: Deutsche Millionen für US-Pharma-Dynastie

von M. Christoph, M. Hübner, D. Kollig, K. Takasaki
17.09.2024 | 19:00 Uhr
Die Sacklers und ihr Pharmakonzern Purdue werden in den USA für die Opioid-Krise verantwortlich gemacht. Exklusive Recherchen decken die Geschäfte der Familie in Deutschland auf.

Droht auch hierzulande eine Opioid-Krise - und welche Rolle spielt dabei die US-Familie Sackler?

17.09.2024 | 44:29 min
Für Vera Brunner waren Opioid-Medikamente die große Hoffnung. Vor fünf Jahren hatte die 58-Jährige ehemalige Verkaufssachbearbeiterin unerträgliche Schmerzen. Ein Arzt verschrieb ihr ein Mittel mit dem Wirkstoff Oxycodon, ein starkes Opioid. "Und wer möchte das nicht, dass die Schmerzen weg sind?" Doch schnell folgte der tiefe Fall.
Ich bin morgens um fünf Uhr schon aufgewacht und hatte schon im Kopf: Jetzt muss ich wieder Oxycodon einwerfen.
Vera Brunner

Einstiegsdroge OxyContin

Während Vera Brunner in Deutschland süchtig wurde auf Rezept, wird in den USA über die Schuld an der nationalen Opioid-Krise verhandelt - eine Epidemie gigantischen Ausmaßes: Millionen gerieten in die Abhängigkeit, für viele war das Medikament OxyContin des US-Herstellers Purdue Pharma die Einstiegsdroge.
OxyContin wurde durch den Pharmakonzern der Milliardärsfamilie Sackler aggressiv vermarktet als eine Art Wundermittel der Schmerzmedizin, angeblich annähernd frei von Nebenwirkungen. Inzwischen ist Purdue Pharma bankrott.

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Die Sacklers beteuern ihr tiefes Mitgefühl für die Opfer der Opioidkrise. Eine persönliche Verantwortung sehen sie nicht und weisen alle Vorwürfe von sich. Man habe stets gesetzeskonform und ethisch korrekt gehandelt.

Sackler-Konzern Mundipharma macht Millionen in Europa

Eine Recherche von ZDF frontal gemeinsam mit dem "Spiegel", "Washington Post", "The Examination", "Finance Uncovered" sowie sieben weiteren Medien zeigt jetzt: Die internationalen Firmen der langjährigen Eigentümerfamilie von Purdue Pharma sind weiter aktiv im Geschäft mit Opioiden, auch in Deutschland, und zwar mit der Unternehmensgruppe Mundipharma.
Dahinter verbirgt sich ein undurchsichtiges Netz von mehr als 100 Unternehmen in über 40 Ländern. In Deutschland agieren mehrere Firmen, die zu Mundipharma gehören. Über Treuhänder und Holdings bestehen Verbindungen zu den Sacklers und Mitglieder der Familie verdienen offenbar bis heute kräftig mit.

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Die Recherchen zeigen: Allein in den fünf größten Volkswirtschaften Europas machte die Unternehmensgruppe zwischen 2020 und 2022 rund 1,6 Milliarden Euro Umsatz und allein mit acht europäischen Firmen mehr als 400 Millionen Euro Gewinn. Die Sackler-Familie hat angekündigt, Mundipharma zu verkaufen, um die Opfer der US-Opioid-Krise entschädigen zu können.

Saalfelden, 1997: Purdue Pharma trifft auf Mundipharma-Deutschland

Bereits 1997, ein Jahr vor der Zulassung von Oxycodon in der Bundesrepublik, trafen sich Manager der deutschen Mundipharma-Niederlassung mit amerikanischen Experten und Ärzten im österreichischen Saalfelden beim ersten "OxyContin-Workshop" Europas. Das zeigt ein ZDF frontal exklusiv vorliegendes VHS-Video.
US-Experten feiern damals das angebliche Wundermedikament und schwören ihre deutschen Kollegen ein: "Wir alle haben von den Wundern von OxyContin gehört, dem Präparat mit langsamer Wirkstofffreisetzung, mit dem wir viel Erfahrung haben."

