FAQ

: Sollte man Löhne an die Inflation koppeln?

von Oliver Klein
19.05.2023 | 15:13 Uhr
In Belgien steigen Löhne und Sozialleistungen automatisch mit der Inflation - und Belgiens Wirtschaft steht vergleichsweise gut da. Ein Vorbild für Deutschland? Eher nicht.
Ein Blick auf den Kassenbon löst bei den Verbrauchern oft Entsetzen aus. Sind Indexlöhne ein Ausweg?Quelle: SVEN SIMON
Deutlich mehr Gehalt, ganz automatisch, ohne Streik - und auch noch genug, um die hohe Inflationsrate auszugleichen: Sogenannte "Indexlöhne", gekoppelt an die Inflationsrate, machen das möglich. Das Konzept gibt es in der EU in Belgien, Malta, Zypern und Luxemburg. Wie funktioniert das genau? Was sind die Vor- und Nachteile und welche Auswirkungen hat das auf die Wirtschaft? ZDFheute klärt die wichtigsten Fragen.

Wie funktionieren Indexlöhne?

Zunächst wird der Verbraucherpreisindex berechnet, in der Regel über einen imaginären Warenkorb, der 600 Produkte und Dienstleistungen enthält. In dem Maße, wie die Inflation steigt, werden auch Gehälter, Renten und Sozialleistungen angehoben.
Beispiel Belgien: Hier umfasst der Warenkorb 600 Produkte und Dienstleistungen, nur Tabak, Alkohol, Benzin und Diesel sind ausgeklammert. Ab einem bestimmten Grenzwert werden die Gehälter an die so ermittelte Inflationsrate angepasst - im Öffentlichen Dienst sogar mehrmals im Jahr, im privaten Sektor nur einmal im Jahr. So erhalten viele Belgier seit dem ersten Januar dieses Jahres etwa elf Prozent mehr Lohn - ein Rekordanstieg.

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12.05.2023 | 03:28 min

Was spricht für Indexlöhne?

Mit einer Lohnindexierung sind Arbeitnehmer, aber auch Rentner und Empfänger staatlicher Leistungen weitgehend gegen Preissteigerungen abgesichert. Befürworter betonen, dass das auch den sozialen Frieden in der Gesellschaft sichere. Diesen Aspekt sieht auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einer Dokumentation von 2020. Eine weitere Auswirkung: Bei einer Lohnindexierung besteht praktisch kein Risiko von Streiks.
Steigende Löhne wirken sich auch auf den Konsum aus und können so das Wirtschaftswachstum steigern - zu diesem Ergebnis kommt unter anderem eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung von 2017.
Genau das zeigt sich aktuell in der Praxis in Belgien: Die EU-Kommission bestätigt dem Land in ihrer jüngsten Wirtschaftsprognose, dass die Indexierung der Löhne die Kaufkraft der Menschen und damit den privaten Konsum stützt – und so letztendlich die Wirtschaft ankurbelt. Das Wirtschaftswachstum wird für Belgien 2023 mit 1,2 Prozent prognostiziert, etwas mehr als im EU-Durchschnitt. Die Arbeitslosenquote soll sich den Prognosen zufolge kaum verändern. In Deutschland soll die Wirtschaft mit lediglich 0,2 Prozent wachsen.

Was spricht gegen Indexlöhne?

Steigende Löhne selbst können die Inflation weiter anheizen - zu diesem Ergebnis kommt die Bundesbank 2019 in einer Analyse. Dort heißt es: "Eine Lohnänderung um ein Prozent führt somit zu einer Änderung der Verbraucherpreise von rund 0,3 Prozent."

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Ein weiterer Kritikpunkt: Mangelnde soziale Gerechtigkeit. Eine Indexierung der Löhne ignoriere, dass die Inflation gerade in Krisenzeiten Menschen mit geringen Löhnen viel härter treffen, erklärt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gegenüber ZDFheute. Denn: Ausgerechnet wer viel verdient, würde von prozentualen Steigerungen durch Indexlöhne deutlich stärker profitieren, als die, die den Ausgleich dringend brauchen.
Außerdem sei das System zu starr - die Lohnentwicklung solle sich nicht primär an der Inflation, sondern an der Produktivität der Unternehmen orientieren, erläutert Fratzscher.
Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, sind langfristig kontraproduktiv für Beschäftigte, da die Produktivität langfristig deutlich über der Inflationsrate liegt.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

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15.05.2023 | 01:02 min
Dominik Groll vom Kieler Institut für Weltwirtschaft steht Indexlöhnen ebenfalls kritisch gegenüber: "Letztendlich wird das Geld nur umverteilt, von den Unternehmen hin zu den Arbeitnehmern. Die Umverteilung geht dann zulasten der Investitionen der Unternehmen", erklärt Groll.
Man kann nicht dauerhaftes Wirtschaftswachstum durch eine solche Umverteilung schaffen.
Dominik Groll, Institut für Weltwirtschaft in Kiel 
Aus der Wirtschaft kommen Warnungen, Unternehmen könnten durch zu hohe Lohnaufschläge überlastet und nicht mehr wettbewerbsfähig sein - am Ende könnte ein Stellenabbau stehen, mahnt auch Reint E. Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung im mdr.

Was sagen Gewerkschaften zu Indexlöhnen?

Verdi-Sprecher Jan Jurczyk winkt ab - ein solches Konzept sei nicht einfach so auf Deutschland übertragbar. Es gebe hier eine "ganz andere Rechtstradition", nämlich die Tarifautonomie: "Gewerkschaften und Arbeitgeber verhandeln hier nicht nur die Löhne, sondern – an die unterschiedlichen Betriebe und Branchen angepasst – auch Arbeitsbedingungen, Urlaub, Arbeitsschutz. All das müsste andernfalls der Staat zentral regeln."

Was halten die Deutschen von Indexlöhnen?

Eine deutliche Mehrheit der Menschen findet das Konzept dennoch auch für Deutschland gut: In einer Forsa-Umfrage für "RTL/ntv" aus dem Jahr 2022 sprachen sich 70 Prozent der Befragten für Indexlöhne aus. Etwa 20 Prozent waren dagegen, 10 Prozent hatten keine Meinung dazu. Sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands und auch unter den Anhängern verschiedener Parteien gab es demnach jeweils eine Mehrheit für Indexlöhne.

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