: Klimabetrug: Prüfstellen rücken in den Fokus

von H. Koberstein, M. Orosz, N. Niedermeier
28.05.2024 | 19:38 Uhr
Bei dem Betrugsverdacht mit angeblichen Klimaschutzprojekten in China der deutschen Mineralölbranche rückt die Arbeit deutscher Prüfstellen in den Fokus.

Wer hierzulande tankt, der zahlt mit jedem Liter auch für Klimaschutzprojekte, auch in China. Doch wie ZDF-Recherchen zeigen, wird bei diesen Projekten mutmaßlich getrickst.

01.05.2024 | 02:42 min
Bei offenbar vorgetäuschten Klimaschutzprojekten von Mineralölkonzernen in China spielen deutsche Prüfstellen eine zentrale Rolle. Auf deren Arbeit hatte sich das Umweltbundesamt (UBA) bei der Genehmigung der Projekte verlassen.
Mit solchen Projekten erfüllen Ölkonzerne in Deutschland ihre gesetzlichen Klimaschutzvorgaben. Der Marktwert der Projekte in China liegt nach Berechnungen von ZDF frontal bei insgesamt rund 1,7 Milliarden Euro. Nach ZDF-Recherchen existieren viele dieser Projekte nur auf dem Papier.

Laut Aufsichtsbehörde hatten Prüfstellen keine Akkreditierung für Tätigkeiten in China

Insgesamt 65 solcher Klimaschutzprojekte entstanden seit 2020 in China, die meisten in der Provinz Xinjiang. Es geht dabei um sogenannte UER-Projekte, die bei der Ölförderung CO2-Emissionen einsparen sollen. Einen Großteil der Projekte haben die Prüfstellen Verico SCE mit Sitz in Langenbach und Müller BBM Cert Umweltgutachter GmbH aus Kerpen geprüft.
In ihren ausführlichen, öffentlich zugänglichen Berichten dokumentieren sie auch Vor-Ort Besuche, bescheinigen den Baubeginn der Anlagen und bestätigen die Menge der eingesparten Emissionen.
Recherchen von ZDF frontal legen Widersprüche in der Arbeit der Prüfstellen offen: Beispielsweise sind angeblich neu gebaute Anlagen auf Satellitenbildern schon lange vor dem angegebenen Baubeginn zu sehen.

Umweltbundesamt untersucht Arbeit der Prüfstellen

Inzwischen untersucht auch das Umweltbundesamt (UBA) die Arbeit der Prüfstellen. Außerdem verweist das UBA auf die zuständige Aufsichtsbehörde: die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS). Sie kontrolliert die Arbeit von Prüfstellen.
Brisant: Die DAkkS erklärt auf Nachfrage von ZDF frontal, dass keine der Prüfstellen, die chinesische Klimaschutzprojekte prüften, eine Akkreditierung hierfür habe. Eine solche Akkreditierung müsse sich explizit auf den Bereich "Upstream Emission Reductions" (UER) beziehen. Die DAkkS könne als Aufsichtsbehörde deshalb gar nicht kontrollieren. Sie will nun eine "möglicherweise falsche Anwendung" der Akkreditierung durch die Prüfstellen untersuchen.

Praktisch jeder internationale Großkonzern will klimaneutral werden – zumindest offiziell. Recherchen zeigen: Ambitionierte Klimaversprechen sind häufig wenig mehr als heiße Luft.

23.11.2023 | 35:48 min
Die Prüfstellen widersprechen vehement. Sie seien für ihre Prüfarbeit ordentlich bei der DAkkS akkreditiert. Müller BBM Cert schreibt auf Nachfrage: "Die Anforderungen an die UER-Registrierung (…) werden von uns erfüllt." Die Prüfstelle Verico verweist darauf, dass es gar keinen Akkreditierungsbereich gebe für den Bereich "Upstream Emission Reductions". Verico wörtlich: "Wir können uns auch nicht um etwas bemühen, was es nicht gibt." Und fügt hinzu:
Wir haben uns hier in keinster Weise einen Fehler oder gar eine Täuschung vorwerfen zu lassen.
Prüfstelle Verico
Die DAkkS bleibt dabei: Für die Prüfungen in China hätte es einer eigenen Akkreditierung bedurft, die die Prüfstellen nicht hätten.

Was sind UER-Projekte?

Mit der Idee von sogenannten Upstream Emission Reduction Projekten gab der Gesetzgeber in Deutschland 2020 Mineralölkonzernen eine zusätzliche Möglichkeit, die gesetzlichen Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erfüllen. Bei den meisten Projekten sollen CO2-Emissionen bei der Ölförderung reduziert werden. In der Regel soll das Begleitgas, das bei der Förderung anfällt, nicht mehr abgefackelt, sondern genutzt werden.

