: NSU-Terror: Was vor 20 Jahren in Köln geschah

von Alexander Schwinning
09.06.2024 | 06:35 Uhr
Der Nagelbombenanschlag vor 20 Jahren traf Menschen mit ausländischen Wurzeln. Die Polizei ermittelte in eine falsche Richtung. Nach Jahren kam heraus: Dahinter steckte die NSU.

Am 9.6.2004 explodierte eine Nagelbombe in der Keupstraße in Köln. 17 Menschen wurden verletzt, einige davon schwer. Es war ein Anschlag auf Mitmenschen mit Migrationshintergrund.

03.06.2024 | 08:47 min
Es war ein sommerlicher Tag, dieser 9. Juni 2004. Geschäftiges Treiben auf der Kölner Keupstraße, in der viele Menschen mit türkischem oder kurdischem Hintergrund leben. Plötzlich ein lauter Knall, Fensterscheiben gehen zu Bruch, Menschen taumeln durch die Straße.
Hasan Yildirim arbeitete in dem Friseurladen, vor dem die Bombe explodierte. "Ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich an den Tag denke", erzählt er.
Um mich herum war überall Blut. Ich hatte am ganzen Körper Schnittwunden.
Hasan Yildirim, Friseur

Bombe mit Hunderten Nägeln

Wie sich nachher herausstellte: Die Täter hatten eine Gasflasche mit mehr als fünf Kilo Schwarzpulver und etwa 800 Zimmermannsnägeln (jeweils zehn Zentimeter lang) gefüllt. 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, Tote gab es nicht.
Axel Spilcker arbeitete als Journalist für den Kölner Stadtanzeiger. "Es war ein ziemliches Grauen, was sich da bot", erinnert er sich. "Die Leute waren völlig durch den Wind und orientierungslos. Dazwischen Sanitäter, Feuerwehr, Polizei."

Die Bundesanwaltschaft hat gegen eine mutmaßliche Unterstützerin der NSU-Anklage beim Oberlandesgericht Dresden erhoben. Sie ist die Frau des Verurteilten André E. und soll Beihilfe zu einer Erpressung geleistet haben.

28.02.2024 | 02:21 min

Die Ermittler tappten im Dunklen

Die Bombe war auf dem Gepäckträger eines Fahrrads montiert, welches ein Mann vor dem Friseursalon abgestellt hatte. Hasan Yildirim weiß auch heute noch alles ganz genau: "Wir standen uns gegenüber", beschreibt er die Momente vor der Explosion.
"Ich habe gesehen, wie er sein Fahrrad ans Fenster lehnt und wegging." Wenige Momente später ging die Bombe hoch.
Niemand ist auf die Idee gekommen, dass das Neonazis waren.
Axel Spilcker, Kölner Journalist
Die Ermittlungen gestalteten sich schwierig. "Es gab viele Theorien", so Journalist Axel Spilcker. "Organisierte Kriminalität, Schutzgeld oder ein Racheakt." Auch eine Beteiligung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK oder eine Tat türkischer Rechtsextremisten schienen möglich: "Aber kein politischer Hintergrund."

Zeugen wurden nicht ernst genommen

Die Polizei hat uns nicht zugehört.
Meral Sahin, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße
Für die Menschen vor Ort war klar, dass sie nichts mit dem Anschlag zu tun haben. "Man hatte so ein Bild von uns vor Augen", sagt Meral Sahin. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily meinte am Tag danach, die Ermittlungen seien zwar noch nicht abgeschlossen, aber: "Unsere Erkenntnisse deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund hin, sondern auf ein kriminelles Milieu."
Eine Aussage, die viele Anwohner der Keupstraße tief verletzt hat. "Die Anschuldigungen waren abscheulich", sagt Friseur Hasan Yildirim.

Der "Nationalsozialistische Untergrund" wird enttarnt

Jahrelang wurde ermittelt, das LKA setzte verdeckte Ermittler ein - ohne Ergebnis. Erst im November 2011, sieben Jahre nach der Explosion, kam Bewegung in den Fall. In Eisenach wurde der sogenannte "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) enttarnt, eine rechte Terrorgruppe.

Bundesinnenministerin Faeser will stärker gegen Rechtsextremismus vorgehen. Es gehe darum, Netzwerke zu zerschlagen, Finanzströme aufzudecken und Waffengesetze zu verschärfen.

13.02.2024 | 02:48 min
Zwei der Haupttäter - Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt - begingen Suizid, das dritte Mitglied Beate Zschäpe stellte sich. Bald wurde klar: Auf das Konto des NSU gingen nicht nur zehn Morde in ganz Deutschland, sondern auch der Nagelbombenanschlag in der Keupstraße. Das Motiv: Hass auf Ausländer.

Erinnerung an den Nagelbombenanschlag

Aus Köln kamen 150 Menschen zum Prozess nach München, als dort über den Anschlag verhandelt wurde. "Zschäpe hat keinen Moment lang Reue gezeigt", erinnert sich Rechtsanwalt Eberhard Reinecke. Er vertrat damals sieben Geschädigte des Anschlags. Im Prozess spielte Zschäpe ihre Rolle im NSU herunter, ohne Erfolg. Das Gericht verurteilte sie zu lebenslanger Haft, bei besonderer Schwere der Schuld.
Schlimm, dass so etwas passiert ist. Aber gut, dass wir das niemals vergessen werden.
Axel Spilcker, Journalist
Nach jahrelangem Warten soll es nun eine Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags geben, mit interaktiven Elementen - nachempfunden dem Friseursalon, vor dem die Bombe explodierte.

Thema

Mehr zum Thema Rechtsextremismus

Weitere Retro-Beiträge