: Selbsthilfeprogamm gegen Glücksspielsucht

05.07.2024 | 17:14 Uhr
Ein Sportwettenanbieter als Sponsor bei der Fußball-EM: Das hat zu Protesten geführt. Denn Sportwetten können zu Spielsucht führen. "Neustart" will Süchtigen online helfen.
"Sportwetten sind kein harmloses Freizeitvergnügen", warnt die Expertin Lara Rolvien.Quelle: Frank Rumpenhorst dpa/lhe
Wer schafft es ins Halbfinale? Wer wird Europameister? Wetten haben während der Fußball-Europameisterschaft (EM) Hochkonjunktur. Erstmals wirbt ein Sportwettenanbieter als EM-Hauptsponsor großflächig auf Fanfesten und in Stadien.
"Dabei sind Sportwetten kein harmloses Freizeitvergnügen", sagt Lara Rolvien von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE).

René Schnitzler, einst Profi des FC St. Pauli, verfiel früh der Spielsucht. Das wurde dem Stürmer zum Verhängnis.

29.05.2024 | 28:58 min

Über eine Million Glücksspielsüchtige in Deutschland

Gerade Sportwetten hätten "ein hohes Suchtpotenzial", weiß die Psychologin. Um Menschen mit problematischem Glücksspielverhalten zu helfen, hat sie mit anderen Forschenden des UKE das Online-Selbsthilfeprogramm "Neustart" entwickelt. Das Programm ist kostenfrei, komplett anonym und in Deutsch, Türkisch, Arabisch und Serbisch verfügbar.
Schon jetzt weist der Glücksspielatlas der Bundesregierung auf 1,3 Millionen Glücksspielsüchtige sowie zusätzliche 3,3 Millionen Gefährdete hin - Tendenz steigend.

Sportwetten, Sucht, Schulden - der Stoff für einen möglichen Teufelskreis. Die Wettanbieter scheinen omnipräsent bei allem, was mit Profi-Fußball zu tun hat.

03.07.2024 | 13:21 min

Rolvien: Sportwettenanbieter als EM-Sponsor "problematisch"

Bei der Vorstellung des Glücksspielatlasses 2023 im vergangenen November merkte der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) an:
Besonders gefährdet sind aber vor allem jüngere Männer durch ein riskantes Wetten beim Sport.
Burkhard Blienert (SPD), Bundesdrogenbeauftragter, November 2023
Dass während der Fußball-EM ein Sportwettenanbieter als Sponsor auftritt, findet auch die Psychologin Rolvien problematisch: "Die Werbung kann das Glücksspielverhalten des Publikums verstärken."

Risiko von Online-Wetten: rund um die Uhr und kleine Einsätze

In der Glücksspielsucht-Selbsthilfe sei die Sucht nach Sportwetten die Spielform, die am schnellsten wächst und sehr viele junge Menschen die Existenz kostet, hieß es vom Dachverband der Selbsthilfegruppen anlässlich einer Protestaktion am 27. Juni gegen die Sportwetten-Werbung bei der EM.

Der Glücksspielatlas 2023 zeigt: In Deutschland sind 4,6 Millionen Erwachsene süchtig oder zeigen Symptome.

13.11.2023 | 01:42 min
Besonders männliche Jugendliche und junge Erwachsene seien für den Adrenalin-Kick durch diese Wetten empfänglich und glaubten, sie könnten mit ihrem Wissen über Sport das schnelle Geld machen. Dabei seien Sportwetten reines Glücksspiel.
Die Hemmschwelle für die Teilnahme an solchen Wetten ist niedrig.
Lara Rolvien, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, UKE
Online-Sportwetten seien rund um die Uhr verfügbar und durch das Einsetzen von kleineren Geldbeträgen "kann man schnell den Überblick verlieren, wie viel eingesetzt und verspielt wurde", sagt die Psychologin.

Die Folgen von Spielsucht sind für die Betroffenen meist fatal. Doch die Branche boomt immer weiter.

21.01.2024 | 30:08 min

Digitale Hilfe zur Überwindung von Behandlungsbarrieren

Hilfe finden Betroffene laut Glücksspielatlas bei knapp 400 ambulanten und stationären Einrichtungen in Deutschland. Neben Beratungsstellen, Kliniken mit glücksspielbezogenen Hilfen und Selbsthilfegruppen gebe es Telefon-Hotlines und digitale Angebote.
Rolvien, Studienleiterin des "Neustart"-Programms, stellt jedoch fest: "Nur etwa zehn Prozent der Menschen mit Glücksspielsucht befinden sich in professioneller Behandlung."

Telefonberatung zur Glücksspielsucht

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet ein Hilfe-Telefon für Betroffene an. Die telefonische Beratung zur Glücksspielsucht und zum problematischen Glücksspielverhalten richtet sich an alle Spielenden, Angehörige und Interessierte. Betroffene erhalten:

  • gezielte Auskunft und Aufklärung über Glücksspielsucht
  • Informationen und Beratung zu bestehenden Hilfsangeboten vor Ort
  • konkrete Beratung bei persönlichen Problemen und schwierigen Lebenssituationen, die durch Glücksspielsucht oder problematisches Glücksspielverhalten entstanden sind.

Telefon: 0800 1 37 27 00 (kostenfreie Servicenummer)

Grund dafür sind verschiedene Behandlungsbarrieren wie Scham, Problemleugnung und ein Mangel an spezialisierten Versorgungsangeboten.
Lara Rolvien, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Gerade digitale Angebote könnten Menschen helfen, die noch nicht bereit sind, über ihr Problem persönlich zu sprechen und es erst mal selbst lösen wollen.

Glücksspielsucht oft Folge von Depression und Einsamkeit

Das neue multimediale Selbsthilfeprogramm des Hamburger Uniklinikums basiere unter anderem auf kognitiver Verhaltenstherapie, achtsamkeitsbasierten Methoden und motivierender Gesprächsführung. Es beinhalte Themen wie Selbstwert, soziale Kompetenz, Umgang mit Spieldrang und Schuldenmanagement.

Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder arbeitet seit 2023 an der Bekämpfung des illegalen Online-Glücksspiels und der Kontrolle der legalen Anbieter.

10.01.2023 | 02:39 min
Glücksspielprobleme folgen häufig auf andere Probleme wie Isolation und Depression
Lara Rolvien, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, UKE

COGITO - per App Drang zur Spielsucht senken

Deshalb gehe es auch darum, Selbstwert, soziale Kompetenz oder positive Aktivitäten der Teilnehmenden zu stärken. Begleitet werde das Programm von einer App "COGITO", die auf Wunsch täglich kurze Übungen liefert.
Dass es funktioniert, habe eine Studie mit 243 Menschen gezeigt: "Ihre Gedanken ans Glücksspiel und das Spielverhalten sind nach sechswöchiger Programmnutzung signifikant zurück gegangenen", freut sich Rolvien.
Trotzdem hofft sie auf eine Sensibilisierung von Fußballverbänden: "Sport sollte einfach keine Werbeplattform für potenziell schädliches Verhalten bieten."
Quelle: epd

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