: EZB erhöht Leitzinsen erneut um 0,75 Punkte

27.10.2022 | 12:17 Uhr
Die Europäische Zentralbank (EZB) kämpft mit einer erneuten Jumbo-Zinserhöhung gegen die von Rekord zu Rekord eilende Inflation im Euro-Raum.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine Zinserhöhung um weitere 0,75 Prozentpunkte im Kampf gegen die steigende Inflation beschlossen. Die Währungshüter um Notenbank-Chefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, den Leitzins um 0,75 Punkte auf nunmehr 2,0 Prozent anzuheben.
Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz wurde im selben Umfang auf 1,5 Prozent erhöht. Dies ist nach September die zweite XXL-Zinserhöhung in Folge und insgesamt bereits der dritte Straffungsschritt.

EZB rechnet mit weiteren Zinserhöhungen

Die Währungshüter signalisierten zugleich ihre Bereitschaft zu weiteren Zinserhöhungen:
Der Rat geht davon aus, dass er die Zinsen weiter anheben wird.
EZB-Mitteilung
Mit ihrem abermaligen großen Zinsschritt reagieren die Währungshüter auf den anhaltenden Preisschub. Angetrieben von den steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen infolge des Ukraine-Kriegs ist die Inflationsrate im September auf 9,9 Prozent geklettert - das höchste Niveau seit Gründung der Währungsunion.
Die Teuerung hat dabei immer weitere Bereiche der Wirtschaft erfasst. Auch ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel zog die Teuerungsrate zuletzt kräftig an. Die Inflation liegt inzwischen fast fünfmal so hoch wie das Inflationsziel der Notenbank von zwei Prozent, das sie als ideal für die Wirtschaft erachtet.

Drohende Rezession, Inflation und hohe Energiepreise

Die Währungshüter wollen unbedingt vermeiden, dass sich die hohe Inflation in den Köpfen der Menschen festsetzt. Das Kalkül: Wenn die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen, wird es für die EZB noch schwieriger, die Teuerung wieder einzudämmen und in Richtung ihrer Zielmarke zu bewegen.
ZDFheute Infografik
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Im Vorfeld der Zinssitzung hatten sich bereits viele Währungshüter dafür ausgesprochen, erneut eine ungewöhnlich starke Zinserhöhung von 0,75 Prozentpunkten zu beschließen. Auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte einen robusten Zinsschritt gefordert. EZB-Präsidentin Lagarde wird auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss voraussichtlich danach befragt werden, wie es geldpolitisch weitergeht.
Volkswirte gingen zuletzt davon aus, dass die Notenbank Mitte Dezember auf ihrer letzten Zinssitzung in diesem Jahr nachlegen wird. Nach ihrer Einschätzung wird sie dann aber womöglich die Zinsschrauben nicht mehr ganz so stark anziehen. Denn die Energiepreise waren zuletzt wieder etwas gesunken. Zudem dürfte die drohende Rezession in der Euro-Zone dafür sorgen, dass sich der Preisdruck etwas abmildert.
Die Wirtschaft begrüßt die EZB-Zinsanhebung. Reaktionen aus Deutschland:

Volker Treier, Außenwirtschaftschef DIHK

"Die EZB kann mit ihrem Handeln zwar nicht die importierten Inflationstreiber in Form der dramatisch gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise komplett einfangen", sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, am Donnerstag. "Jedoch würde ohne Zinsanhebung der Euro gegenüber dem Dollar noch schwächer werden." Dann würde importierte Energie sogar noch teurer werden als ohnehin schon.

Für Unternehmen seien nicht nur hohe Zinsen, sondern auch unsichere Rahmenbedingungen wie hohe Inflationsraten Gift. "Daher sollte die Geldpolitik den neuen Kurs beibehalten", sagte Treier, nachdem die EZB ihren Leitzins erneut kräftig von 1,25 auf 2,0 Prozent angehoben hatte.

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV

"Da das primäre Mandat der EZB Preisstabilität ist, war dies heute ein richtiger Schritt, dem vermutlich ein weiterer in diesem Jahr folgen wird", sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen.

Jörg Krämer, Commerzbank-Chefvolkswirt

Aus Sicht von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sollte die EZB die Zinsen in den kommenden Monaten weiter entschieden anheben und sich nicht von der anbahnenden Rezession irritieren lassen. "Der Euroraum braucht einen EZB-Einlagensatz in der Größenordnung von vier Prozent", so Krämer. Andernfalls würden zuletzt massiv gestiegenen Inflationserwartungen der Bürger weiter zulegen, und die hohe Inflation setze sich dauerhaft fest.

Friedrich Heinemann, Ökonom vom ZEW

Ökonomen äußerten auch Kritik, dass die EZB nicht schon so früh wie etwa die US-Notenbank mit der Straffung ihrer Geldpolitik begonnen habe. "Die EZB hat im Vergleich zur Fed den rechtzeitigen Start bei der Zinswende verpasst", sagte Ökonom Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

"Daher muss sie angesichts der Rekord-Inflation jetzt besonders schnell aus dem Terrain unangemessen niedriger Leitzinsen heraus." Die Rekordteuerung von aktuell 9,9 Prozent und noch mehr die gestiegenen Inflationserwartungen würden für Zinsanhebungen auf Werte in Richtung von vier Prozent im kommenden Jahr sprechen.

Henriette Peucker, Führungsteam des Bankenverbands

"Das ist nötig, denn die Inflation im Euroraum erweist sich als immer hartnäckiger", sagte die Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers des Bankenverbandes, Henriette Peucker. Die Zinsschritte seien das wichtigste Instrument der EZB, um gegen die aktuelle Inflationsdynamik anzugehen. "Zudem werden sich auch die wirtschaftlichen Perspektiven im Euroraum ohne eine Trendwende bei der Inflation nicht aufhellen", sagte sie.

Verschärfte Bedingungen für Langfristkredite an Geschäftsbanken

Die EZB hat die Bedingungen für langfristige Kredite an die Geschäftsbanken verschärft. Ab dem 23. November wird die Notenbank für die Kredite im Rahmen des TLTRO-Programms den durchschnittlichen Leitzins erheben, teilte die Notenbank am Donnerstag nach der Zinsentscheidung mit.
Die EZB hatte zwei Billionen Euro an extrem günstigen Krediten mit langer Laufzeit an die Banken aufgelegt, um die Folgen der Corona-Krise abzufedern. Die Vereinbarungen zu den besonders günstigen Konditionen waren problematisch geworden, nachdem die jüngsten raschen Zinserhöhungen es den Kreditgebern ermöglicht hatten, TLTRO-Gelder auf EZB-Konten zu parken und risikolose Erträge zu erzielen.
Was die Leitzinserhöhungen bringen, erklärt ZDF-Börsenexperte Frank Bethmann:
Quelle: reuters, dpa

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