: 35-Stunden-Woche: Ein Modell als Vorbild?

von Henriette de Maizière, Berlin
28.03.2024 | 14:17 Uhr
Nach dem Tarifabschluss bei der Bahn stellt sich die Frage, ob die derzeitigen Arbeitszeitmodelle noch zeitgemäß sind. ZDFheute hat bei Unternehmen und Experten nachgefragt.
Die Debatte um kürzere Arbeitszeiten hat neuen Aufwind bekommen.Quelle: Imago
Die Bahn hat sich mit den Lokführern geeinigt: Die 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende kommt bis 2029. Gewerkschaftsführer Claus Weselsky glaubt, das werde "beispielgebend für andere Gewerkschaften im Land". Wie reagieren die unterschiedlichen Branchen darauf? Nachfragen von ZDFheute zeigen ein gemischtes Bild:

BMW: Generelle Verkürzung der Arbeitszeit falsches Signal

Rund 155.000 Mitarbeitende sind an über 30 Produktionsstandorten weltweit bei der BMW Group beschäftigt. In der Unternehmensphilosophie heißt es, es solle eine Kultur aus Wertschätzung und Chancengleichheit etabliert werden. Flexibilisierung von Arbeit sei seit Jahren ein Thema.
Dabei ginge es nicht um dogmatische, pauschal verordnete Lösungen, sondern um individuelle und passgenaue Arbeitszeiten, erklärt das Dax-Unternehmen gegenüber ZDFheute.

Darauf haben sich GDL und Bahn geeinigt.

26.03.2024 | 01:39 min
Davon profitierten letztlich Unternehmen und Beschäftigte. Eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit wäre jedoch mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und den Fachkräftemangel hierzulande das falsche Signal.
Deutschland gehört bereits seit Jahrzehnten zu den Ländern mit den niedrigsten Arbeitszeiten - weitere Verkürzungen würden nur noch drastischere Auswirkungen haben.
BMW Group
Es ginge nicht darum, weniger zu arbeiten, sondern effizienter und intelligenter. Ziel müsse es vielmehr sein, die Produktivität des Standorts Deutschland zu erhalten und möglichst mehr Menschen in Arbeit zu bringen.
ZDFheute Infografik
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Metro: Berufliche und private Anforderungen in Einklang bringen

Ähnlich handhabt es auch die Metro AG, mit ihren deutschlandweit mehr als 10.000 Mitarbeitern. Hier unterstütze man flexible Arbeitszeitmodelle, wie beispielsweise Regelungen zur Teilzeitbeschäftigung und zur mobilen Arbeit. Jedoch:
Die generelle 35-Stunden-Woche ist für uns derzeit kein Thema. 
Metro AG

Für welche Branchen das Arbeitszeitmodell geeignet sein könnte.

15.05.2023 | 04:33 min

Krankenhausgesellschaft: Ganze Bandbreite des Arbeitszeitgesetzes nutzen

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft antwortet auf Nachfrage, Krankenhäuser kennen in den Behandlungsbereichen keine Vier- oder Fünf-Tage-Woche. Die Patientenversorgung müsse 24 Stunden und sieben Tage in der Woche sichergestellt werden. Dazu brauche es: sehr flexible Arbeitszeitmodelle. Eine generelle Verkürzung der Wochenstundenarbeitszeit sei angesichts der demographischen Herausforderungen problematisch. Vor allem, da in den kommenden Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gingen.
Wir werden diese große Zahl an Personalabgängen trotz aller Anstrengungen nicht schließen können. Gleichzeitig steigt der Versorgungsbedarf der Bevölkerung im Bereich Gesundheit und Pflege an.
Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender Deutsche Krankenhausgesellschaft
Die Krankenhausgesellschaft fordert deshalb eine Entlastung der Fachkräfte durch Abbau bürokratischer Belastungen, dies könnte auch den Spielraum für Arbeitszeitverkürzungen erhöhen.

Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Einige Betriebe machen es schon vor. Aber ist das Modell wirklich deutschlandweit umsetzbar?

