Kolumne

: Warum Wölfe schießen keine Lösung ist

von Axel Gomille
21.01.2024 | 07:24 Uhr
Die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte für den Naturschutz, aber auch eine enorme Herausforderung - denn die Raubtiere sind nicht überall willkommen.

Wölfe sind typische Wildtiere Deutschlands. Seit jeher durchstreiften sie unsere Wälder, wurden jedoch als vermeintliche Viehdiebe und Jagdkonkurrenten verfolgt und schließlich ausgerottet. Durch Märchen wie Rotkäppchen wurde ihr schlechtes Image vom "bösen Wolf" zum deutschen Kulturgut und hat Generationen geprägt. Dass die Wölfe trotz Verfolgung zurückgekehrt sind, ist daher eine Sensation.

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Die Wanderung der Wölfe nach Westen

Ein historisches Ereignis hatte dafür die Weichen gestellt. Mit der deutschen Wiedervereinigung änderte sich auch die Gesetzeslage. Seit 1990 steht der Wolf in ganz Deutschland unter strengem Schutz.
Die Tiere wurden aber nicht von Menschen wieder angesiedelt, sondern wanderten selbständig aus Polen ein. Schließlich kamen auf einem militärischen Sperrgebiet in Sachsen im Jahr 2000 Welpen zur Welt. Es waren die ersten in Deutschland geborenen wildlebenden Wölfe seit rund 150 Jahren. Seitdem breiten sie sich immer weiter aus und erobern ihre alte Heimat zurück.
Heute liegt der Schwerpunkt der Verbreitung im Osten und Norden Deutschlands und erstreckt sich in einem breiten Band von der Lausitz bis in die Lüneburger Heide, während im Westen und Süden des Landes bisher nur wenige territoriale Wölfe leben.

Der Wolfsbestand wächst

Die letzten Zahlen stammen aus dem Monitoringjahr 2022/2023, währenddessen wurden in Deutschland insgesamt 184 Wolfsrudel, 47 Paare und 22 sesshafte Einzeltiere bestätigt. Insgesamt konnten 1.339 Wolfsindividuen nachgewiesen werden: 439 erwachsene Wölfe, 83 Jährlinge (Wölfe im zweiten Lebensjahr) und 634 Welpen (Wölfe im ersten Lebensjahr). Bei den übrigen Tieren ließ sich das Alter nicht genau bestimmen.
ZDFheute Infografik
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Weniger Wölfe bedeuten nicht weniger Angriffe auf Nutztiere

Wildlebende Huftiere stellen die Hauptnahrung von Wölfen dar, wobei in Deutschland Rehe mit etwa 50 Prozent die häufigsten Beutetiere sind, gefolgt von Wildschweinen und Rothirschen. Nutztiere machen in Deutschland nur etwa ein bis zwei Prozent ihres Nahrungsspektrums aus.
Wölfe jagen meist die Beutetiere, die am häufigsten und am einfachsten verfügbar sind. Sie greifen Nutztiere an, wenn sie dazu die Gelegenheit haben. Wölfe werden nicht als Problemtiere geboren, sie können aber nicht zwischen erlaubten Wildtieren und verbotenen Nutztieren unterscheiden. Das führt immer wieder zu Konflikten und der Forderung, Wölfe präventiv abzuschießen.

Früher lebten Wölfe überall in Deutschland. Rund 150 Jahre lang waren sie verschwunden. Mittlerweile sind die Tiere wieder da und streng geschützt.

12.10.2023 | 04:29 min
Leider ist die Ansicht weit verbreitet, man müsse nur die Anzahl der Wölfe begrenzen, damit weniger Nutztiere gerissen werden. Tatsächlich hängen Angriffe auf Weidetiere nicht nur vom Wolfsbestand ab. Auch wenige Wölfe können enorme Schäden verursachen, wenn Weidetiere nicht geschützt sind.

Herdenschutz ist entscheidender Faktor

Eine in der Slowakei durchgeführte Studie untersuchte, ob sich mit einer flächendeckenden Bejagung von Wölfen die Anzahl der Nutztierrisse senken lässt, und konnte keinen Zusammenhang feststellen - Wölfe generell zu schießen, ist also keine Lösung.
Der entscheidende Faktor ist daher Herdenschutz, etwa durch geeignete Elektrozäune oder Herdenschutzhunde. Dass dieses Prinzip funktionieren kann, belegen zahlreiche Schäfer, die ihre Tiere ohne Probleme in Wolfsgebieten weiden lassen.

Die Sinnesorgane des Wolfs sind hoch entwickelt. Sein Panoramablick erfasst rund 240 Grad. Hervorragend ist auch sein Gehör. Doch der Geruchssinn ist für den Jäger am wichtigsten.

08.03.2021 | 01:03 min

Neue Regelungen für den Abschuss von Wölfen

Dennoch lernen manchmal einzelne Wölfe, Herdenschutzmaßnahmen zu überwinden. Daher folgte die Umweltministerkonferenz der Länder kürzlich einem Vorschlag von Bundesumweltministerin Steffi Lemke, der die Tötung von Wölfen nach Übergriffen auf Nutztiere erleichtern soll.
Die beschlossenen Regelungen können aber nur Abhilfe schaffen, wenn es tatsächlich gelingt, selektiv einzelne Wölfe mit problematischem Verhalten zu töten, und sollten nur die allerletzte Option sein.
Eine gründliche Auswertung der wissenschaftlichen Studien der Thematik kommt zu einem ähnlichen Schluss: "Der einzige Weg, um in Koexistenz mit den Wölfen in breiter Fläche eine dauerhafte Reduktion von Schäden an Nutztieren zu erreichen, ist die fachgerechte Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen."
Der Abschuss von Wölfen löst das Problem also nicht - an geeignetem Herdenschutz führt kein Weg vorbei.

Deutschland ist eine mächtige Industrienation. Nahezu jeder Quadratmeter des Landes wurde umgegraben oder bebaut. Kann es hier überhaupt neue Wildnis geben?

28.01.2021 | 44:00 min

Axel Gomille ...

... ist als Redakteur und Autor für die Dokumentationsreihe Terra X tätig. Wilde Tiere sind die große Leidenschaft des Zoologen. Er interessiert sich besonders für die Frage, wie Menschen und Wildtiere koexistieren können und hat viele der schönsten Naturreservate der Welt besucht. Die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland beobachtet er seit 2008. Seitdem hat er mehrere Bücher und Filme über das Thema realisiert.
Transparenzhinweis: Der Text wurde aktualisiert, um die allgemeine Bejagung und den selektiven Abschuss von Wölfen differenzierter darzustellen.

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