: Fünf weitere Jahre Erdogan

28.05.2023 | 19:51 Uhr
Amtsinhaber Erdogan hat die Stichwahl gewonnen und bestimmt weitere fünf Jahre die Geschicke der Türkei. Sein Rivale Kilicdaroglu sprach von der "ungerechtesten Wahl" überhaupt.

Bei der historischen Stichwahl in der Türkei hat sich der amtierende Präsident Erdoğan gegen Herausforderer Kılıçdaroğlu durchgesetzt. Das Ergebnis war knapper als zuvor erwartet.

28.05.2023 | 02:38 min
Die türkische Wahlbehörde hat Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan zum Sieger der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei erklärt. Laut vorläufigem Ergebnis habe Erdogan die Wahl gewonnen, erklärte Wahlkommissionschef Ahmet Yener laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntagabend.
Damit sicherte sich der 69-Jährige nach bereits 20 Jahren an der Macht eine weitere fünfjährige Amtszeit. Zuvor hatte Erdogan in einer Ansprache vor jubelnden Anhängern in Istanbul bereits den Wahlsieg für sich reklamiert.
Wir werden das Land in den kommenden fünf Jahren regieren.
Recep Tayyip Erdogan, türkischer Staatschef
Nach dem vorläufigen Ergebnis erhielt der religiös-konservative Amtsinhaber gut 52 Prozent der Stimmen, sein sozialdemokratischer Herausforderer Kemal Kilicdaroglu kam auf knapp 48 Prozent.

Erdogan habe es verstanden, "seine Wähler nochmal zu mobilisieren", berichtet Türkei-Korrespondent Jörg Brase und verweist auf "die Medienmaschine, die für Erdogan gekämpft hat".

28.05.2023 | 02:08 min
Rund 61 Millionen Menschen waren in der Türkei zur Abstimmung aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 85 Prozent und damit etwas niedriger als in der ersten Runde am 14. Mai, als rund 87 Prozent ihre Stimme abgegeben hatten.

Kilicdaroglu: Ungerechteste Wahl überhaupt

Oppositionsführer Kilicdaroglu nannte die die Stichwahl die "ungerechteste" Wahl, die es je gegeben habe. Erdogan hätten alle staatlichen Ressourcen zur Verfügung gestanden, sagte Kilicdaroglu am Sonntagabend in Ankara.
Wir werden weiterhin an vorderster Front dieses Kampfes stehen, bis echte Demokratie in unser Land kommt.
Kemal Kilicdaroglu, Oppositionsführer
Kilicdaroglu dankte zudem den mehr als 25 Millionen Menschen, die ihn gewählt hätten. Er rief seine Anhänger auf, "aufrichtig zu bleiben". Das Volk habe seinen Willen bekundet, "trotz allen Drucks eine autoritäre Regierung auszutauschen".

Erdogan regiert mit zunehmend harter Hand

Erdogan regiert die Türkei seit 2003 als Ministerpräsident, seit 2014 als Präsident - und das mit zunehmend harter Hand. Seit Republikgründer Atatürk hat niemand as Land so sehr geprägt wie er: Erdogan trieb gigantische Infrastrukturprojekte voran, verabschiedete sich vom strengen Laizismus und wandte sich außenpolitisch zunehmend vom Westen ab und Asien und Russland zu.
Zugleich werfen nicht nur seine Gegner im eigenen Land, sondern auch westliche Länder Erdogan vor, in einen Autoritarismus abgeglitten zu sein. Hunderte Regierungskritiker sitzen in den Gefängnissen. 2017 führte er durch eine Verfassungsänderung das Präsidialsystem ein und weitete damit seine Macht aus.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat die politischen Strukturen in der Türkei auf sich konzentriert, hin zu einem strikten Präsidialsystem.

05.05.2023 | 01:49 min

"Mann des Volkes" und frommer Muslim

Für seine Unterstützer hingegen bleibt Erdogan - trotz der aktuell hohen Inflation und anderer Wirtschaftsprobleme - der Mann, der der Türkei über Jahre hinweg ein "Wirtschaftswunder" beschert hatte. Weder ein Gefängnisaufenthalt, Massendemonstrationen noch ein Putschversuch konnten seinen Siegeszug aufhalten.
Dass er sich einen Palast mit tausend Zimmern in Ankara bauen ließ, hält Erdogan nicht davon ab, sich als "Mann des Volkes" zu geben. Er ist frommer Muslim und verkörpert traditionelle Familienwerte, er ist verheiratet und hat vier Kinder. Erdogan versteht es zudem, die Menschen durch emotionale Reden mitzureißen, in denen er nicht selten nationalistische Gedichte rezitiert.

Grund für das Ergebnis sei, "dass Erdogan ein Vakuum füllt“, sagt die Bundestagsabgeordnete Serap Güler. Viele bekämen das Gefühl, durch ihn "ist die Türkei wieder wer".

28.05.2023 | 05:24 min

Erdogan demonstriert außenpolitisch Stärke

Auch auf der außenpolitischen Bühne demonstriert Erdogan Einfluss und Stärke: als Vermittler im Ukraine-Krieg. Als Präsident eines Landes, das den Beitritt Schwedens zur Nato blockiert. Als Kämpfer gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die als Terrororganisation eingestuft ist. Als Verfechter eines umstrittenen Flüchtlingsdeals mit der EU.
Anfangs war Erdogan für den Westen als Reformer zugleich Hoffnungsträger. Spätestens seit er regierungsfeindliche Demonstrationen 2013 brutal niederschlagen ließ, steht er zunehmend in der Kritik. Drei Jahre später, in der Nacht zum 16. Juli 2016, folgte die wohl größte Bewährungsprobe für ihn - ein Putschversuch. Aus dem Urlaub rief Erdogan "sein Volk" zur Hilfe - und erklärte am Morgen danach den Aufstand für gescheitert.

Erdogan könnte seine Macht weiter zementieren

Der Präsident beschuldigte seinen früheren Verbündeten, den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen, hinter dem Putschversuch zu stehen, und ließ viele "Gülenisten" und Oppositionelle festnehmen. Unerbittlich geht er seither gegen alle Gegner vor. Auch Medien, Justiz, Armee und Polizei wurden umgebaut. Seine Wiederwahl könnte nun bedeuten, dass Erdogan seine Macht weiter zementiert.
Lesen Sie hier im Liveblog aktuelle Entwicklungen zur Stichwahl in der Türkei:
Quelle: dpa, AFP

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