Kolumne

: Die Gefahr der verfrühten Berichterstattung

von Jens Foell
30.06.2024 | 08:56 Uhr
Manchmal spricht das ganze Internet über eine Studie, obwohl niemand die echten Daten gesehen hat. Vorschnelle Interpretationen schaden allen, sogar der Wissenschaft selbst.

Im März 2024 geht das Ergebnis einer Studie durch alle Medien: Das beliebte Intervallfasten, bei dem man essen darf, was man mag, solange ein bestimmter Zeitplan eingehalten wird, soll das Risiko eines Herztodes erhöhen und zwar um satte 91 Prozent. Das wurde einer Studie entnommen, bei der über 20.000 Personen über acht Jahre begleitet wurden.
Das klingt erst mal nach gut gesicherten Erkenntnissen. Die Zahlen wurden auf einer Konferenz der American Heart Association vorgestellt, von der man schon vorher solide Ergebnisse gesehen hat. Sollten wir das Intervallfasten also lieber sein lassen?

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Die Bedeutung des Peer Review

Nein, oder zumindest nicht basierend auf diesen Daten. Denn das Ganze ist längst nicht so eindeutig, wie es scheint. Es macht einen großen Unterschied, ob eine Studie als Artikel in einem Fachjournal erscheint oder, wie hier, auf einer Konferenz.
Der Knackpunkt liegt im Peer Review, also der Bewertung der Studie durch unabhängige Fachexpert*innen. Die Reviewer werden dafür nicht bezahlt und bleiben meistens anonym - sie sollen also möglichst unbefangen an die Studie herangehen. Dieser Prozess wird vor der Veröffentlichung eines Artikels meist vorausgesetzt. Er ist nicht perfekt, aber zumindest die beste Bewertungsgrundlage, die wir haben.

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Die Funktion von Konferenzen in der Wissenschaft

Findet dieser Schritt nicht auch bei Konferenzbeiträgen statt? Jein. Falls es dort eine Prüfung gibt, dann nur von einer kurzen Zusammenfassung. Leider ist dieser Text aber viel zu begrenzt, um detailliert auf Versuchsaufbau, Interpretation oder Probleme einzugehen.
So beschrieben klingt eine Konferenz vielleicht wie eine Hintertür, um schlechte Daten ungeprüft an die Öffentlichkeit zu bringen. Aber es gibt einen guten Grund für das lockerere Vorgehen: Das ausführliche Peer Review braucht sehr viel Zeit und wird von den Reviewern nur nebenberuflich gemacht. Da ist oft nicht die Zeit für eine sofortige gründliche Prüfung.
Für Artikel wird diese lange Dauer toleriert, aber jährliche Konferenzen haben eine andere Funktion: Hier sollen die Artikel von morgen vorgestellt werden, damit sich die Fachwelt direkt darüber austauschen kann. Auch unfertige Studien werden dort präsentiert und gegebenenfalls von Fachkolleg*innen korrigiert oder erweitert.

Voraussichtlich Probleme bei der Intervallfasten-Studie

In der Wissenschaft ist daher klar: Berichte auf Konferenzen sind nicht in Stein gemeißelt. Ihre Ergebnisse könnten sich noch ändern - oder sogar noch ganz gekippt werden. Was zählt, ist das möglichst streng kontrollierte Endergebnis: also der Artikel. Bei der genannten Studie gibt es durchaus Anzeichen dafür, dass der Peer-Review-Prozess Probleme aufdecken könnte.

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Wo liegt nun der Fehler?

Die Forschenden haben dabei nichts falsch gemacht: Sie haben einen potenziell interessanten Effekt gefunden und darüber auf einer Konferenz berichtet. Der nächste Schritt wäre, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft einen eigenen Blick auf die Daten wirft und sie gegebenenfalls für eine Veröffentlichung als Artikel freigibt.
Wer allerdings etwas falsch gemacht hat, sind die Medien: Sie haben verfrüht ein vermeintlich sensationelles Studienergebnis weitergetragen. Und das schadet allen: Medienplattformen und Leser*innen sind im schlimmsten Fall Fehlinformationen aufgesessen.
Und auch die Wissenschaft trägt einen Schaden davon: Wenn Forschende Sorge haben müssen, dass ihre Ergebnisse vor der geplanten Prüfung in die Welt getragen werden, halten sie sich vielleicht auf der nächsten Konferenz damit zurück, über vorläufige Daten zu sprechen. Dabei sind diese Tagungen ein wichtiger Teil des Ablaufs.

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Regeln für die Veröffentlichung von Studien

Das alles kann vermieden werden, wenn die Medien eine simple Regel einhalten: Ergebnisse, die noch kein Peer Review erfahren haben, sollten nur mit einer klaren Kennzeichnung der Vorläufigkeit oder am besten mit einer gleichzeitigen Einordnung von relevanten Expert*innen berichtet werden.
Und möchte man sich gar nicht auf Daten ohne Peer Review verlassen, findet man auch hier viele spannende und berichtenswerte Studien: Schätzungen zufolge werden derzeit jedes Jahr über zwei Millionen wissenschaftliche Artikel veröffentlicht.

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Dr. Jens Foell ...

... ist promovierter Neuropsychologe, Bestsellerautor und Redakteur bei MAITHINK X. Seine Leidenschaft gilt der Vermittlung von Wissenschaft durch Forschende. Zu diesem Zweck gründete er den beliebten Twitter-Account "Real Scientists DE" und gibt regelmäßig Seminare und Vorträge zum Thema.

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