01.08.2023 | 02:47 min

Thyssen-Krupp: 35 Stunden Arbeit als Regelfall

In der westdeutschen Stahl- und Metallindustrie ist die 35-Stunden-Woche bereits seit langen Jahren gelebte Praxis, so auch bei Thyssen-Krupp in Nordrhein-Westfalen. 35 Stunden werden seit 1994 in der westdeutschen Stahlindustrie und seit 1995 in der westdeutschen Metallindustrie pro Woche gearbeitet. Im Osten gibt es eine stufenweise Heranführung an die 35-Stunden-Woche.
Damit gilt für nahezu alle Tarifbeschäftigten an den deutschen Standorten von Thyssenkrupp die 35-Stunden-Woche.
ThyssenKrupp, Unternehmenskommunikation
Ein anderes Modell wird ab kommenden Sommer beim Gillette-Werk in Berlin eingeführt. Dort sollen die Beschäftigten künftig:
  • drei Tage die Woche frei haben
  • die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden haben - bei flexibleren Zeiten
  • ab 1. Juli im Zweischichtsystem arbeiten - erst nach zehn Stunden abgelöst werden

Kellner, Erzieher, Handwerker: Der Personalmangel macht vor keiner Branche halt. ZDF-Moderatorin Sarah Tacke sucht nach Gründen und nach Lösungen für das deutsche Job-Desaster.

01.05.2023 | 53:30 min

Mittelstandsgesellschaft: "Wir brauchen Lust auf Leistung"

Der Bundesverband Mittelstand versteht sich als Netzwerk und überparteiliche Interessenvertretung für den deutschen Mittelstand. Der Verband begrüßt grundsätzlich flexible Arbeitszeitmodelle, die betriebliche Anforderungen und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden in Einklang bringen. Diese Arbeitszeitmodelle müssten jedoch durch Produktivität gedeckt sein.
 
Deutschland ist Wachstumsschlusslicht in Europa. Statt Debatten über 4-Tage- oder 35-Stunden-Wochen brauchen wir wieder Lust auf Leistung und auf Wettbewerb.
Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer Der Mittelstand, BVMW
Staatlich verordnete 35-Stunden-Wochen oder 4-Tage-Regelungen lehnt die Mittelstandsgesellschaft ab.

Arbeitszeitverkürzung: Was sagen Experten?

Die 35-Stunden-Woche mit Option zur Mehrarbeit - für Ökonomen wie Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln zeitgemäß. Das Stichwort sei lebensphasenorientiertes Arbeiten.
So gebe es Phasen, in denen man zum Beispiel Kinder großziehe und mehr Zeit zu Hause brauche. Und andere Phasen, in denen man beispielsweise ein Haus abbezahlen müsse und dafür mehr arbeiten kann und will.

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01.08.2023 | 02:47 min

Arbeitszeitverkürzung: Immer sinnvoll?

Doch nicht für alle sei dieses Modell attraktiv - man müsse genau hinschauen, wo solche Modelle Sinn machten. Im Dienstleistungssektor sei das noch nicht verbreitet - generell gelte, dass die Verdienste in vielen Bereichen des Dienstleistungssektors nicht genau so üppig seien, wie in der Industrie: 
Die Gewerkschaften werden nach den Inflationsjahren eher auf Lohnerhöhungen setzen und weniger auf Arbeitszeitverkürzungen im Interesse der Beschäftigten, die Reallohnverluste hatten.
Hagen Lesch, Tarifexperte Institut der deutschen Wirtschaft
Eine kollektive Debatte zur Verkürzung der Arbeitszeiten hält er für verfehlt. Sie widerspreche zum einen der Idee, Arbeitszeit individuell zu gestalten und auf die jeweilige Lebenssituation abzustimmen. Zum anderen würde es das Problem des Arbeits- und Fachkräftemangels unter Umständen verschärfen, was - so Lesch - mittelfristig weniger Wohlstand bedeuten würde:
Wenn eine Gesellschaft weniger arbeiten will, dann erwirtschaftet sie weniger, weil wir haben ja nun mal nicht beliebig mehr Leute, die dann eben einspringen können für diese Arbeitszeit, die ausfällt, wenn man kürzer arbeitet.
Hagen Lesch, Tarifexperte Institut der deutschen Wirtschaft

Vier-Tage-Woche: Studien zeigen positive Ergebnisse

Unter anderem Großbritannien und Island haben die 4-Tage-Woche bei gleichem Gehalt getestet. Studienergebnisse zeigen positive Auswirkungen auf Unternehmen und ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer:

  • bessere Work-Life-Balance 
  • reduzierte Burn-out-Gefährdung durch Stressabbau im Arbeitsalltag
  • Verbesserung der Gesundheit und somit weniger krankheitsbedingte Ausfälle. Insbesondere Rückenschmerzen und Herzbeschwerden treten seltener auf.
  • Gesteigerte Produktivität - der Grund: Die Produktivität sinkt ab der siebten Arbeitsstunde deutlich, so die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Zusätzlich wird effizienter gearbeitet.  

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