: Olympia-Posse befeuert Testosteron-Debatte

von Tobias Bluhm
01.08.2024 | 18:10 Uhr
Ein Olympia-Boxkampf sorgt für neuerliche Diskussionen um Testosteron-Grenzwerte im Leistungssport. Das IOC steht dabei vor einer nur schwer lösbaren Frage.

Im olympischen Boxturnier kam es zwischen Angela Carini und Imane Khelif zum Eklat: Nach nur 46 Sekunden brach die Italienerin das Duell ab. Der Kampf in voller Länge.

01.08.2024 | 02:13 min
Der große Traum einer olympischen Medaille war für die Italienerin Angela Carini nach gerade mal 46 Sekunden im Viertelfinale beendet. Im Duell gegen Imane Khelif aus Algerien steckte Carini zwei harte Schläge ein. Anschließend klagte sie über starke Nasenschmerzen und wandte sich an ihren Trainer.
Nach kurzer Beratung gab Carinis Coach dem Schiedsrichter schließlich das Signal, den Kampf abzubrechen. "Ich will nicht für das IOC urteilen und ich weiß, dass das Thema schwierig ist, aber dieser Kampf war unfair", sagte er anschließend.

Khelif bereits bei WM wegen Testosteron-Werten ausgeschlossen

Der ungleiche Kampf zwischen Carini und ihrer Gegnerin Khelif hat eine Vorgeschichte. Denn vor etwas mehr als einem Jahr wurde die 25-jährige Khelif bereits von der Box-Weltmeisterschaft des Verbands IBA ausgeschlossen - wegen zu hohen Werten des männlichen Sexualhormons Testosteron.
Sie könnte dadurch, so die Befürchtung, unfaire physiologische Vorteile gegenüber ihren Rivalinnen haben: höhere Hämoglobinwerte und mehr Muskelmasse etwa, wodurch die Leistung verbessert beziehungsweise Schläge härter werden könnten.
In Paris darf Khelif dennoch um Medaillen kämpfen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC), das die IBA unter anderem aufgrund von Korruptionsvorwürfen nicht anerkennt, erteilte der Algerierin wenige Tage vor dem Turnier die finale Starterlaubnis.

IOC erteilte Startberechtigung

Ebenso ließ sie Lin Yu-ting aus Taiwan für Olympia zu. Auch sie wurde bei der IBA-WM im vergangenen Jahr wegen zu hohen Testosteron-Werten nachträglich ausgeschlossen. Lins erster Kampf ist für den Freitagnachmittag (2. August) angesetzt.
Für das IOC gilt: "Sie sind laut ihres Passes Frauen. Sie haben seit vielen Jahren an Wettbewerben teilgenommen und sind nicht plötzlich aufgetaucht. Sie sind unter den Regeln des Verbands teilnahmeberechtigt", erläuterte IOC-Sprecher Mark Adams zu diesem Thema unter der Woche. Ähnlich äußerte sich das Komitee in einem offiziellen Statement zu Khelif und Lin am Abend.
Sie sind Frauen.
IOC-Sprecher Mark Adams

Ministerpräsidentin Meloni beklagt "ungleichen" Kampf

Längst ist die Causa aber auch zu einer politischen geworden. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni prangerte einen "ungleichen" Kampf an: "Ich stimme nicht mit dem IOC überein. Ich denke, Athletinnen mit männlichen genetischen Merkmalen sollten nicht an Frauen-Wettbewerben teilnehmen dürfen."
"Nicht, weil wir jemanden diskriminieren wollen, sondern um das Recht der weiblichen Athleten zu schützen." Ganz ähnlich äußerten sich Italiens Vizepremier Matteo Salvini und Sportminister Andrea Abodi.

Testosteron-Diskussion schwelt seit Jahren

Die Debatte um Testosteron-Werte im Frauensport schwelt seit mehreren Jahren. Im Fokus stand dabei bislang oft die zweifache 800-Meter-Olympiasiegerin Caster Semenya (Südafrika), die seit 2019 aufgrund einer Testosteron-Obergrenze nicht mehr bei internationalen Leichtathletik-Rennen teilnehmen darf.
Semenya war ohne Eierstöcke und Gebärmutter geboren worden, dafür mit innenliegenden Hoden - und eben hohen Testosteronwerten. Das Phänomen, dass Menschen nicht eindeutig als männlich oder weiblich einzuordnen sind, ist als Intergeschlechtlichkeit bekannt.
Gegen ihr Startverbot und die Testosteronregel legte Semenya Protest ein. Der Fall liegt seit November 2023 der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor.

Algerischer Verband stellt sich hinter Khelif

Und Imane Khelif bei den Olympischen Spielen? Die Boxerin wurde vom IOC als Siegerin des Kampfes gewertet und soll in wenigen Tagen ihr Halbfinale bestreiten.
"Die ganze Nation steht hinter dir und ist stolz auf deine Leistungen", stellte sich das das algerische Olympia-Komitee angesichts der Kritik vieler Boxfans, die vor allem in den sozialen Medien auf Khelif hereinprasselte, vor die Athletin.

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Quelle: ZDF
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Wie umgehen mit intersexuellen Athletinnen?

Das IOC indessen sieht sich mit der unbequemen Frage konfrontiert, welchem Wunsch es gerecht werden will: Jenem von intergeschlechtlichen Frauen, nicht diskriminiert zu werden? Oder der ebenfalls nicht unberechtigten Befürchtung von Cis-Frauen, aufgrund des unterschiedlichen Testosteronniveaus einen Nachteil zu erfahren?
Eine pragmatische Lösung in dieser Debatte scheint allenfalls erst nach den Olympischen Spielen gefunden werden zu können. Khelifs nächster Kampf ist für Samstag, den 3. August terminiert. Dann trifft sie auf Anna Luca Hamori aus Ungarn.
Quelle: ZDF, dpa, sid

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