: Ex-Wirecard-Chef vor Gericht - Packt er aus?
Einst hatte Braun das beste Image aller Dax-Firmenchefs
Der Wirecard-Skandal rückt die großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen in den Fokus. Mit ihren Abschlussprüfungen sollen sie Vertrauen in die Unternehmen schaffen. Trügt der Schein?
12.11.2021 | 43:36 minBraun wird Wirecard-Chef mit Anfang 30
Hintergrund zum Wirecard-Skandal
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG wurde von Wirecard mit einer Sonderprüfung beauftragt. Das Ergebnis der KPMG-Untersuchung wurde Ende April 2020 veröffentlicht. Danach konnten nicht alle Daten vollständig ausgewertet und somit die Vorwürfe nicht völlig ausgeräumt werden. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erstattete Anfang Juni 2020 wegen Verdacht auf Marktmanipulation Anzeige, dieses Mal gegen den Vorstandsvorsitzenden Braun und drei weitere Vorstandsmitglieder; die Staatsanwaltschaft ließ die Geschäftsräume von Wirecard durchsuchen. Die Wirtschaftsprüfung EY hatte die mutmaßlich gefälschten Bilanzen des früheren Dax-Konzerns über Jahre testiert.
Der Fall Wirecard: Vom Börsenliebling zum Prozess
1999 - Wirecard wird gegründet
2015 - Zeitung weist auf Ungereimtheiten hin
2016 - BaFin erstattet Strafanzeige gegen Perring
März: Die deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin nimmt Perring und andere Investoren, die mit Leerverkäufen auf einen Absturz der Wirecard-Aktie gewettet hatten, wegen des Verdachts der Marktmanipulation ins Visier.
Mai: Die BaFin erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München wegen möglicher Marktmanipulationen gegen Perring und andere Investoren.
2017 - BaFin untersucht Kreditgeschäft der Wirecard Bank
2018 - Wirecard verdrängt Commerzbank aus dem Dax
2019 - BaFin beauftragt Prüfer, Scholz wird informiert
Februar: Die BaFin eröffnet eine Untersuchung im Zusammenhang mit der Berichterstattung. Sie nimmt Leerverkäufer, Journalisten und Verantwortliche von Wirecard wegen des Verdachts der Marktmanipulation und falscher beziehungsweise irreführender Angaben in der Finanzberichterstattung der Wirecard AG ins Visier.
15. Februar: Die BaFin beauftragt die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) mit einer Analyse der Wirecard-Bilanz.
18. Februar: Mit einem Leerverkaufsverbot untersagt die BaFin für zwei Monate Wetten auf Kursverluste der Wirecard-Aktie - ein einmaliger Vorgang.
19. Februar: Bundesfinanzminister Olaf Scholz wird informiert. Dem SPD-Politiker wird gesagt, dass die BaFin in alle Richtungen wegen Marktmanipulation ermittelt - also auch gegen Verantwortliche der Wirecard AG - und dass die DPR möglichen Bilanzunregelmäßigkeiten nachgeht.
10. April: Die BaFin erstattet Anzeige gegen zwei FT-Journalisten und Investoren wegen des Verdachts der Marktmanipulation.
15. April: Die BaFin brummt der Wirecard AG ein Bußgeld in Höhe von 1,52 Millionen Euro auf. Grund: verspätete Veröffentlichung von Geschäftsberichten.
24. April: Wirecard gewinnt den Telekommunikations- und Internet-Konzern Softbank als strategischen Partner. Das Bündnis mit dem renommierten japanischen Investor lässt Zweifel an dem deutschen Zahlungsabwickler in den Hintergrund treten.
18. Juni: Auf der Hauptversammlung findet das Wirecard-Management ein geteiltes Echo. Während die einen über "Chaostage" und Intransparenz schimpfen, jubeln andere über "Glücksmomente" angesichts der Aktienkursentwicklung, die trotz wiederholter Einbrüche aufwärts geht. Es wird die letzte Hauptversammlung des Konzerns sein.
Juli: Sonderprüfung der BaFin bei der Wirecard Bank. Das Institut wird am 15. Juli unter Geldwäscheintensivaufsicht gestellt.
21. Oktober: Wirecard beauftragt die Wirtschaftsprüfer von KPMG mit einer Sonderprüfung, um die Vorwürfe der Bilanzfälschung endgültig zu entkräften.
2020 - Staatsanwaltschaft ermittelt, Unternehmen insolvent
25. Februar: Behörden von Bayern und Bund sprechen nach Angaben beider Seiten erstmals über die Geldwäscheaufsicht bei der Wirecard AG. Laut Bundesfinanzministerium erklärt sich die Bezirksregierung von Niederbayern gegenüber der BaFin für zuständig. Später bestreitet Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, dass die Landesbehörde zuständig sei.
28. April: Die Wirtschaftsprüfer von KPMG stellen dem Unternehmen ein schlechtes Zeugnis aus. Für bestimmte Umsatzerlöse gebe es keine Nachweise, angebliche Einzahlungen auf Treuhandkonten in Höhe von rund einer Milliarde Euro wurden nicht hinreichend nachgewiesen, heißt es in einem Sonderbericht, den Wirecard selbst in Auftrag gegeben hatte. Konzernchef Braun hingegen sieht den in Medienberichten erhobenen Vorwurf der Bilanzfälschung als widerlegt an.
