: "Können nicht so tun, als sei alles gut"

von Ralf Lorenzen
08.11.2022 | 06:21 Uhr
Stell dir vor, es ist Fußball-WM und keiner schaltet ein. Zahlreiche Veranstalter bieten aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen in Katar kein Public Viewing an.
In dieser Form wird Public Viewing bei der WM 2022 weniger stattfinden.Quelle: IMAGO / snapshot
Die Nürnberger Agentur Werk:B-Events freut sich schon auf die Übertragung attraktiver Fußballspiele - allerdings erst zur Europameisterschaft 2024. Dann wolle sie wieder "aktiv an einem möglichen Sommermärchen in gewohntem Umfang mitschreiben".

Zeichen gegen Menschenrechtsverletzungen

Während der bevorstehenden WM in Katar bleiben die von ihr betriebenen "Nürnberger Winterhütten" Weihnachtsfeiern und Glühweinfans vorbehalten. Fußball gibt es dort nicht zu sehen, um "ein Zeichen gegen die Menschenrechtsverletzungen" zu setzen, wie es heißt.
Ob Großveranstalter oder kleine Kneipen - das hierzulande seit der Heim-WM 2006 bei jedem fußballerischen Großevent zelebrierte Rudelgucken wird diesmal an wesentlich weniger Orten stattfinden. Die Liste der Gaststätten, die sich der Initiative "Kein Katar in meiner Kneipe" angeschlossen hat, wird ständig länger.

Nicht-Gucken als Statement

"Wir sehen das als Erfolg der Diskussion, die von Fanseite und Menschenrechtsgruppen ausgegangen ist", sagt der Publizist Bernd Beyer, einer der Mitinitiatoren der BoycottQatar-Kampagne, ZDFsport. Dabei reicht es den meisten Locations nicht, die Leinwand einfach weiß zu lassen.
"Es geht auch darum, ein Statement zu setzen", sagte Fabian Spannhut, Wirt der Hamburger Kneipe "Grete", dem NDR.
Der ganze Rummel lebt davon, dass die Leute zuschauen.
Fabian Spannhut
"Dann lässt man es eben dieses Jahr einfach und sagt: 'Wir sind kurz vor der Weihnachtszeit, lass uns doch lieber am Glühweinstand treffen", so Spannhut.

Breite Ablehnung

In der Bonner Kneipe "Die Wache" fiel eine Abstimmung der Gäste mit 97 Prozent gegen eine Übertragung aus. Dafür laufen dort wie in vielen anderen Kneipen während der WM Spiele "aus Zeiten, in denen die Welt rum um 'König Fußball' noch (zumindest halbwegs) in Ordnung war", wie es auf der Facebook-Seite der Studentenkneipe heißt.
Diese Haltung beschränkt sich nicht auf die alternative Kneipenszene, sondern ist auf dem besten Weg zum Mainstream zu werden. "Wir haben im Park Cafe seit den 90er Jahren alle großen Fußballturniere gezeigt", schreibt das Münchner Lokal, dessen Kaminsaal nach eigenen Angaben über modernste Übertragungstechnik verfügt. "Dieses Jahr können wir das nicht mit unserem Gewissen und den heutigen Schwerpunkten vereinbaren."

Die meisten Städte verzichten auf Public Viewing

Die Kölner Brauerei "Mühlen Kölsch" begründete den bei Facebook verkündeten Übertragungsverzicht in ihren Einrichtungen ebenfalls mit den Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland:
Wir können nicht einfach die Ukraine-Flaggen an unserer Fassade gegen Deutschland-Fahnen austauschen und so tun, als sei alles gut!
Kölner Brauerei "Mühlen Kölsch"
Angesichts der öffentlichen Debatte um die Austragung der WM in Katar haben sich in den letzten Monaten auch zahlreiche Städte positioniert und Public Viewings oder Fanfeste in ihren Zentren eine Absage erteilt. Die Begründung dafür sind meist wie in Kiel oder Nürnberg auf die Lage der Menschenrechte in Katar bezogen. Unklar bleibt jedoch, inwieweit auch andere Hemmnisse wie die kalte Jahreszeit und die noch anhaltende Pandemie die Austragung größere Spektakel sowieso stark eingeschränkt hätten.

Nagelprobe in Wolfsburg

Die Nagelprobe, ob Public Viewing auch zur Weihnachtszeit funktioniert, wird in Wolfsburg geliefert. Dort werden Fußball und Glühwein verbunden und auf einer LED-Wand auf dem Weihnachtsmarkt zumindest die deutschen Spiele gezeigt.
Wir haben die Menschrechtsproblematik im Hinterkopf, aber wir wollen nicht die Fans und Sportler bestrafen.
Wolfsburgs Citymanagement-Bereichsleiter Frank Hitzschke im NDR
"Die können nichts für die Entscheidung, dass Katar der Austragungsort ist", so Hitzschke. So sehen es auch zahlreiche Gastronomen, die trotz Bedenken weiterhin Übertragungen in ihrer Kneipe planen, diese im Moment allerdings weniger öffentlichkeitswirksam ankündigen als andere ihre Nicht-Übertragung.

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