: Berlinale: Politisch auf Leinwand und Teppich

von Henriette de Maizière
18.02.2024 | 21:19 Uhr
Kaum ist der rote Teppich bei der Berlinale ausgerollt, wird er für Protest genutzt. Das Festival wird zum Schauplatz und Spiegel unterschiedlichster Konflikte.
"Verteidigt die Demokratie", rufen einige der Ehrengäste am Eröffnungsabend. Am Hals einer Schauspielerin eine Kette mit dem Schriftzug "FCK AFD". Auf dem Rücken einer Produzentin ein Banner mit der Aufschrift "Ceasefire now!"
Die Berlinale - ein Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte? Immer wieder Thema: der andauernde Krieg im Nahen Osten. Bei Protesten, in den Reden - aber auch im Programm der Berlinale. Mariëtte Rissenbeek, Geschäftsführerin der Berlinale, sagt:
Wir verstehen das Festival als Plattform für offene Diskussionen, wollen aber keine Polarisierung. Wir suchen den friedlichen Dialog. Deshalb möchten wir Sorge dafür tragen, dass es keine antisemitischen oder antimuslimischen Manifestationen am roten Teppich gibt.
Mariëtte Rissenbeek, Geschäftsführerin der Berlinale

Nahost-Krieg im Programm der Berlinale

Die Dokumentation "No Other Land" läuft bei "Panorama Dokumente" und feiert auf der Berlinale Weltpremiere. Der junge palästinensische Aktivist Basel Adra kämpft seit seiner Kindheit gegen die Vertreibung seiner Gemeinschaft aus Teilen des Westjordanlands.
Er dokumentiert die schrittweise Räumung der Region Masafer Yatta. An seiner Seite Yuval Abraham - ein israelischer Journalist, der seine Bemühungen unterstützt.
Basel Adras Aufnahmen - gedreht mit einer kleinen Kamera, zum Teil auf der Flucht, immer im Getümmel, dokumentieren den ungleichen Kampf. Er konfrontiert die Soldaten in ihrem Tun - versucht die Verantwortlichen vor Ort zu stellen. Daneben die bedrückend klaren Aufnahmen des israelischen Kamerateams um Yuval. Im ZDF-Interview sagt Basel Adra:
Es ist ein leiser Krieg - so nennen wir es - den niemand sieht.
Basel Adra, palästinensischer Aktivist und Filmemacher
Yuval Abraham, Hamdan Ballal, Rachel Szor und Basel Adra (v.l.n.r.) bei der Premiere von "No Other Land" in Berlin.Quelle: dpa

"No Other Land" sagt vieles - ohne Kommentar

Als an einem Morgen die israelischen Bulldozer kommen und die örtliche Schule zerstören, wird die Willkür der israelischen Räumung spürbar. Der Film verzichtet auf Kommentar, dokumentiert die sich immer weiter zuspitzende Spirale von Gewalt und dem Verlust der Heimat.
Abraham sagt: "Die Menschen fliehen in die Städte. Dort wird es immer voller - es ist wirklich wie in einem Ghetto. Umgeben von Mauern bauen sie in die Höhe."
Sie verlieren nicht nur die Heimat, sie hören auf, Bauern zu sein. Sie verlieren ihr Land. Ihr Leben. Sie leben unter Besatzung. Die Ökonomie ist am Boden. Und so werden sie Bauarbeiter. Sie bauen den Israelis Häuser - denen, die ihre Häuser zerstört haben.
Yuval Abraham, israelischer Journalist
Protestaktionen während der Berlinale in Bildern:

Filmschaffende rufen "Defend Democracy"

Filmemacher protestieren am Eröffnungsabend auf dem roten Teppich der Berlinale für "Demokratie, Vielfalt und ein friedliches Miteinander".

Quelle: epa

Yuval macht deutlich, hier vor der Kamera sitze er, der Israeli, der unter Zivilrecht lebe. Und Basel, der Palästinenser, der unter Militärrecht stehe. Er fordert, die westlichen Nationen müssten Druck machen auf den israelischen Staat, die "Besatzung" aufzugeben - notfalls mit Sanktionen:
Wenn Basel und ich nicht gleich sein können, wird es keinen Frieden geben, keine Sicherheit und keine Freiheit. Wir beide müssen frei sein.
Yuval Abraham, israelischer Journalist

Vorwurf der Apartheid gegen Israel

Der israelische Journalist Yuval Abraham hat in einem Doppel-Interview mit seinem palästinensischen Regisseur-Kollegen Basel Adra im "Spiegel" Israel unter anderem vorgeworfen, ein "System der Apartheid" gegenüber Palästinensern eingeführt zu haben. Dieser Vorwurf wird immer wieder von propalästinensischen Akteuren geäußert - und auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verwendet teils den Begriff. Die Verwendung ist allerdings umstritten, Israel widerspricht dem Vorwurf vehement.

Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IstGH) von 1998 definiert das "Verbrechen der Apartheid" als "unmenschliche Handlungen (...), die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten."

Bisher existieren laut den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestags allerdings keine "Verurteilungen eines Staates (...) auf Grundlage der Anti-Apartheid-Konvention". "Die Staatenpraxis zum Umgang mit Apartheid-Vorwürfen ist - abgesehen vom Fall 'Südafrika' - bislang sehr überschaubar geblieben", heißt es weiter.

"Shikun" zeigt Begegnungen von Israelis und Palästinensern

Im Berlinale Special feiert der israelische Film "Shikun" des Regisseurs Amos Gitai Weltpremiere. Eine Parabel - ein Querschnitt durch die israelische Gesellschaft. Der Film entstand weitgehend vor dem 7. Oktober und dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel. Israelische und palästinensische Darsteller - Menschen verschiedener Sprachen und Generationen begegnen einander in szenischen Episoden.

Der iranische Film "Keyke mahboobe man" feiert Premiere im Wettbewerb der Berlinale - ohne sein Regie-Duo.

17.02.2024 | 02:32 min
Im ZDF-Interview sagt Regisseur Amos Gitai, sein Film sei gut aufgehoben bei der Berlinale unter dem Berliner Winterhimmel: "Es braucht Interpretation - meine Filme sind ein Dialog mit Menschen, die nicht nur konsumieren wollen, sondern sich auch auseinandersetzen."
Ein abstrakter Film zu einem aktuellen Thema.
Amos Gitai, israelischer Regisseur
Amos Gitai sagt: "In jeder historisch schwierigen Zeit gab es immer Menschen, die Widerstand geleistet haben. Die nicht dem Mob gefolgt sind. Nicht bei exzessivem Nationalismus oder religiösem Fanatismus oder so mitmachten. Und irgendwie ist es ein Film für diese Menschen."

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