: Was bisher zu den Anschlagsplänen bekannt ist

von Julia Klaus
08.01.2023 | 18:24 Uhr
In Castrop-Rauxel ist ein mutmaßlicher Islamist festgenommen worden, der sich für einen Anschlag Rizin besorgt haben soll. Wie gefährlich sind solche Biowaffen?
In Castrop-Rauxel ist ein 32-Jähriger festgenommen worden, der in Verdacht steht, einen islamistischen Anschlag geplant zu haben. Dafür soll er sich Rizin und Cyanid besorgt haben. Zwar wurden in seiner Wohnung keine Giftstoffe oder Kontaminationen gefunden. Der leitende Oberstaatsanwalt sagte ZDFheute aber:
Wir schauen jetzt intensiv, ob es andere Orte für die Lagerung geben könnte.
Holger Heming, Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf
Den entscheidenden Hinweis hatten die Ermittler von einem US-amerikanischen Geheimdienst erhalten. Laut Oberstaatsanwalt Heming hatten sie die Deutschen am Samstag vor einem islamistischen Anschlag mit den beiden Giften gewarnt.
Und die reagierten schnell: In der Nacht zu Sonntag erfolgte die Durchsuchung - auch der Bruder des Verdächtigen wurde festgenommen. Im Laufe des Tages wurden nach Behördenangaben Haftbefehle gegen die beiden Brüder beantragt.

Rizin und Cyanid hochgiftig

Das Robert-Koch-Institut führt Rizin in der Liste der biologischen Kriegswaffen. Eingenommen, injiziert oder in größeren Mengen eingeatmet, ist es ein höchst wirksames Gift. Gewonnen wird es aus den Samen des Wunderbaums. Cyanid ist ebenfalls hochgiftig.

Was ist Rizin?

Rizin ist ein Pflanzengift, das beim Rizinusbaum (Ricinus communis) vor allem in den Samen enthalten ist. Gewonnen wird es nach Auspressen des Öls aus dem Rückstand der Samen. Besonders giftig ist es bei Injektion oder Inhalation.

Zu den Symptomen zählen Übelkeit und Erbrechen, Muskelschmerzen, Leber- und Nierenschäden sowie Kreislaufversagen, bei Inhalation Auswirkungen in den Atemwegen wie Lungenödeme. Behandelt werden im Vergiftungsfall die Symptome, spezifische Therapiemöglichkeiten gibt es bisher nicht. Laut Robert-Koch-Institut ist es in der Kriegswaffenliste unter "Biologische Waffen" aufgeführt.

Was ist Cyanid?

Cyanide - vor allem das als Zyankali bekannte Kaliumcyanid - werden schon seit langer Zeit für gezielte Vergiftungen verwendet. Sie wirken nicht nur beim Verschlucken, sondern auch nach Einatmen über die Lunge. Die Atemgifte wirken sehr schnell, die Opfer sterben an Atemlähmung.

Cyanide werden auch in der Industrie, unter anderem zur Härtung von Stahl, eingesetzt. Cyanverbindungen führen immer wieder zu Massensterben von Wasserlebewesen, wenn sie etwa aus Bergwerken in Gewässer gelangen. Zu Vergiftungen beim Menschen kann es etwa nach dem Verzehr von Bittermandeln oder Aprikosenkernen kommen. Es gibt auch ungiftige Cyanide, die unter anderem als Lebensmittelzusatz verwendet werden.

Wie gefährlich kann Rizin als Waffe sein?

Quelle:
Wie gefährlich Rizin ist, haben Ermittlungen vor vier Jahren in Köln gezeigt: In einem 15-stöckigen Gebäude in der Hochhaussiedlung Chorweiler hatten ein Tunesier und seine deutsche Frau die Chemikalie hergestellt und Testexplosionen ausgelöst. Ein ausländischer Geheimdienst schöpfte wegen der Online-Käufe großer Mengen Rizinus-Samen Verdacht und gab einen Tipp.

