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: Wann aus Angst eine Krankheit wird

von Nadine Braun
18.09.2022 | 15:07 Uhr
Weit verbreitet, aber wenig bekannt: Jede sechste Person in Deutschland hat eine Angststörung. Ab wann Furcht eine Krankheit ist - und wie man sie behandeln kann. 
Angststörungen sind die häufigste psychische Erkrankung in Deutschland. (Symbolbild)Quelle: iStock_sutteerug
Herzrasen, Übelkeit, kalter Schweiß: Das Gefühl von Angst kennen viele Menschen. Für Helen ist sie jedoch ein ständiger Begleiter: "Ich ertappe mich oft dabei, dass ich jemanden frage, ob ich nerve." Aus Angst, sich falsch zu verhalten.
Ich befürchte immer das Schlimmste.
Helen, 27 Jahre
Helen, 27, leidet an einer Angststörung.Quelle: privat
Angststörungen sind die häufigste psychische Erkrankung in Deutschland. Insgesamt sind jährlich 17,8 Millionen Erwachsene in Deutschland von einer psychischen Erkrankung betroffen, das ist mehr als ein Viertel der volljährigen Bevölkerung. Aber nicht einmal jede*r fünfte Betroffene nimmt professionelle Hilfe in Anspruch. Manche sind nicht in der Lage, sich Hilfe zu suchen, andere haben Angst vor der Behandlung oder dem gesellschaftlichen Stigma.

Diese Angst kann lähmen. Das erlebt Helen etwa bei Uni-Abgaben. "Es dauert lange, bis ich überhaupt mit einer Arbeit anfange", sagt sie, "weil ich solche Angst davor habe, dass das, was ich mache, nicht gut genug ist." Dann kreisen ihre Gedanken: Was, wenn sie etwas nicht versteht? Wenn die Arbeit nicht gut genug ist? Wenn sie sich damit ihr Studium verbaut?
"Wenn es richtig, richtig schlimm wird, habe ich Angst vor der Angst." In solchen Momenten verkriecht sich Helen in ihr Zimmer, kapselt sich von ihren Freund*innen und Eltern ab. Ist sie unterwegs, stellt sie sich einen Wecker und zwingt sich dazu, nach einigen Minuten wieder unter Menschen zu gehen.

Welche Symptome hat eine generalisierte Angststörung?


Ab wann ist Angst eine Störung?

Ärzt*innen können eine Angststörung erst diagnostizieren, wenn zuvor andere Ursachen ausgeschlossen wurden. Außerdem sind die Kriterien:
  • Die Angstgefühle sind sehr belastend.
  • Sie beeinträchtigen die Funktionsfähigkeit im Alltag.
  • Die Angstzustände sind lange anhaltend oder treten immer wieder auf.

Welche Ursachen gibt es für eine Angststörung?

21,4 Prozent der Frauen leiden an Angststörungen, bei Männern sind 9,3 Prozent betroffen. Die Gründe:
  • genetische Veranlagung
  • Hormone
  • Geschlechterrollen: Angst wird bei Frauen eher akzeptiert als bei Männern
  • Trauma-Erfahrungen, zum Beispiel sexualisierte Gewalt
  • unterschiedliche Möglichkeiten, etwa in Ausbildung, Berufswahl und Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Helen hat eine generalisierte Angststörung. Laut der Paar- und Familientherapeutin Angelika Völkel sind Angststörungen recht unauffällig, weil viele Betroffene gelernt hätten, mit ihnen zu leben - und bestimmte Situationen zu vermeiden.
Es hat dann den Anschein, dass man mit spezifischen Phobien besser umgehen kann. Zum Beispiel geht man dann der Angst vorm Fliegen aus dem Weg, indem man sich einfach nicht mehr ins Flugzeug setzt.
Paar- und Familientherapeutin Angelika Völkel

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Wie Angststörungen entstehen

Wie viele psychische Störungen entstehen Angststörungen laut Völkel aus einem Zusammenspiel von mehreren Faktoren wie genetischen Voraussetzungen, der persönlichen Vulnerabilität und aktuellen Auslösern: "Es kann aber auch eine Lösungsstrategie sein, dass man lieber diese Angst aushält, als sich Fragen zu stellen wie: Lebe ich mit dem falschen Mann zusammen? Will ich diesen Beruf überhaupt ausüben? Will ich hier überhaupt wohnen?"
Viele Störungen entstünden in der Kindheit, sagt Völkel - auch Helens Angststörung. Häufig passierte während Urlauben etwas Schlimmes: Ihr Opa musste ins Krankenhaus, Freunde waren weggezogen. Weil ihre Mutter krank wurde, verloren sie ihr Haus - und Helen ihr soziales Umfeld. Mit der neuen Hausverwaltung gab es oft Streit. "Ich habe immer eine neue Katastrophe erwartet."

Angststörungen behandeln

Verhaltenstherapien seien sehr wirkungsvoll gegen Angststörungen, erklärt Völkel. Dabei lernen Patient*innen Entspannungsverfahren wie progressive Muskelentspannung, neue Denkmuster und werden nach und nach mit ihren Angstreizen konfrontiert.

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Für Helen war eine Therapie nicht das Richtige. "Dieser Zwang, jemandem gegenüberzusitzen, hat mir auch Angst gemacht, sodass ich dann oft nicht zur Therapie gegangen bin", sagt sie. Antidepressiva lindern ihre Symptome. Außerdem unterstützen sie ihre Eltern und Freund*innen. "Es hilft mir einfach, wenn sie da sind", sagt Helen.
Eine andere Taktik: sich auf kleine Aufgaben konzentrieren, etwa die Bücher alphabetisch sortieren. "Ich denke einfach darüber nach, welcher Buchstabe als nächstes kommt. So habe ich gar nicht die Zeit oder die Möglichkeit, dabei noch über das nachzudenken, was mir eigentlich durch den Kopf geht." So hat sie mittlerweile gelernt, mit ihrer Angststörung zu leben.
Redaktion: Kathrin Wolff
Grafik im Auftrag des ZDF: Jens Albrecht

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