: Fußball: Großer Leistungsdruck von Anfang an

von Ralf Lorenzen
02.03.2023 | 16:00 Uhr
Fußball-Profi ist der Traum vieler Nachwuchskicker. Neben den Bildern erfolgreicher Stars ist selten zu sehen, welchem Druck Profis ausgesetzt sind - auch schon als Jugendliche.

Der Druck im Profi-Fußball ist groß - und beginnt schon in den Nachwuchsleistungszentren. Manu Thiele beleuchtet die Gründe, spricht mit Ex-Spielern und zeigt auf, was sich verbessern sollte.

02.03.2023 | 14:30 min
Die Spielertraube, die sich auf den Torschützen stürzt, die leidenschaftliche Verteidigung des Underdogs gegen den Favoriten: Im Fußball wird die Bedeutung des Kollektivs hervorgehoben. Oft gerät in den Hintergrund, dass sich viele Spieler abseits des Platzes eher als Einzelkämpfer fühlen.

Im ersten Training untergegangen

Lucas Genkinger, der in insgesamt drei Leistungszentren gespielt hat, erinnert sich an sein erstes Training dort. "Ich habe mich ziemlich sicher gefühlt, weil ich in den Mannschaften zuvor immer Führungsspieler war", sagt er in der aktuellen Sendung Bolzplatz by Manu Thiele. "Im ersten Training bin ich leistungstechnisch total untergegangen. Ich habe mich gefühlt, als hätte ich noch nie einen Ball am Fuß gehabt." Als ihn sein Vater auf der Rückfahrt auf sein Schweigen ansprach, habe er geweint.
Später machte Genkinger die Erfahrung, dass es aufgrund der hohen Fluktuation und den Konkurrenzkampf in den Mannschaften schwierig sei, Freundschaften aufzubauen.
Da hat man dann schon oft auch das Gefühl gehabt: ich bin hier ein Einzelkämpfer.
Lucas Genkinger

Extrem durchgetakteter Alltag

Zusätzlicher Druck kommt oft durch Eltern und Berater hinzu, die sich bei jedem Spiel an den Seitenlinien drängeln. Ex-Hertha-Profi Lennart Hartmann, der heute eine Fußballschule betreibt, erzählt im Bolzplatz von einem 11-jährigen Talent, das unter der extremen Beobachtung diverser Berater steht: "Das hindert ihn mittlerweile so sehr, dass er nicht mehr an seine Leistungen der letzten Wochen anknüpfen kann."
Der Alltag der jungen Leistungssportler ist mit Schule, Training, Hausaufgaben durchgetaktet. "Die brauchen eigentlich schon mit 15, 16 eine Sekretärin, zumindest ein gutes Zeitmanagement", sagt Ex-Profi Fabian Boll. "Dieses Pensum hatte ich damals erst mit 23, 24. Der Körper ist entsprechend früher aufgebraucht. Mit 29 heißt es oft schon: der bringt's nicht mehr, der muss in Rente."

Absurdes Verhältnis zu Geld

Während die körperlichen Folgen der frühen Überbelastung oft erst im Erwachsenenalter spürbar werden, sind die Jugendlichen in den Nachwuchszentren besonderen Risiken für die mentale Gesundheit ausgesetzt. Jeder Jugendliche, der in den Interessenkomplex Talentförderung hineingerät, betritt einen Erwartungsraum, in dem sich eigene Hoffnungen mit denen der Umwelt vermischen. Und sportliche mit finanziellen.
"Das sind noch immer keine Summen, aber von klein auf wird ein Obolus bezahlt. Die jungen Spieler bekommen ein absurdes Verhältnis dazu und spielen nicht mehr, weil sie ihrer Leidenschaft nachgehen, sondern des Geldes wegen", so Hartmann. Es gehört sehr viel persönliche Stärke und frühe Reife dazu, diesem Sog zu widerstehen.

Maßstab Tabellenstand

Umso höher ein Jugendlicher im System aus Sichtungs-, Selektions- und Fördermaßnahmen steigt, desto mehr wird sein Alltag davon strukturiert. Es fehlt der Raum, eigene unzensierte und unkontrollierte Erfahrungen zu machen.
"Im System Fußball stehen die Akteure dauerhaft unter Druck, weil sie immer Ergebnisse liefern, dauerhaft funktionieren und sich immer an Tabellenständen messen müssen", sagt der Sport-Psychologe René Paasch.

Sport-Psychologen Pflicht in Leistungszentren

In den Leistungszentren ist es Pflicht, den Talenten zu helfen. Es gibt mindestens einen hauptberuflichen Sport-Psychologen, bei dem die Tür immer offensteht – wie Paula Isringhausen bei Hertha BSC. Sie betont, wie wichtig es ist, dass die Jugendlichen lernen, ihren persönlichen Wert auch über andere Dinge als den Sport zu definieren und:
Dass sie sich nicht davon abhängig machen, ob sie nun 90 Minuten gespielt und drei Tore geschossen haben.
Hertha-Sportpsychologin Paula Isringhausen
Für Manu Thiele, der im aktuellen Bolzplatz mit Ex-Torwart René Adler auch die Drucksituation erwachsener Profis bespricht, ist es wichtig, dass es nicht als Schwäche angesehen wird, wenn jemand mentale Probleme anspreche. Jeder, der sich öffne, sollte "die volle Rückendeckung bekommen."

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