Beide wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Ein Gutachten ergab: Rein rechnerisch hätten durch die Giftmenge 13.500 Menschen sterben können.

Quelle: dpa

Die Geschichte von Biowaffen reicht sehr weit zurück. Vom griechischen Feldherrn, der das Wasser seiner Feinde vergiftete, bis hin zur Praxis im Mittelalter, Pest-Tote in belagerte Städte zu platzieren. Im Zweiten Weltkrieg betrieben zudem alle Großmächte Biowaffen-Programme.

Biowaffen-Pläne von Terroristen

Auch Terroristen verfolgen schon länger Pläne, Biowaffen für ihre Ziele einzusetzen. Angehörige der rechtsextremistischen Gruppierung "Minnesota Patriots Council" wurden 1991 in den USA festgenommen, weil sie mit Rizin einen Anschlag auf Polizisten planten.
Auch die islamistische Al Quaida trieb den Bau von Biowaffen voran. 2001 fand ein Journalist im Haus von Al-Quaida-Sympathisanten Dokumente mit einer Anleitung zur Herstellung von Rizin. Auch der "IS" interessiert sich für biologische Kampfstoffe. 2014 entdeckten irakische Sicherheitskräfte bei einem IS-Sympathisanten Tausende Dateien, die mit biologischen Kampfwaffen zusammenhingen.
Giftige Rizin-Samen des Wunderbaums. Quelle:
Der Terrorismus-Experte Peter Neumann vom King's College in London erläutert gegenüber ZDFheute:
Die gute Nachricht ist: Die allermeisten Terroristen sind der Komplexität von Biowaffen nicht gewachsen. Sie schaffen es nicht, diese herzustellen oder effektiv einzusetzen.
Peter Neumann, Politologe am King's College
Im Fall von Rizin etwa brauche man zunächst eine sehr große Menge der Samen. In einem zweiten Schritt müsse das Gift effektiv verteilt werden, was nicht leicht sei, so Neumann.

Der Rizin-Fall von Köln

Ein womöglich ähnlich gelagerter, gescheiterter Rizin-Versuch wurde 2018 bekannt. In Köln hatte ein Islamist mit den Samen experimentiert und das Gift sogar an einem Hamster getestet. Das Tier überlebte, die Behörden nahmen den Mann fest.
Nicht nur Islamisten loten ihre Chancen mit Biowaffen aus. In der Corona-Pandemie fabulierten auch Rechtsextreme über potenzielle Biowaffen in Form von Viren.

Wie gefährlich ist der islamistische Terrorismus in Deutschland?

Der Fall des 32-Jährigen in NRW wirft auch die Frage auf, wie gefährlich islamistischer Terror in Deutschland noch ist. Terrorismus-Experte Neumann sagte zu ZDFheute:
Der Fall in Castrop-Rauxel ist besorgniserregend. Doch die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus ist heute sehr viel geringer als noch vor sechs oder sieben Jahren.
Peter Neumann, Politologe am King's College
Laut Neumann liege das an zwei Faktoren:
  1. Das Kalifat des sogenannten Islamischen Staats ist zerschlagen. "Sie haben deshalb nicht mehr die logistische Basis, um für Terroranschläge zu mobilisieren", sagt Neumann.
  2. Die Sicherheitsbehörden haben laut Neumann auch dazu gelernt und große Netzwerke zerschlagen. "Bei dem Mann handelt es sich deshalb vermutlich um einen Einzeltäter."
ZDFheute Infografik
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Faeser: "Rechnen jederzeit mit Vorbereitungen für Anschlag"

Wie weit die Pläne des Verdächtigen waren, ob es etwa konkrete Ziele gab, müssen die Ermittlungen zeigen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte am Sonntag, dass islamistisch motivierte Einzeltäter und Terrororganisationen weiterhin eine erhebliche Gefahr in Deutschland darstellen würden. "Unsere Sicherheitsbehörden rechnen deshalb jederzeit mit Vorbereitungen für einen Anschlag."

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