Für jedes Kilogramm CO2, das so eingespart wird, gibt es ein UER-Zertifikat. Diese Zertifikate können Mineralölkonzerne nutzen, um ihre gesetzliche Treibhausgasminderungsquote zu erfüllen. Außerdem können sie die Zertifikate an andere Mineralölunternehmen verkaufen. Anfangs war ein UER-Zertifikat mehr als 400 Euro wert. Der Preis ist mittlerweile stark gefallen.

Projektstandort zeigt nur Wüstensand

ZDF frontal hat zahlreiche Unstimmigkeiten in Berichten der Prüfstellen dokumentiert.
So etwa beim Projekt mit dem amtlichen Kürzel GPWK: Die angegebenen Koordinaten führen zu einem Standort mitten in der chinesischen Steppe. Im Umkreis von mehreren Kilometern ist hier keine Anlage zu sehen. Das belegen Drohnenaufnahmen und Satellitenbilder, die ZDF frontal ausgewertet hat. Das Umweltbundesamt kann auf Nachfrage diesen Umstand nicht erklären.
Drohnenaufnahme am Standort des angeblichen UER-Projekts GPWK. Quelle: ZDF
Das Projekt RWBZ: Auch hier zeigen die Koordinaten in allen Prüfberichten von zwei verschiedenen Prüfstellen auf Wüstensand. Dabei wird in den Berichten angegeben, die Koordinaten seien bei einer Vor-Ort Inspektion bestätigt worden. Insgesamt viermal wollen die beiden deutschen Prüfstellen vor Ort gewesen sein. Auf ZDF frontal Nachfrage teilt das UBA zu diesem Projekt neue Koordinaten mit, ein "Umrechnungsfehler" habe zu den Koordinaten in der Wüste geführt.
Das Problem: Die neuen Koordinaten zeigen zwar tatsächlich auf eine Anlage, doch der chinesische Betreiber hat nach eigenen Angaben damit nie ein UER-Projekt eingereicht. In einem Schreiben an das UBA erklärt der chinesische Konzern: "Wir waren nie unmittelbar beteiligt an der Entwicklung deutscher UER-Projekte." Zudem seien, anders als von den Prüfstellen behauptet, keine Auditoren vor Ort gewesen.
Wir vermuten, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass Dokumente gefälscht wurden und wir bitten dringend, dass Ihre Behörde dazu ermittelt. 
Gas- und Öltechnologiekonzern, China 
Auf Nachfragen von ZDF frontal erklären die Prüfstellen, sie seien zur Vertraulichkeit verpflichtet. Verico SCE weist den Betrugsverdacht von sich: "Wir können Ihnen aber versichern, dass uns (...) keine belastbaren Indizien für Datenmanipulationen oder gefälschte Informationen vorliegen."
Die Prüfer von Müller BBM Cert schreiben: "Die Unterstellung, betrügerischen Handelns durch die Müller-BBM Cert Umweltgutachter GmbH weisen wir jedoch entschieden zurück."

Anlagen angeblich neu gebauter Projekte standen offenbar schon

Bei mehr als zehn UER-Projekten standen die Anlagen offenbar bereits Monate oder gar viele Jahre bevor sie als angebliche neue Projekte beim UBA eingereicht wurden. Das legen Satellitenaufnahmen, chinesische Umweltverträglichkeitsprüfungen und öffentliche Mitteilungen von chinesischen Betreibern nahe, die ZDF frontal ausgewertet hat. Wie kann das sein? Dirk Messner Präsident des Umweltbundesamtes, sagte ZDF frontal dazu im Interview:
In diesem Fall ist die besondere Herausforderung, dass diejenigen, die hier angeschuldigt werden, falsche Unterlagen zur Verfügung gestellt haben, sind ja selber die Zertifizierer, auf die wir uns verlassen können müssen.
Dirk Messner, Präsident Umweltbundesamt  
Beispiele für widersprüchliche Angaben sind etwa die UER-Projekte mit den behördlichen Kürzeln NNZF oder FUUR. Angeblich wurden dafür 2021 und 2020 neue Anlagen errichtet. Das haben deutsche Prüfstellen in ihren Berichten mehrfach bestätigt. Merkwürdig nur: Auf Infotafeln am Eingang der Anlagen vor Ort finden sich andere Angaben. Das Projekt FUUR ist demnach bereits seit 2014 in Betrieb und das Projekt NNZF bereits seit 2015.
Der Schweizer Forscher Axel Michaelowa, langjähriger Experte für Kohlenstoffmärkte, hat dazu eine klare Meinung:
Dieses Projekt ist der Gipfel des Betrugs, weil es ja dann volle sechs Jahre gelaufen ist, bevor man überhaupt auf die Idee kam, es jetzt als Kohlenstoffmarktprojekt einzureichen.
Axel Michaelowa, Universität Zürich
Das Umweltbundesamt prüft nun einige Projekte, bittet Behörden in China um Amtshilfe und reichte am Montag eine Strafanzeige "gegen Unbekannt wegen aller in Betracht kommender Delikte" bei der Staatsanwaltschaft Berlin ein.

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