: "Wir haben selbst versucht, sie zu befreien"

von Carolin Auen
13.09.2023 | 19:10 Uhr
2.900 Tote hat das Erdbeben bislang gefordert, Tendenz steigend. Zahlreiche Orte haben die Rettungskräfte noch nicht erreicht. Und wenn sie kommen, ist es oft zu spät.

In Marokko wächst die Not und Verzweiflung bei Betroffenen des schweren Erdbebens. Viele suchen weiter nach vermissten Angehörigen. Zudem mangelt es an Lebensmitteln und Wasser.

12.09.2023 | 01:40 min
Enge Schotterpisten schlängeln sich durch das Atlasgebirge, vorbei an einfach gebauten Berberdörfern. Je weiter sich die Straße von Marrakesch entfernt, desto karger wird die Landschaft. Genau hier, mitten in den Bergen, liegt das Epizentrum des Erdbebens. Erst vier Tage danach treffen in der Region die Bergungsteams ein, kämpfen sich durch das Geröll. Für viele Verschüttete kommen sie zu spät.
ZDFheute Infografik
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Fatima Ouahmad hat beim Erdbeben sieben Familienmitglieder verloren. "Wir selbst haben versucht, sie zu befreien. Sie haben geschrien. Bis sie verstummt, bis sie gestorben sind", erinnert sie sich.
Diejenigen, die wir erreichen konnten, haben wir herausgeholt. Aber den anderen konnten wir nicht helfen.
Fatima Ouahmad
Neben den Trümmern ihrer Häuser kampieren die Bewohner*innen des Dorfes Douzrou in Zelten. Errichtet zwischen den Ruinen ihrer Häuser. Zwischen Getreidesäcken und Wasserkanistern spielen Kinder im Staub.

Laut UN-Kinderhilfswerk sind etwa 100.000 Kinder betroffen, konkrete Opferzahlen gebe es aber noch nicht.

12.09.2023 | 01:50 min
Aziz Fakhar ist Tourguide. Vor wenigen Tagen hat er noch Touristen durch die Region geführt. Er ist hier aufgewachsen und kennt die Menschen gut, die unter den Mauern ihrer Häuser begraben wurden.
Zehn Familien sind hier ums Leben gekommen, bei ihnen habe ich mit meinen Gruppen Tee getrunken. Weiter oben im Nachbardorf haben wir manchmal übernachtet, die Besitzerin des Hotels ist auch gestorben.
Aziz Fakhar, Touristenführer

Frustrierende Bilanz für die Rettungskräfte

In den entlegenen Dörfern des Atlasgebirges gestalten sich die Bergungsarbeiten auch Tage nach dem Beben noch schwierig, sind oft vergebens. Immer seltener werden Menschen lebend aus den Trümmern gerettet. Das Zeitfenster von 72 Stunden, von Expert*innen als kritisch für die Bergung angegeben, ist seit Montagabend geschlossen. Und noch immer sind einige Gebiete für die Rettungskräfte nicht zugänglich.

Auch das Technischen Hilfswerk hatte Hilfe angeboten. Dies wurde abgelehnt. Einschätzungen von Ex-THW-Präsident Broemme.

11.09.2023 | 01:46 min
"Es gibt keine Hohlräume in den Gebäuden, in denen wir gehofft hatten, Überlebende zu finden. Das was eingestürzt ist, ist komplett eingestürzt", erklärt Rob Norman, stellvertretender Einsatzleiter des britischen Such- und Rettungsteams (ISAR).
Wir Lebensretter sprechen von einem maximalen Grad der Zerstörung.
Rob Norman, britische Such- und Rettungsteams
Er und sein Team durchqueren durch die Region, in der Hoffnung, noch Überlebende unter dem Schutt zu finden. Die Informationen zum Bedarf in der Region geben sie an das Netzwerk aus Hilfsorganisationen weiter.

Starke Solidarität in der Bevölkerung

Aus Marrakesch fahren täglich Helfer*innen in die Berge. Sie koordinieren sich selbstständig, über die sozialen Medien oder treffen sich auf Plätzen in der Stadt, wie beispielsweise vor den Krankenhäusern.
Dort steht auch Fahed steht mit seiner Studentenorganisation. Sie packen einen kleinen Lieferwagen. Auf der offenen Ladefläche stapeln sich bereits haltbare Milch, Decken und Lebensmittel. "Heute ist Tag drei unserer Spendensammelaktion, gestern sind wir in die Berge gefahren. Dort sind die Leute verzweifelt, sie brauchen dringend Hilfe", sagt er. "Es ist wichtig, sich solidarisch zu zeigen und den Menschen mit allen Mitteln zu helfen."

Die Schwestergesellschaften Rotes Kreuz und Roter Halbmond hätten das Recht sich gegenseitig zu helfen. Das geschehe in Marokko - sagt Christof Johnen (DRK) über die Erdbebenhilfe.

12.09.2023 | 03:35 min

Verletzte werden nach Marrakesch gebracht

Die Verletzten, die von den Rettungskräften erreicht werden, kommen nach Marrakesch in die Krankenhäuser. Um vor Ort die bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten, hat Dr. Samira Fazzani bereits in der Nacht auf Samstag, wenige Stunden nach dem Erdbeben, einen Aufruf zur Blutspende gestartet. "Die Menschen sind noch in der Nacht gekommen", erzählt die Direktorin des Blutspendezentrums von Marrakesch.
Wir waren auf den Morgen eingestellt und haben unseren Augen kaum getraut, so stark war der Andrang.
Dr. Samira Fazzani
Damit die Blutreserven auch weiterhin nicht ausgehen, bitten Fazzani und ihre Kolleg:innen die Wartenden in der Schlage, zu einem anderen Zeitpunkt wiederzukommen. "Wir haben ihre Telefonnummern notiert und ihnen erklärt, dass wir jeden Tag Verletzte und Geburten haben und jeden Tag Blutspenden benötigen. Ein paar Hundert Personen am Tag sind vollkommen ausreichend, um einen Rhythmus beizubehalten."

Bewohner blicken besorgt auf den Herbst

Während in den Bergen die Suche nach den Vermissten noch weiter andauert, schlafen auch in Marrakesch noch einige Bewohner*innen auf den Straßen und Plätzen. Zu groß ist die Angst, in ihre Häuser zurückzukehren. Wenn das Trauma nachlässt, die Erinnerung an das Beben, werden die meisten von ihnen in ihre Häuser zurückkehren können.
Fatima und die anderen Bewohner von Douzrou haben diese Möglichkeit nicht. In den Bergen werden die Nächte immer kälter, der Herbst kündigt sich mit seinem Wind an.
Wenn der Regen kommt, brauchen wir eine Unterkunft für die kleinen Kinder, um sie zu schützen.
Fatima, Bewohnerin von Douzrou
Doch Fatima sorgt sich auch, dass die Aufmerksamkeit bald wieder schwindet und das Erdbeben in Marokko nur als eine von vielen Katastrophen angesehen wird. Denn hier in Douzrou sind sie auf die Hilfe anderer angewiesen und werden es noch lange bleiben.

Die Gesteinsplatten der Erdkruste sind ständig in Bewegung. Sie können sich verhaken und eine enorme Spannung aufbauen. Löst sich diese ruckartig, bebt die Erde.

26.09.2022 | 01:44 min

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