: Die Schlaganfall-Diagnose überrascht viele

von Nora Mahmoud
10.05.2023 | 10:00 Uhr
Noch immer glauben viele, ein Schlaganfall trifft vor allem Männer. Das Problem: Frauen kennen für sie typische Risiken nicht. Die Einnahme der Antibabypille ist nur eines davon.

Der Schlaganfall trifft Gerlinde Gerrmann völlig unvermittelt. Warum sie sich trotz massiven Lähmungserscheinungen gut erholt.

10.05.2023 | 05:22 min
Ein Schlaganfall kommt meist unerwartet, die Folgen sind oft schwerwiegend. Zwar sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen, doch es gibt einen wichtigen Unterschied.

Spezifische Risiken für Frauen für Schlaganfall

Neben den klassischen, allgemeinen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte und Rauchen haben Frauen zusätzlich geschlechtsspezifische Risiken. Das aber wissen nur die wenigsten.
Gerlinde Gerrmann treibt jeden Tag Sport, ernährt sich gesund.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich je einen Schlaganfall bekommen würde. Ich habe nie geraucht, bin nicht übergewichtig und achte auf meine Fitness.
Gerlinde Gerrmann, Schlaganfallpatientin

Bei Behandlung des Schlaganfalls zählt jede Minute

Vor Kurzem wurde die 69-Jährige notfallmäßig ins Krankenhaus gebracht. "Ich konnte meinen linken Arm, mein linkes Bein nicht mehr bewegen, und mein Mund hing schief herunter", beschreibt sie ihre Symptome. Ihre Familie hat richtig reagiert und sofort den Rettungsdienst alarmiert.
Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute. "Time is brain", sagen Experten. Je schneller Betroffene behandelt werden, desto besser sind die Aussichten, einen Schlaganfall ohne schwere Folgen zu überstehen.

Wie ein Schlaganfall entsteht:

  • Jährlich erleiden etwa 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Dabei kommt es zu einer "schlagartig" einsetzenden Durchblutungsstörung des Gehirns. Hauptsächlich werden zwei Formen des Schlaganfalls unterschieden.
  • Der Hirninfarkt oder auch ischämischer Schlaganfall entsteht durch einen Gefäßverschluss. Ursache ist häufig ein verschlepptes Blutgerinnsel (Thrombus), das eine Arterie verschließt. Der Verschluss kann aber auch durch die Gefäßverkalkung einer Hirnarterie oder der hirnversorgenden Halsgefäße hervorgerufen werden. In der Folge werden größere Hirnareale nicht mehr ausreichend durchblutet. Meist sind die Gefäßwände bereits vorgeschädigt, verhärtet und durch Ablagerungen verengt.
  • Von einer Hirnblutung oder einem hämorrhagischen Schlaganfall spricht man, wenn ein Gefäß im Gehirn platzt und bestimmte Hirnareale nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden. Ursache ist meist ein Bluthochdruck und der plötzliche Riss eines Blutgefäßes.

Quelle: Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe

Die Rolle der Antibabypille

Gerlinde Gerrmann hat keine Vorerkrankungen, ihre Blutwerte sind gut. Allerdings nimmt sie jahrzehntelang zur Verhütung die Antibabypille. "Wenn man Frauen darauf anspricht, dass die Antibabypille das Schlaganfall-Risiko erhöht, sind sie sehr häufig überrascht“, sagt ihr behandelnder Neurologe Timo Uphaus von der Universitätsmedizin Mainz. Er findet: Frauen müssen besser über solche Risiken aufgeklärt werden.

Doppelt so hohes Schlaganfall-Risiko bei Vorhofflimmern-Vorerkrankung

Frauen mit bestimmten Vorerkrankungen sind nicht nur gefährdet, besonders schwere Schlaganfälle zu erleiden, sie tragen auch ein höheres Risiko. Dazu gehören zum Beispiel Diabetes und Vorhofflimmern, eine Form von Herzrhythmusstörungen.
Frauen haben ein doppelt so hohes Risiko, bei Vorhofflimmern Schlaganfälle zu entwickeln als Männer.
Timo Uphaus, Neurologe
Frauen wüssten das aber nur selten.
Hinzu käme: "Insbesondere bei Frauen erhöhen hormonelle Präparate wie die Antibabypille oder Hormonersatzpräparate bei Wechseljahrbeschwerden das Risiko." Auch eine Migräne mit Aura, die bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern, ist ein Risikofaktor.

Schlaganfall bei Frauen: Nicht nur klassische Symptome

Nicht immer zeigt sich ein Schlaganfall bei Frauen nur mit den klassischen Symptomen. "Was man zusätzlich als unspezifische Symptome bei Frauen beobachtet, sind häufig so Dinge wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Unwohlsein, die Männer nicht so häufig berichten", erklärt Uphaus. Auch Gliederschmerzen, Schluckbeschwerden, Krämpfe oder Schwächeanfälle gehören dazu.
Umso wichtiger ist es, bei Symptomen die 112 zu rufen.
Timo Uphaus, Neurologe
Das betont der Neurologe - auch im Zweifel oder bei unklaren Beschwerden. Der Rettungsdienst kann diese einordnen und, falls erforderlich, entsprechende Maßnahmen einleiten. Dazu gehört der Transport in ein Krankenhaus mit Stroke Unit, einer entsprechenden Schlaganfall-Versorgung.

Schlaganfall erkennen: FAST-Test

  • F - Face, Gesicht: Bitten Sie die Person zu lächeln. Beide Mundwinkel sollten nach oben zeigen. Gibt es Taubheit oder Lähmung des Gesichts? Hängt ein Mundwinkel herab?
  • A - Arms, Arme: Bitten Sie Ihr Gegenüber beide Arme nach vorne zu heben. Sie sollten gleichzeitig nach oben gehen und bleiben. Können die Handflächen gedreht werden?
  • S - Speech, Sprache: Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Das sollte sie mit verständlicher Stimme können. Klingt die Sprache verwaschen?
  • T - Time, Zeit: Wenn eine oder mehrere dieser Handlungen nicht möglich sind, zählt jede Minute. Sofort unter 112 den Rettungsdienst rufen.

Kaum Frauen in Studien

Mediziner fordern, dass Studien geschlechtersensibler werden. Auch hier sind Studien zur Prävention und Behandlung meist auf Männer ausgerichtet. Teilweise liege der Frauenanteil bei unter zehn Prozent, so Uphaus.
Das ist natürlich ein großes Problem, was die Aussagekraft von Medikamenten betrifft, die wir aktuell anwenden bei diesen Patienten, um Schlaganfälle zu verhindern.
Timo Uphaus, Neurologe
Viele Fragen seien offen. Etwa wie sich Risiken von Frauen besser behandeln lassen. Aber auch, wie Frauen in der Vorsorge besser unterstützt werden könnten. Das sei wichtig, denn Experten gehen davon aus, dass aufgrund der stets älter werdenden Bevölkerung auch die Zahl der Frauen mit Schlaganfällen steigen wird.
Was genau den Schlaganfall von Gerlinde Gerrmann ausgelöst hat, konnten die Ärzte nicht klären. Dank schneller Behandlung ist sie aber auf gutem Weg der Genesung, vermutlich ohne dauerhafte Beeinträchtigungen.

Mehr zum Thema Gesundheit