8. Mai: Der Wirecard-Aufsichtsrat beschneidet die Kompetenzen von Vorstandschef Braun. Dieser entschuldigt sich "für die Turbulenzen der vergangenen Wochen und Monate".
11. Mai: Das Strafverfahren gegen den Börsenspekulanten Fraser Perring wird gegen eine Geldauflage eingestellt, wie das Amtsgericht München mitteilt.
5. Juni: Razzia in der Wirecard-Zentrale in Aschheim. Die BaFin hatte den gesamten Wirecard-Vorstand wegen des Verdachts auf Marktmanipulation angezeigt.
18. Juni: Die Wirtschaftsprüfer von EY verweigern Wirecard das Testat für die Bilanz für 2019, weil Belege über 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten auf den Philippinen fehlen. Die BaFin erstattet nun auch wegen Bilanzfälschung Anzeige. Wirecard suspendiert den für das operative Geschäft zuständigen Vorstand Jan Marsalek. Braun erklärt, das Unternehmen sei vermutlich Opfer "in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes".
19. Juni: Wirecard-Chef Braun tritt zurück. Der neue Compliance-Vorstand James Freis übernimmt den Chefposten.
22. Juni: Wirecard erklärt, dass die fraglichen Bankguthaben von 1,9 Milliarden Euro "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen". Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Bilanzfälschung. Braun stellt sich den Strafverfolgern. Marsalek wird gefeuert und taucht unter.
25. Juni: Der Dax-Konzern stellt einen Insolvenzantrag.
9. Juli: Die Staatsanwaltschaft München bestätigt, dass sie seit dem vergangenen Jahr wegen Geldwäscheverdachts gegen Wirecard-Verantwortliche ermittelt. Diesem Verdacht waren die Strafverfolger im vergangenen Jahrzehnt wiederholt nachgegangen, ohne jedoch fündig zu werden.
22. Juli: Die Staatsanwaltschaft München erklärt, dass Wirecard mindestens seit Ende 2015 Bilanzen gefälscht und Umsätze aufgebläht hat. Sie wirft der ehemaligen Wirecard-Führungsriege nun auch gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Geschäfte mit Drittpartnern in Asien seien erfunden worden, um das Unternehmen erfolgreicher aussehen zu lassen. Banken und andere Investoren hätten auf Basis der gefälschten Bilanzen 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt, die voraussichtlich verloren seien. Braun, der zunächst gegen Kaution freigekommen war, muss nun doch in Untersuchungshaft. Auch gegen Ex-Finanzvorstand Burkhard Ley und seinen ehemaligen Chef-Buchhalter wurden Haftbefehle ausgestellt. Marsalek ist weiter auf der Flucht.
24. Juli: Scholz schlägt Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal vor. Das Papier, das er als "Aktionsplan der Bundesregierung" überschreibt, ist bei seiner Veröffentlichung aber nur mit dem SPD-geführten Justizministerium abgestimmt.
25. August: Das Amtsgericht München eröffnet das Insolvenzverfahren über die Wirecard AG. Der einstige Börsenstar wird zerschlagen, mehr als die Hälfte der rund 1.300 Mitarbeiter in Deutschland erhalten die Kündigung. Die Gläubiger müssen sich auf hohe Verluste einstellen: Schulden von 3,2 Milliarden Euro stehen Vermögenswerten von rund 400 Millionen gegenüber.
8. September: Untersuchungsausschuss um ehemaligen Dax-Konzern startet
19. November: Der inhaftierte Ex-Wirecard-Chef Markus Braun wird im U-Ausschuss als Zeuge gehört. Der Österreicher verliest nur eine knappe Erklärung.
2021 - Bundestag nimmt Schlussbericht einstimmig an
2. Februar: Scholz treibt die Reform der BaFin voran und legt Sieben-Punkte-Paket vor, um der BaFin mehr Befugnisse zu geben.
24. Februar: Der Präsident der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), Edgar Ernst, kündigt seinen Rücktritt zum 31. Dezember an. Der DPR werden Interessenkonflikte und zu laxe Kontrollen vorgeworfen.
25. Februar: Die Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft EY setzt ihren Deutschlandchef Hubert Barth ab und lässt die internen Abläufe von unabhängigen Experten unter die Lupe nehmen.
25. Juni: Der Bundestag nimmt den Schlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses einstimmig zur Kenntnis.
2022 - Anklage gegen Ex-Wirecard-Chef und Prozessbeginn
14. März: Die Staatsanwaltschaft München erhebt Anklage gegen Braun und zwei weitere Wirecard-Manager. Die Ermittler werfen Braun, seinem Bilanzchef Stephan von Erffa und dem Statthalter von Wirecard in Dubai, Oliver Bellenhaus Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue und gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Ermittlungen gegen weitere Beschuldigte dauern an.
9. Juni: Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffe hat mit dem Verkauf von Unternehmensteilen gut eine Milliarde Euro erlöst.
9. November: Das Landgericht München legt den Prozessauftakt für den 8. Dezember fest.
8. Dezember: Wirecard-Prozess beginnt vor dem Landgericht München. Geplant sind etwa 100 Verhandlungstermine bis Ende 2023.
Quelle: Reuters