: DDR-Heimkinder leiden bis heute unter Folgen

20.03.2023 | 16:01 Uhr
Rund eine halbe Million Kinder und Jugendliche waren in DDR-Heimen. Einige von ihnen erlebten laut einer Umfrage körperliche und psychische Gewalt. Mit Folgen bis heute.
Im Jugendwerkhof im sächsischen Torgau lebten früher Kinder.Quelle: dpa
Viele ehemalige Bewohner von DDR-Kinderheimen leiden bis heute unter den Folgen von Gewalt und Vernachlässigung. Das ist das Ergebnis einer am Montag veröffentlichten Studie des Forschungsverbunds "Testimony", der unter Federführung der Universität Leipzig die Erfahrungen Betroffener in vier Teilprojekten untersucht hat.
Aus einer Fragebogenstudie mit 273 Teilnehmenden geht hervor:
  • 93 Prozent der Befragten erfuhren körperliche Vernachlässigung
  • 95 Prozent erfuhren emotionale Vernachlässigung
  • 68 Prozent sprachen von körperlicher Misshandlung
  • 54 Prozent sprachen von sexuellem Missbrauch
"Das sind wahnsinnig hohe Zahlen", sagte Studienleiterin Prof. Dr. Heide Glaesmer von der Universitätsmedizin Leipzig.

Jeder Fünfte der Befragten war mindestens einmal in Haft

Laut Studie berichteten 43 Prozent der Teilnehmenden von komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen, jeder Fünfte war in seinem Leben mindestens einmal in Haft. Betroffene litten oft noch heute unter Angst vor staatlichen Institutionen, Behörden und Ärzten, sagte Glaesmer.
Andere seien verzweifelt, wenn sich ihre Heim-Aufenthalte angesichts lückenhafter Biografien nicht mehr belegen lassen. Trauer und Wut herrsche bei den Betroffenen, weil sie sich wegen fehlender Bildungs- und Orientierungsmöglichkeiten nicht ausreichend auf ihr Leben vorbereitet fühlten.

Kinder, die in DDR-Wochenheimen aufwuchsen, sahen ihre Eltern nur am Wochenende. Montagmorgen wurden sie in die Einrichtung gebracht und erst Freitagabend wieder abgeholt - ein Altag ohne Mutter und Vater, stattdessen Erzieher in wechselnden Schichten.

12.02.2019

Rund eine halbe Million Kinder lebten in DDR-Heimen

Nicht zuletzt fürchteten sich viele Befragte vor einem erneuten, fremdbestimmten Heimaufenthalt im Alter.
Wichtig ist aber auch, dass es auch Zeitzeugen gibt, die keine negativen Erfahrungen berichtet haben.
Heide Glaesmer, Studienleiterin
Nach Angaben des Forschungsverbunds "Testimony" waren zwischen 1949 und 1990 etwa eine halbe Millionen Kinder und Jugendliche in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der DDR untergebracht. Ihre Erfahrungen in diesen Einrichtungen, deren Folgen und Bewältigung seien bislang nicht umfassend erforscht gewesen, hieß es.
Quelle: dpa, epd

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