FAQ

: Dafür braucht die Ukraine so viel Geld

von Nils Metzger
22.12.2022 | 20:20 Uhr
Weitere 45 Milliarden Dollar US-Hilfe für die Ukraine - und bald braucht Kiew noch mehr. Warum die Verteidigung gegen Russland so teuer ist und Geld nicht nur über Waffen fließt.
Weitere Milliardenhilfe nötig: Panzerabwehrwaffen aus den USA werden nahe Kiew verladen. (Archivbild)Quelle: dpa
Fast 45 Milliarden US-Dollar - Finanzhilfen in dieser Höhe wollen die USA der Ukraine in einem weiteren Paket bereitstellen, über das der Kongress aktuell berät. Findet das Vorhaben eine Mehrheit, wäre es das vierte US-Hilfspaket. Die Gesamtsumme seit Februar läge dann bei fast 100 Milliarden Dollar.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Mittwoch bei seiner Rede im US-Kongress in Washington:
Ihr Geld ist kein Almosen, sondern eine Investition in die globale Sicherheit.
Wolodymyr Selenskyj
Angesichts dieser enormen Summen verbreiten pro-russische Stimmen mehr als sonst Argumente, um die Finanzhilfen als verfehlt oder kriegstreiberisch anzugreifen. Manche davon verfangen in den USA, aber teils auch in Deutschland.
"Diese Reise nach Washington von Selenskyj, sie ist ein Akt der Verzweiflung", hieß es in einem Kommentar in den "tagesthemen" am Mittwoch. "Sie bringt vermutlich nur Symbolik und hat die Welt keinen Meter näher an ein Ende des Krieges gebracht."

Wofür werden die Hilfsgelder ausgegeben?

Was von Kritikern teils unterschlagen wird: Nur ein Teil der zugesagten Hilfsgelder sind für Waffen und Rüstungsgüter. Von den bisherigen US-Hilfen entfallen laut einer Aufstellung des Kiel Instituts für Weltwirtschaft rund 48 Prozent auf Militärhilfe.
Rund 20 Prozent waren hingegen für humanitäre Zwecke, etwa die Versorgung von Geflüchteten innerhalb wie außerhalb der Ukraine vorgesehen. Rund 32 Prozent sind allgemeine Finanzhilfen für den ukrainischen Staat, wovon er Gehälter, Renten oder öffentliche Dienstleistungen bezahlt.
ZDFheute Infografik
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Je nach Land unterscheidet sich diese Verteilung. Von den 35 Milliarden Euro EU-Hilfen macht das Militärische weniger als neun Prozent aus. Bei den rund 5,4 Milliarden Euro aus Deutschland liegt der Anteil bei rund 43 Prozent.
Ohne diese Stütze der zivilen Administration der Ukraine könnte das Land seine Verteidigung nicht aufrechterhalten und auch aus wenig umkämpften Gebieten müssten Millionen Menschen zusätzlich fliehen.

Gibt die Ukraine viel mehr Geld als Russland aus?

Manche Gegner der Hilfen verweisen darauf, dass die Zahlungen das russische Verteidigungsbudget weit übertreffen würden. Der US-Journalist Glenn Greenwald etwa stellte den US-Hilfen von 100 Milliarden Dollar (die nicht nur Militärhilfen umfassen) ein angebliches russisches Militärbudget von 65 Milliarden Dollar gegenüber.
Glenn Greenwald kritisiert die Milliardenhilfen
Das sind jedoch Zahlen von vor Kriegsbeginn, aktuelle Werte sind nicht verfügbar. Laut britischem Militärgeheimdienst beträgt das offizielle Militärbudget für das kommende Jahr 84 Milliarden Dollar. Eine Reuters-Analyse von November schätzt das russische gesamte Sicherheitsbudget für 2023 auf 155 Milliarden Dollar.
Auch übt Moskau über Staatskonzerne wie Rostec weitreichende Kontrolle über seinen Rüstungssektor aus, während die Ukraine bei privaten, gewinnorientierten Firmen weltweit einkauft. Über das Budget der privaten russischen Militärfirma Wagner ist ebenfalls kaum etwas bekannt.
"Geld schießt nicht. Es geht um militärische Fähigkeiten", erklärt Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations gegenüber ZDFheute. "Wie viel eine gewisse Fähigkeit kostet, hängt von vielen Faktoren ab, und ist von Land zu Land unterschiedlich." Die Zahlen allein sind also kaum vergleichbar.
Dass Hilfszahlungen hingegen im großen Stil in der Ukraine versickern, verneint Gressel. "Bei den militärischen Beschaffungen wird sehr genau darauf geschaut, was damit passiert. Der öffentliche Druck in Kiew ist enorm, dass dieses Geld genau überwacht wird."
Russland streute gerne Gerüchte, dass Waffen abgezweigt werden oder verschwinden. Jedes dieser Gerüchte hat sich als Ente entpuppt.
Gustav Gressel, European Council on Foreign Relations

Sind die Hilfen nur eine Subvention für die Rüstungsindustrie?

Viele westliche Rüstungsfirmen profitieren von den Ukraine-Hilfen. Anfänglich konnten viele Staaten noch Waffen und Munition aus ihren Arsenalen liefern, nun werden Bestellungen direkt bei der Industrie immer wichtiger. Goldene Zeiten? Ja, aber auch eine Herausforderung.
Wegen ausbleibender Bestellungen hatten viele Firmen in den letzten Jahrzehnten Kapazitäten abgebaut, nur wenige neue Fachkräfte ausgebildet. Darum konkurrieren nun teils Ukraine-Bestellungen mit nationalen Bedürfnissen, es kann kaum schnell genug gefertigt werden, Rohstoffe sind knapp.

Wie lange müssen die Ukraine-Hilfen noch weitergehen?

Es ist unwahrscheinlich, dass das neue US-Paket über 45 Milliarden Dollar das letzte gewesen sein wird. Gleich, ob bei einem militärischen Sieg Kiews oder einer Teilbesetzung durch Russland - die Ukraine wird massive finanzielle Unterstützung benötigen.
"Wenn das Resultat ein 'Minsk III'-Abkommen ist, also eine geteilte Ukraine hinterlässt, in der Russland weite Teile okkupiert, große Städte bedroht, Binnenwasserstraßen zerschneidet und Energieinfrastruktur beherrscht, wird es langfristig sehr teuer", sagt Experte Gressel und verweist auf eine mögliche Wiederaufnahme von Kampfhandlungen innerhalb weniger Jahre.
Im Falle einer russischen Niederlage werden Reparationszahlungen kaum ausreichen. Externe Hilfe beim Wiederaufbau wird nötig sein, auch um eine schnelle Rückkehr der Millionen Geflüchteten zu ermöglichen.
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