: Wie Goodenough mit Akkus die Welt veränderte

von Tom Bötticher
02.07.2023 | 06:55 Uhr
Sie haben sicher noch nichts von John B. Goodenough gehört, obwohl wir alle im Besitz mindestens einer seiner Erfindungen sind. Auch die Wissenschaft hat ihn erst spät gewürdigt.

Er gilt als Vater der modernen Lithium-Ionen-Akkus: John B. Goodenough starb am vergangenen Sonntag im Alter von 100 Jahren. Der Nobelpreisträger hinterlässt eine durch seine Entdeckungen betriebene, mobile Welt und eine Multi-Milliarden-Dollar-Industrie.

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Lithium erobert die Welt

Es ist erst 32 Jahre her, als der Lithium-Ionen-Akku 1991 von Sony kommerzialisiert wurde. Im Sturm eroberte die neue Akku-Technologie, die mehr Energie auf gleichem Volumen und gleichem Gewicht speichern konnte als alle zuvor bekannten Akkutypen, die Welt. Heute wird so gut wie jedes Smartphone, jeder Laptop und auch jedes E-Auto durch einen Lithium-Ionen-Akku betrieben.

Lithium für die E-Autos wird in Südamerika und Australien gewonnen. Noch! Denn das "Weiße Gold" gibt es auch bei uns am Rhein. Geowissenschaftlerin Thora Schubert geht für Terra Xplore auf Spurensuche.

27.09.2021 | 09:15 min
Dieser Erfolg war jedoch nur möglich, weil eine Handvoll Physiker in den 70ern eine Reihe außergewöhnlicher Entdeckungen machten: Die Idee, dass Lithium-Ionen (positiv geladene Atome des Metalls Lithium) zwischen zwei Elektroden hin- und herwandern könnten und dabei einen Fluss von Ladungsträgern, sprich einen elektrischen Strom ermöglichen, kam in den späten 1970ern vom französischen Chemiker Michel Armand. Kurz darauf wurden die Vorläufer der modernen Akkus gebaut, die jedoch nur geringe Mengen an Energie speichern konnten und nicht lange hielten.

Erfindungen von Goodenough machen den Unterschied

Doch dann kam John B. Goodenough ins Spiel. Der in Jena geborene Physiker, der bereits als Kleinkind in die USA zog, entwickelte 1980 an der Universität Oxford ein Material, Lithium-Cobalt-Oxid, dessen chemische Eigenschaften so gut zum Speichern von Lithium-Ionen geeignet sind, dass es die Kapazität vorheriger Lithium-Ionen-Akkus verdoppeln und ihre Lebenszeit vervielfachen konnte.

Wie funktioniert der Lithium-Ionen-Akku? Lithium-Akkus wandeln chemische in elektrische Energie um. Das Besondere ist, dass dieser Prozess umkehrbar und beliebig wiederholbar ist. Eine Entwicklung von Goodenough, Whittingham und Yoshino.

13.09.2021 | 06:00 min
Heute werden in der positiven Elektrode (auch "Kathode" genannt) von Lithium-Ionen-Akkus hauptsätzlich drei Materialklassen zur Speicherung von Lithium-Ionen eingesetzt, die alle im Labor von Goodenough entwickelt wurden. Erst sie machten den Erfolg von Apple, Microsoft, Tesla und Co. möglich.

Hinweis zu den Begriffen "Kathode" und "Anode"

In der Batterieforschung verwendet man fachlich korrekt die Begriffe "positive" und "negative" Elektrode. Die Begriffe positiv und negativ beziehen sich dabei nicht auf die Pole, sondern auf die sogenannten chemischen Potentiale der Elektroden. Das chemische Potential der positiven Elektrode liegt immer höher (also positiver) als das der negativen Elektrode. Bei der Elektrode mit dem hohen chemischen Potential handelt es sich um die Elektrode, die im Volksmund "Kathode" genannt wird.

Die Begriffe "Kathode" und "Anode" sind eigentlich nicht ganz korrekt, weil die Kathode nur beim Entladen die Kathode ist. Beim Aufladen einer Akkuzelle wird die Kathode zur Anode und die Anode zur Kathode. Doch in der Batterieforschung hat man sich darauf geeinigt - weil "positive und negative Elektrode" zu sagen oft zu lange dauert - sich einfach immer auf den Entladungsvorgang zu beziehen und die positive Elektrode daher immer "Kathode" und die negative Elektrode immer "Anode" zu nennen. John B. Goodenough ist berühmt für seine Arbeit an Positivelektrodenmaterialien, also für seine Arbeit an Kathoden.

