: Flick und der Tiefpunkt von Warschau

von Frank Hellmann
17.06.2023 | 10:30 Uhr
Die deutsche Nationalmannschaft erlebt in Polen die nächste Enttäuschung. Die Erklärungen von Bundestrainer Hansi Flick verfangen nicht mehr.
Tief im Erdgeschoss, auf Ebene -2 des offiziell als "PGE Narodowy" bezeichneten Nationalstadions von Warschau, versuchte sich Robert Lewandowski als Trostspender. "In der ganzen Fußball-Welt", sinnierte der zweimalige Weltfußballer, würden sich Nationalmannschaften gerade im Umbruch befinden. Alte Bekannte gehen, neue Namen kommen.

Lewandowski tröstet und beruhigt

"Deutschland hat noch Zeit bis zur EM. Man muss geduldig bleiben. Deutschland wird besser spielen", beruhigte der fast 35-Jährige und betonte nach dem erst zweiten Länderspielsieg Polens gegen den einst übermächtigen Nachbarn: "Wir hatten das Glück auf unserer Seite."
Dem bereits zur Pause ausgewechselten Stürmerstar des FC Barcelona - ein EM-Qualifikationsspiel in Moldau wartet noch - war nicht entgangen, dass in der pompösen Spielstätte an der Weichsel die Amtszeit von Bundestrainer Hansi Flick stimmungsmäßig auf dem Tiefpunkt angelangt ist.

Bundestrainer Flick beschwichtigt

Enttäuschungen in Endlosschleife nagen am Selbstverständnis. Und doch beteuerte auch Flick im Pressesaal des polnischen Nationalstadions: "Wir haben ausreichend Zeit, um die Mannschaft vorzubereiten. Ich bin sicher, dass sie eine sehr, sehr gute Europameisterschaft spielen kann."
 

Bundestrainer Hansi Flick, Joshua Kimmich, Antonio Rüdiger und Robert Lewandowski nach dem Testspiel zwischen Polen und Deutschland im Interview.

17.06.2023 | 06:23 min
Und der Zerfall einer einst führenden Fußball-Nation ein Jahr vor dem Heimturnier? Würde bald ein Fußball-Unwort des Jahres gewählt, hätte der von Flick stets bemühte "Prozess" beste Chancen. Seine vielen Experimente verhindern überdies jeden Fortschritt. Diesmal stimmte gegen einen limitierten Gegner die Balance nicht.

Kimmich: "Zu behäbig, zu langsam"


"Wir waren auf Fehlervermeidung und Kontrolle aus. Wir wollten nicht zu viel riskieren", gab der bemühte Kapitän Joshua Kimmich zu, dafür habe man speziell in der ersten Halbzeit "zu behäbig, zu langsam" gespielt.
Am Ende häufte der Verlierer zwar 76 Prozent Ballbesitz und 26:2 Torschüsse an, aber dem Sieger genügte ein Kopfballtor von Jakub Kiwior (31.), denn hinter dem rot-weiß-roten Bollwerk betätigte sich Torhüter Wojciech Szczesny in Weltklasseform bis zum Schluss als Spaßverderber.
 
"Die haben eine Chance und treffen", haderte Verteidiger Antonio Rüdiger. Und der erst spät eingewechselte Torjäger Niclas Füllkrug warnte: "Wir müssen uns nichts vormachen, das wird bei der EM nicht anders sein."
Und so wird es weiter nichts mit einer schwarz-rot-goldenen Aufbruchsstimmung. Diese Länderspiel-Saison war eine zum Vergessen. Allein Siege gegen Oman (1:0), Costa-Rica (4:2) und Peru (2:0) bezeugen die Verzwergung ins Mittelmaß. "Es gibt Phasen, die dann so verlaufen. Aber wir werden da rauskommen. Ich bin absolut von unserem Weg überzeugt", beteuerte Flick, der immerhin in Debütant Malick Thiaw einen Lichtblick sehen durfte.

Gegen Kolumbien muss ein Sieg her

Man wolle diese Juni-Maßnahme noch "mit einem positiven Erlebnis beenden", merkte der Bundestrainer an, wenn es am Dienstag in Gelsenkirchen gegen Kolumbien geht.
Ein Sieg würde Vertrauen geben und ein wenig Ruhe reinbringen. Wir müssen fighten und gewinnen, das ist unser Auftrag.
Bundestrainer Hansi Flick
Offenkundig wird die Arena auf Schalke nicht ausverkauft sein, sonst würde nicht auf allen DFB-Kanälen so für Tickets getrommelt. Offenbar wollen sich viele eine Mannschaft gar nicht mehr antun, die außer Mitleid kaum noch Gefühlsregungen hervorruft.

Neuendorf hält still

"Stabilität" hat Flick übrigens nebenbei erst für die nächste Maßnahme angekündigt. Im Gegensatz zum Sportdirektor Rudi Völler reichen dem Bundestrainer also passende Resultate, wenn es gegen WM-Schreck Japan (9. September) und Vizeweltmeister Frankreich (12. September) geht. Die Indizien verdichten sich, dass Flick bereits in die Joachim-Löw-Falle getappt ist, in der das Gespür für Stimmungen und Strömungen fehlt.
Wie lange will der DFB da noch zuschauen? Der Verband hat eigentlich weder das Geld noch den Kandidaten, um mal eben den Bundestrainer zu tauschen. Um solche Fragen zu umgehen, stapften Präsident Bernd Neuendorf und Generalsekretärin Heike Ullrich kommentarlos im Rücken des Journalistenpulks zum Bus. Aber dafür sprach ja Polens Torjäger Lewandowski. Seine Botschaft: "Mit den Spielern, die Deutschland hat, kann man auch positiv nach vorne schauen."

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