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Mundipharma bestreitet Vorwürfe

Ein Jahr später kommt Oxycodon auf den deutschen Markt und Mundipharma kann seine Gewinne verdreifachen, unter anderem mit dem Medikament "Oxygesic". Wollte sich die deutsche Mundipharma womöglich ein Beispiel nehmen an Purdue Pharma, dem US-Konzern der Sacklers? Mundipharma bestreitet das auf Anfrage:
Die Mundipharma Unternehmen haben unabhängig von Purdue US agiert und ihre eigenen Geschäftsstrategien festgelegt.
Mundipharma Firmengruppe
Weiter erklärt die Firmengruppe, zur Markteinführung habe man "medizinische Fachleute" darauf hingewiesen, dass das Medikament ein "starkes Opioid" sei. Generell arbeite man eng mit Behörden und Wissenschaftlern zusammen, um möglichen Missbrauch zu überwachen.
Mundipharma befolgt strikt alle gesetzlichen und branchenspezifischen Richtlinien und Vorschriften bei der Zusammenarbeit mit Fachleuten des Gesundheitswesens.
Mundipharma
Die Sacklers antworten auf konkrete Nachfragen nicht. Über einen Sprecher heißt es: "Als Mitglieder des Vorstands haben wir strenge Richtlinien erlassen, die Purdue zur vollständigen Einhaltung der Gesetze verpflichten." Am "operativen Geschäft" von Mundipharma-Firmen seien Mitglieder der Familie nie beteiligt gewesen.

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Allerdings zeigen Recherchen: Zeitweise waren Sacklers Geschäftsführer von Mundipharma-Unternehmen. Beispielsweise Theresa Sackler: 2010 unterschrieb sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei der deutschen Mundipharma-Vertriebsgesellschaft, war Geschäftsführerin: Jahresgehalt mehr als 260.000 Euro.
Auf Nachfrage räumt Mundipharma Geschäftsführerposten der Sacklers ein, betont aber, sie seien nicht ins Tagesgeschäft eingebunden gewesen.

"World of Pain"-Recherche

An der "World of Pain"-Recherche waren neben ZDF frontal, auch Paper Trail Media, Finance Uncovered, Metrópoles, Investigative Reporting Project Italy (IRPI), The Initium, Der Spiegel, ZDF, Der Standard, Tamedia-Group und die Washington Post beteiligt. Das Journalistenteam hat Tausende Seiten öffentlicher und geleakter Dokumente und einem Video, wissenschaftlicher Studien und Firmenunterlagen ausgewertet, mit Ärzten, Patienten, Forschern, Politikern, ehemaligen Mitarbeitern und Firmen-Insidern gesprochen. Koordiniert wurde die Recherche von dem Journalistennetzwerk “The Examination” mit Sitz in New York.

Suchtgefahr von Opioid-Schmerzmitteln

Opioid-Medikamente sind vor allem gedacht für Menschen, die im Sterben liegen oder an Krebs erkrankt sind. Doch Ärzte können auch bei chronischen Schmerzen Opioide verordnen.
Dazu sollen sie sich an der sogenannten LONTS -Leitlinie orientieren. Für Dominikus Bönsch, ärztlicher Direktor am Bezirkskrankenhaus Lohr, werden Opioide in Deutschland zu leichtfertig verschrieben.
Dieses Verordnen von Opiaten bei Rückenschmerzen, Arthrose, Beschwerden und so weiter hat sicher zugenommen. Und damit natürlich dann auch die Fälle von Abhängigkeit, die sich daraus entwickeln. Ganz klar.
Dominikus Bönsch, ärztlicher Direktor am Bezirkskrankenhaus Lohr
Schmerzfreiheit durch Opioide: ein Versprechen, an das auch Vera Brunner geglaubt hatte - vergeblich. Sie stand kurz davor, sich aufzugeben: "Ich habe gemerkt, ich bin jetzt abhängig und entweder passiert jetzt was oder ich hätte Suizid begangen." Auf der Suchtstation im Bezirkskrankenhaus Lohr fand sie Hilfe, im letzten Augenblick.

Hilfe bei Suizidgedanken

Schnell Hilfe finden

Es gibt Hilfe, auch in scheinbar ausweglosen Situationen. "Ich weiß nicht mehr weiter", "Ich kann nicht mehr": Wenn Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie unbedingt, mit jemandem darüber zu sprechen - egal, ob Familie, Freunde oder Menschen, die sich auf diese Themen spezialisiert haben.

Allgemeine Hilfsangebote

  • Telefonseelsorge: Anonym, kostenfrei, rund um die Uhr per Telefon erreichbar unter 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222. Hilfe auch per Mail-Seelsorge und Chat-Seelsorge möglich.
  • Die Gesellschaft für Suizidprävention führt eine Übersicht der Angebote auf ihrer Webseite.
  • Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe unter 0800-33 44 533 - im Netz hier zu finden.

Im Notfall Polizei (110) oder Rettungsdienst (112) anrufen!

Hilfsangebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene

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