zudem immer repressiver.
Das Hauptaugenmerk dieser Regierungen gilt dem Erhalt eines korrupten und vergeuderischen Systems, das nur eine schmale Elite begünstigt.
Hauke Hartmann, BTI-Mitautor
Gleichzeitig seien in diesen Staaten die Möglichkeiten politischer Teilhabe für einen Großteil der Bevölkerung so eingeschränkt wie nie zuvor seit Beginn der BTI-Studien im Jahre 2004.
Die 74 Autokratien haben eine Führung, "die politische Beteiligung nur sehr begrenzt oder gar nicht zulässt". Zudem blieben dort Amtsmissbrauch, Korruption und Missmanagement häufig ungeahndet. Unter den 74 Autokratien werden 49 Staaten als "Hardliner-Autokratien" eingestuft, zu denen auch Russland gehört.

"Die Verteidigung von Demokratie gelingt immer weniger", so Sabine Donner, Co-Autorin der Demokratie-Studie der Bertelsmann-Stiftung. "Ich glaube, dass Menschen spüren, dass große Veränderungen anstehen."

19.03.2024 | 05:00 min

Autokraten schüren oft Konflikte

Wo einige wenige die Macht illegitim an sich reißen, nehmen Spannungen zu. Mehr noch:
Gesellschaftliche Konflikte werden nicht entschärft, sondern durch autokratische Regime aus machtpolitischen Gründen sogar geschürt.
Hauke Hartmann, BTI-Mitautor
Er zieht den Vergleich: "Waren vor zwanzig Jahren noch 74 Regierungen erfolgreiche Mediatoren, so sind es heute nur noch 49. Die Anzahl der aktiven Polarisierer ist umgekehrt von 17 auf 40 Staaten angewachsen."
Infolge der Corona-Pandemie, zahlreicher Konflikte wie etwa des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, stark gestiegener Lebensmittelkosten und Währungsturbulenzen stehen viele Staaten unter Druck, wodurch "teils auch Populisten Erfolge feiern", wie Hartmann konstatiert.

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Effizient geführte Autokratien bleiben die Ausnahme

Ein Blick in die Statistiken zeige indes, dass vor allem in Autokratien "gutes Regieren Mangelware" sei. Zwar pflegten autokratische Herrscher das Narrativ, dass sie ihre Staaten im Gegensatz zu Demokratien effektiver regierten, der BTI dokumentiere allerdings das Gegenteil.
Am Ende der Skala effizienten Regierens finden sich demnach "45 desorganisierte und korrupte Regime von Kambodscha über Simbabwe bis Venezuela", die fast alle autokratisch regiert werden. Zwar gebe es auch effizient geführte Autokratien, jedoch blieben sie die Ausnahme.

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Interesse an gesellschaftlichem Konsens sinkt

Gutes Regieren und die Qualität der Demokratie seien eng miteinander verwoben. Doch bei der demokratischen Kernkompetenz, für Ausgleich zu sorgen, stehen die Regierungen von 80 Ländern heute deutlich schlechter da als vor zehn Jahren. BTI-Mitautorin Sabine Donner sagt:
Regierungen haben vielerorts das Bemühen um gesellschaftlichen Konsens zu lange vernachlässigt.
Sabine Donner, BTI-Mitautorin
Dabei sei es eine Stärke von Demokratien, möglichst viele am "Ringen um die besten Lösungen" zu beteiligen.

BTI: So wird er erstellt

Seit 2006 analysiert und bewertet der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) die Qualität von Demokratie, Marktwirtschaft und Regierungsführung in 137 Entwicklungs- und Transformationsländern. Grundlage detaillierte Länderberichte, die zusammen mit etwa 300 Expert*innen führender Universitäten und Think Tanks in über 120 Ländern erstellt werden. Der aktuelle Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 1. Februar 2021 bis zum 31. Januar 2023. Quelle: Bertelsmann-Stiftung

Autokraten können "an Wahlurne gestoppt werden"

Der BTI geht auch der Frage nach, wie der zunehmenden "Erosion der Demokratie" beizukommen sei. "Autoritäre Trends können an der Wahlurne gestoppt werden", sagt Hauke Hartmann.
"Dafür braucht es eine zivilgesellschaftliche Mobilisierung vor den Wahlen und die Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit nach den Wahlen." Aktuelle Musterbeispiele seien Polen, Brasilien und Guatemala, "wo die Wählerinnen und Wähler autoritäre Kräfte abgewählt haben".

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Hoffnung auf Zivilgesellschaft und "Druck der Straße"

Der BTI erinnert daran, dass "eine wichtige, manchmal die letzte Bastion zur Verteidigung von Demokratie" die Widerstandskraft der Zivilgesellschaft sei. In Polen etwa habe diese "erfolgreich zum Schutz bürgerlicher und sozialer Rechte mobilisiert".
Dieses und weitere Länderbeispiele zeigten, "dass der Druck der Straße sich mit der institutionalisierten Kontrolle von ungezügelter Regierungsmacht verbinden muss, damit der Widerstand gegen autoritäre Tendenzen erfolgreich ist".

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