: Darum hat das deutsche Tennis Nachwuchssorgen

von Petra Philippsen
23.06.2023 | 15:21 Uhr
Alexander Zverev und dann lange nichts? Zuletzt ließ auch die zweite Garde im deutschen Männertennis aufhorchen. Langfristig bleiben aber die altbekannten Probleme.
Alexander Zverev war in den vergangenen Jahren oft der Alleinunterhalter im deutschen Männer-Tennis.Quelle: reuters
Im Hier und Jetzt lässt es sich gut aushalten. Denn da steht es um das deutsche Herrentennis gar nicht so schlecht. Alexander Zverev hat es beim 500er-Turnier im westfälischen Halle schon bis ins Viertelfinale geschafft, mit Jan-Lennard Struff und Yannick Hanfmann haben zwei weitere deutsche Profis den Sprung dorthin knapp verpasst.
"Ich bin unglaublich überrascht und glücklich darüber, was das deutsche Männertennis gerade zu bieten hat", meinte Zverev schon bei den French Open in Paris, als neben Struff und Hanfmann auch Daniel Altmaier während der Sandplatzsaison für Furore sorgte - gar mit spektakulären Siegen über Top-Ten-Spieler.
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Vier deutsche Spieler in den Top 60

Normalerweise ist Zverev die alleinige Gegenwart im deutschen Herrentennis und hinter dem Olympiasieger kommt lange nichts. Bei großen Turnieren werden nur vom 26 Jahre alten Hamburger die Erfolge erwartet. Auch im Davis Cup stützen sich die Hoffnungen vor allem auf Zverev.
Doch nun steht er nicht mehr alleine im Fokus - seine drei Mitstreiter sind ebenfalls unter den Top 60 zu finden. Struff liegt in dieser Woche sogar einen Platz vor Zverev (21), am Montag zieht dieser in der Weltrangliste aber wieder vorbei.

Deutsche Erfolge erst mit Mitte 20

Der Konkurrenzkampf tut allen gut. "Man sieht, was die anderen schaffen und dann denkt man sich: Ich kann das auch", sagt Hanfmann. Mit seinen 31 Jahren ist es ein später Frühling für ihn, wie auch beim 33-jährigen Struff. Einzig Altmaier ist 24 Jahre alt. "Ich bin ein Spätstarter", sagt Struff. "Ich habe meine Zeit gebraucht."
Und das ist eines der deutschen Probleme: Die Erfolge kommen oft erst mit Mitte 20, wenn Top-Talente anderer Nationen mit 19 Jahren schon Grand-Slam-Sieger sind, wie der Spanier Carlos Alcaraz. "Wir kennen das Problem", sagt Bundestrainer Michael Kohlmann, bei den 18- bis 20-Jährigen sei man "leider im Verhältnis zu den anderen Nationen weit hintendran".

Spagat zwischen Schule und Leistungssport

In Deutschland geht man den dualen Weg aus Schule und Leistungssport, andere Länder setzen direkt alles auf die Profikarriere. Der 22-malige Grand-Slam-Champion Rafael Nadal etwa war mit 15 Jahren schon viel weiter als die Konkurrenz.
Rafa hatte mit 15 schon 10.000 Bälle mehr geschlagen als ich mit 15. Das lässt sich nicht aufholen.
Ex-Profi Florian Mayer über Rafael Nadal
Spanien hat zudem deutlich bessere Strukturen in den unteren Turnierebenen, eine wichtige Basis für die Nachwuchsspieler. "Wir haben in Deutschland in der Spitze eine gute Turnier-Landschaft für ATP und WTA", sagt Bundestrainer Kohlmann: "Uns fehlen aber Challenger- und Future-Turniere. Diese kosten Geld und man braucht Veranstalter." Geld, das der Verband nicht hat.

Zu früher Hype um Talent Molleker

Bei seinen Jahrgängen 2007 und 2008 sieht Kohlmann Potenzial, doch eine Karriere lässt sich eben nicht vorhersagen. Ein Beispiel ist Rudolf Molleker: Mit 14 Jahren spielte er bereits auf der Tour, mit 18 Jahren schien er auf dem Sprung in die Top 100. Dann der Absturz. Alles kam zu früh, der Hype, der Druck, das Verlassen des Elternhauses. Nun ist Molleker 22 Jahre alt, zurück in seinem alten Umfeld und langsam auf dem Weg zu einem Neustart.
"Ich habe Hochachtung vor allen, die so früh so gut spielen", sagt Struff, der mit 19 Jahren nach seinem Abitur als Profi begann. Mit 23 Jahren stand er in den Top 100, "dann hatte ich Aufs und Abs. Aber aus den Rückschlägen habe ich am meisten gelernt."

Wer will sich noch quälen?

Sich Zeit zu geben für eine Karriere, diese Geduld bringen heute nicht mehr viele auf und geben vorzeitig auf. Während gerade aus Osteuropa derzeit sehr junge Talente im Profi-Tennis aufhorchen lassen, ist man in Deutschland längst nicht so getrieben von sportlichem Ehrgeiz und wirtschaftlichen Zwängen.
"Vielleicht hat der Leistungssport nicht mehr dieses Ansehen", vermutet Kohlmann: "Sicherheit ist ein wichtiges Thema." Und die hat eine Sportkarriere noch nie geboten.

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