Quelle: Tom Bötticher

Mit 97 Jahren zum Nobelpreis

Nachdem Goodenough mit 65 Jahren das Rentenalter erreichte, musste ihn die Universität Oxford entlassen. Doch er dachte nicht einmal an das Ende seiner Forschung. 1986 wechselte er zur Universität Texas in Austin an der er selbst im Alter von 97 Jahren noch fünf Tage in der Woche im Labor arbeitete.
Im selben Alter wurde ihm zusammen mit Stanley Whittingham und Akira Yoshino der Nobelpreis für Chemie für die Entwicklung der Lithium-Ionen-Akkus verliehen. Das macht ihn zum bislang ältesten Nobelpreisempfänger der Geschichte.
Zusammen mit Akira Yoshino (l.) und Stanley Whittingham (r.) bekam John B. Goodenough 2019 den Chemie-Nobelpreis.Quelle: Reuters

Lithium-Akkus sind selbst heute weitestgehend konkurrenzlos

Fast wöchentlich werden Nachrichtenartikel über neue Energiespeicher veröffentlicht, die dem Lithium-Ionen-Akku angeblich überlegen sein sollen. Doch selbst 40 Jahre nach ihrer Entdeckung bieten Lithium-Ionen-Akkus immer noch eine Balance aus hohem Energiegehalt, hoher Sicherheit, Langlebigkeit, Schnellladefähigkeit und bezahlbarem Preis, die fast alle Konkurrenzprodukte alt aussehen lässt. Und doch ist das Potenzial der kleinen Energiespeicher lange nicht ausgeschöpft.
Zuletzt hat eine Entdeckung in unserem Forschungslabor in Kanada weltweit Schlagzeilen gemacht. Haben Sie schon einmal bemerkt, dass sich der Ladungszustand Ihrer Akkus verringert, obwohl Ihr Mobilgerät gar nicht angeschaltet ist? Dieses Phänomen der "Selbstentladung" war bisher nur schlecht erforscht und daher ungelöst.

Das Handy nicht benutzt und trotzdem sinkt die Akkuladung? Forscher:innen der kanadischen Dalhousie University haben den Grund für die Selbstentladung gefunden - im PET Klebeband.

03.04.2023 | 02:48 min

Rätsel der Selbstentladung gelöst

Unser Team widmete sich dem Problem und entdeckte ein Molekül, welches die Akkus aus dem Inneren heraus - ohne Anschluss an einem elektrischen Verbraucher - entlädt. Dieses Molekül - ein sogenanntes "Redox Shuttle" - transportiert Elektronen von einer Elektrode zur anderen und verringert damit die Ladung.
Die Herkunft des Moleküls sollte sich dabei als ebenso simpel wie auch komisch herausstellen: Ein unscheinbares Plastikklebeband aus PET, welches von einer Großzahl von Akkuherstellern zum Zusammenkleben der Elektroden eingesetzt wird, kann sich in unseren Akkus chemisch zu dem Redox Shuttle zersetzen. Die Selbstentladung kann in Zukunft verhindert werden, indem einfach ein stabilerer Kunststoff eingesetzt wird.

Viele kleine Entdeckungen machen Akkus immer noch besser

Die Summe aus vielen solcher kleinen Entdeckungen lässt moderne Akkus von Jahr zu Jahr besser und effizienter werden. Und so wird der Lithium-Ionen-Akku auch in den nächsten Jahrzehnten noch eine entscheidende Rolle in der mobilen Energiespeicherung spielen.

Alle brauchen mobile elektrische Energie: Smartphone, Mähroboter und E-Bike. Nicht von ungefähr ging der Nobelpreis für Chemie 2019 an die Erfinder der Lithium-Ionen-Batterie.

20.08.2020 | 44:29 min

Tom Bötticher ...

… ist Chemiker mit Spezialisierung auf elektrochemische Energiespeicherung an der Universität Münster und forschte 2022 im renommierten Batterieforschungslabor der Dalhousie University in Kanada. Auf Instagram und YouTube teilt er als Wissenschaftskommunikator unter dem Pseudonym "Doktorwissenschaft" seine Begeisterung für Naturwissenschaften und Zukunftstechnologien. Er möchte umweltfreundliche Energiespeicher entwickeln und über Falschnachrichten zum Thema E-Mobilität aufklären.

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