: Russische Propaganda zu Verlusten in Ukraine

von Oliver Klein
14.02.2023 | 17:48 Uhr
Eine Grafik zum Ukraine-Krieg geht viral - die Botschaft: Die Ukraine erleidet schlimme Verluste, im Gegensatz zu Russland. Experten nennen die veröffentlichten Zahlen "absurd".
Friedhof in Bachmut (Archivfoto)Quelle: AP
"Eines der größten Geheimnisse Kiews sind die bisherigen Verluste im Krieg", wird im Text zu einer Infografik behauptet, die zurzeit massenweise in Sozialen Medien geteilt wird. "Licht ins Dunkel bringt nun der israelische Geheimdienst Mossad", heißt es weiter.
Die Zahlen seien "politischer Sprengstoff in der Ukraine sowie den Nato-Staaten". In der Grafik selbst werden die vermeintlichen Verluste beider Kriegsparteien gegenübergestellt. Für die Ukraine ergibt sich scheinbar ein verheerendes Bild. Unter anderem heißt es:
6.320 ukrainische Panzer und gepanzerte Fahrzeuge seien bis zum 14. Januar zerstört worden - auf russischer Seite nur 889. Die Ukraine hätte außerdem seit Beginn des Krieges 302 Flugzeuge verloren, Russland nur 25. Zudem habe es 2.458 tote Nato-Soldaten gegeben, "aus Deutschland, Polen, Litauen usw." und dazu 234 tote Nato-Militärausbilder aus den USA und Großbritannien. Insgesamt seien auf ukrainischer Seite bislang 157.000 Soldaten gefallen, auf russischer Seite 18.480.
Grafik zu angeblichen Verlusten des russischen und des ukrainischen Militärs - "diese Zahlen sind völlig absurd", sagt Militärexperte Gressel.Quelle: Facebook

Zahlen offenbar frei erfunden

Doch die Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage - und alles deutet darauf hin, dass sie frei erfunden sind. Generell ist es nahezu unmöglich, Verluste von Menschen und Material in einem Krieg seriös, zweifelsfrei und so exakt wie in der Grafik angegeben zu beziffern. Und Schätzungen und Berechnungen von Geheimdiensten, von Experten und Institutionen zeichnen ein anderes Bild:
"Diese Zahlen sind völlig absurd", sagt beispielsweise Gustav Gressel, Senior Policy Fellow beim European Council On Foreign Affairs (ECFR) im Gespräch mit ZDFheute. Vor allem die Nato-Zahlen sind für Gressel unglaubwürdig: "Es gibt keine 2.458 tote Nato-Soldaten, erst recht keine deutschen. Die Nato kämpft nicht in der Ukraine. Und es könnten keine zig Bundeswehrangehörige spurlos verschwinden, ohne dass das auffällt. Das würde ja sofort rauskommen."
Auch die angeblich 302 verlorenen Flugzeuge hält Gressel für Unsinn:
Die Ukraine hatte nicht mal zu Beginn des Krieges so viele Kampflugzeuge, wie die Russen angeblich abgeschossen haben. Und die ukrainische Luftwaffe fliegt ja nach wie vor Einsätze und wird auch dabei gefilmt.
Gustav Gressel, Senior Policy Fellow beim European Council On Foreign Affairs

Verluste russischer Panzer nachweislich untertrieben

Die Zahl von 889 zerstörten russischen Panzern hält Gressel wiederum für stark untertrieben und verweist auf die niederländische Webseite Oryx. Dort werden seit Beginn des Krieges fotografische Belege für den Verlust von militärischem Gerät gesammelt. Die Seite weist über 4.700 russische Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aus, die zerstört, aufgegeben oder von Ukrainern übernommen wurden - immer mit den entsprechenden Fotobeweisen. Da aber auch nicht jeder zerstörte russische Panzer von der Website dokumentiert wurde, ist der Verlust in Wirklichkeit vermutlich noch deutlich höher.
Und was ist mit den dramatisch unterschiedlichen Todeszahlen von russischen und ukrainischen Soldaten? Wie viele Soldaten in dem Krieg bisher ihr Leben lassen mussten, lässt sich bisher nicht unabhängig überprüfen. "Natürlich bemühen sich beide Seiten, die Zahlen schönzureden. Das ist nun mal auch ein Informationskrieg", sagt Militärexperte Christian Mölling, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Die Verluste genau zu beziffern sei deshalb unmöglich.

Zahlen gehen auf türkisches Online-Portal zurück

Belege für die Behauptungen in der Grafik gibt es deshalb nicht. Die Zahlen gehen zurück auf einen türkischsprachigen Artikel der Online-Nachrichtenseite "Hürseda Haber" von Ende Januar. In dem kurzen Artikel heißt es, es handele sich "angeblich" um "die Felddaten vom 14. Januar 2023, basierend auf israelischen Geheimdiensten". Als Quelle wird unter dem Artikel nur "Agentur" angegeben - welche, wird nicht genannt, Quellen sind nicht verlinkt.
Außer auf der türkischen Webseite scheinen keine weitere Berichte über diese angeblichen Geheimdienst-Zahlen zu existieren. Und auch den vermeintlichen Geheimdienst-Bericht selbst sucht man vergeblich. Dass der Mossad seine Informationen exklusiv mit einer relativ unbekannten Online-Zeitung teilt, scheint unwahrscheinlich.

Experte spricht von Desinformation

"Es deutet alles darauf hin, dass das eine Desinfomationskampagne ist. Da wird versucht der Eindruck zu erwecken, die Ukraine hätte keine Chance, Russland dagegen soll als erfolgreich dargestellt werden", resumiert Gressel. Für ihn sind die Zahlen pure Propaganda.
Offenbar erfolgreiche Propaganda: In der englischsprachigen Version wurden die Falschinformationen ebenfalls massenweise in Sozialen Medien geteilt. Twitter-Chef Elon Musk kommentierte: "Ein tragischer Verlust von Menschenleben". Musks Tweet befeuerte die Verbreitung noch, er wurde bisher rund 18 Millionen mal angezeigt.
Da wird ein Diskurs inszeniert, der wird durch Trollfabriken hochgejazzt - am Ende wurde eine machtvolle, scheinbare Realität geschaffen, die für einen kurzen Moment existiert und die die Öffentlichkeit beeinflussen soll.
Militärexperte Christian Mölling
Bis diese Behauptungen geprüft und als Lüge entlarvt wurden, dauere es relativ lange, so Mölling. Da sei die Lüge in der Zwischenzeit schon weit verbreitet. Das Ziel sei klar: "Wenn Menschen denken, die Ukraine verliere den Krieg sowieso, spielt das in der jetzigen Phase Russland in die Karten. Weil dann Waffenlieferungen in Frage gestellt werden."

Propaganda soll auch nach Russland wirken

So sieht es auch Josef Holnburger vom Berliner Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Mit solchen Sharepics sollen Zweifel gesät werden, so Holnburger. "Zweifel, ob eine Unterstützung der Ukraine überhaupt sinnvoll wäre – und ob man es nicht eher lassen sollte. Damit greift man eine immer noch breite Unterstützung der Ukraine in Ländern wie den USA und Deutschland an und versucht durch Demoralisierung die Stimmung zu drehen."
Ziel der Propaganda sei aber auch oft eine Stärkung der Moral der eigenen Bevölkerung und möglicher Verbündeter: "Verluste sollen kleingeredet und vermeintliche Erfolge verkauft werden."

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