: Wenn die kleinste Hütte zum Luxus wird

von Lukas Nickel, Paris
26.02.2023 | 18:01 Uhr
Eine Zehn-Quadratmeter-Wohnung in Paris - manche sprechen da schon von Glück. Denn Wohnraum ist knapp und teuer. Und ein neues Klimaschutzgesetz verschärft die Probleme.

10 Quadratmeter Wohnfläche – mehr nicht. Trotzdem geben Käufer Unsummen aus, nur um eine Wohnung in Paris zu besitzen. Und jetzt könnte es noch teurer werden.

16.02.2023 | 02:08 min
Genau 10,22 Quadratmeter hat Ida Gaede zum Leben. Und wenn es in der Nacht so richtig kalt ist, wacht sie mangels guter Isolierung auch mal bei zwölf Grad im Zimmer auf. Die Dusche und Toilette im Hausflur teilt sie sich mit einem Zimmernachbarn. Dort ist es noch kälter, vor allem wenn sie morgens aus der Dusche rauskommt. Die 24-Jährige nimmt es mit Humor:
Andere Leute gehen Eisbaden, ich gehe einfach duschen.
Ida Gaede, Studentin in Paris
In ihrem kleinen Reich stehen die Lebensmittel gleich neben dem Bett und der Wasserkocher auf dem Boden. Arbeiten, das macht Gaede auf dem Bett, der Schreibtisch mit kleinem Hocker ist auf Dauer zu unbequem. Und das alles für 580 Euro kalt, ganz oben im Dachgeschoss in einem der klassischen Haussmann-Gebäude im schicken siebten Arrondissement von Paris. Eine Horrorvorstellung? Sie habe noch Glück, sagt Gaede. Andere hätten auch die Dusche mit im Zimmer und damit noch weniger Platz.

Jede dritte Wohnung in Paris gilt als schlecht isoliert

Vor dreieinhalb Jahren ist Gaede aus Köln für ihr Studium nach Paris gekommen, seitdem wohnt sie in ihrem kleinen Zimmer. Die Studentin schaut zwar nach einer Wohngemeinschaft, doch auch hier stellt sich die Suche alles andere als einfach heraus. Meistens bekomme sie gar keine Antwort. Und manchmal werde sie gefragt, ob sie schon eine Kaution überweisen könne, ohne die Wohnung überhaupt gesehen zu haben. "Es gibt einfach sehr, sehr wenig. Und dann nimmt man das, was man bekommt", sagt Gaede.
Im Rahmen eines Klimaschutzgesetzes dürfen in Frankreich seit Beginn des Jahres besonders schlecht isolierte Wohnungen nicht mehr neu vermietet werden, wenn sie nicht vorher energetisch saniert worden sind. Das bedeutet in den meisten Fällen: Heizung austauschen und die Wände neu isolieren. Schrittweise betrifft das bis 2034 ein gutes Drittel aller Wohnungen in Frankreich. In Paris gilt aufgrund der alten Bausubstanz schon jetzt ein Drittel als schlecht isoliert.
Auch in Deutschland herrscht Wohnungsmangel - ZDFheute live sprach mit Bauministerin Geywitz (13.1.2023):

Renovierungen aufwendig und teuer

Besonders energiehungrig sind vor allem kleine Wohnungen ganz oben in den Gebäuden. Das Problem: Solche Renovierungen sind häufig aufwendig und teuer. Jean Pinsolle vom Pariser Wohnungsbesitzerverband warnt vor einer Blockade des Mietmarkts: "Derzeit liegt die Rendite einer Immobilie in Frankreich bei ein bis zweieinhalb Prozent. Wenn Sie dabei noch einen Kredit abbezahlen müssen, haben Sie keine Mittel für eine umfassende Renovierung."
Tatsächlich machen Wohnungen mit besonders schlechter Energiebilanz derzeit 20 Prozent der zum Kauf angebotenen Wohnungen aus. Vor zwei Jahren waren es nicht einmal zehn Prozent, erklärt Thomas Lefebvre, wissenschaftlicher Leiter des größten französischen Immobilienportals SeLoger.

Weniger Mietwohnungen verfügbar

Gleichzeitig gibt es deutlich weniger Wohnungen zur Miete im Angebot als noch vor einem halben Jahr. "Wegen der gestiegenen Zinsen bleiben die Menschen länger in Mietverhältnissen und kaufen weniger schnell eigene Immobilien", so der Experte. Weil die Menschen also länger in ihren Mietwohnungen bleiben, gebe es schon jetzt weniger freie Wohnungen auf dem Markt.
Markt Macht Mieten - der Kampf um bezahlbaren Wohnraum (16.8.2021):

Mietendeckel wird oft ignoriert

Das gut gemeinte Klimaschutzgesetz vergrößert damit die Probleme auf dem Pariser Mietmarkt. Die angespannte Lage zeigt sich auch in der Bevölkerungsentwicklung von Paris: In den vergangenen zehn Jahren haben 123.000 Menschen der Stadt den Rücken gekehrt. Meist sind sie in das günstigere Umland von Paris gezogen.
Ein weiteres Problem: Der 2019 eingeführte Mietendeckel in Paris wird in gut einem Drittel der Fälle nicht respektiert, und nur sehr wenige Mieter zeigen eine zu hohe Miete bei den Behörden an.

"Lieber diese Wohnung als gar keine"

Ida Gaede hat auf dem Online-Portal der Stadt errechnet, dass sie gut 150 Euro weniger Miete bezahlen müsste. In den dreieinhalb Jahren haben sich also mehr als 5.000 Euro angesammelt, die sie zu viel bezahlt hat. Jetzt wartet sie darauf, dass die Stadt ihren Vermieter kontaktiert.
Ich bin sehr zurückhaltend, meinem Vermieter irgendetwas zu sagen, weil ich einfach Angst habe, die Wohnung zu verlieren.
Ida Gaede, Studentin in Paris
"Ich habe lieber diese Wohnung als gar keine Wohnung“, so Gaede. Für die nächsten Tage hat sie endlich ein paar Wohnungsbesichtigungen geplant.

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