: Wie ein TikTok-Trend Glück verspricht

von Andrea Lischtschuk
19.02.2023 | 19:15 Uhr
Der Weg zum Glück soll mit diesem TikTok-Trend ganz einfach werden: Mit Mantren und positiven Affirmationen kommt der Erfolg wohl wie von allein. Was daran problematisch ist.
Junge Frauen und Mädchen sollen sich mithilfe von Mantren und positiven Affirmationen täglich einreden, dass ihnen etwas gelingt und sie erfolgreich sind.Quelle: pexels.com
Auf der sozialen Video-Plattform TikTok hat sich der Hashtag #luckygirlsyndrome mit fast 445 Millionen Aufrufen festgesetzt. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Die Methode hinter dem Hashtag verspricht ewiges Glück und das auf eine scheinbar simple Art und Weise. Die Message verbreitet sich schnell.
Die Idee dahinter: Menschen – insbesondere junge Frauen und Mädchen – sollen sich mithilfe von Mantren und positiven Affirmationen täglich einreden, dass ihnen etwas gelingt und sie erfolgreich sind – kurz gesagt: dass sie einfach immer Glück haben. Mithilfe ihrer positiven Gedanken sollen sie so in jeglichen Lebenssituationen Glück anziehen.

Rund 28 Prozent der Menschen in Deutschland sind von einer psychischen Erkrankung betroffen.

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"Ich erwarte einfach immer, dass mir großartige Dinge passieren und dann passieren sie auch", sagt die amerikanische TikTokerin Laura Galebe in einem Video. Ihr "Lucky Girl"-TikTok ging im Dezember viral und mit ihm das Konzept zum "Syndrom".

Expertin: Lucky Girl Syndrome trifft einen Nerv

Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein rein weibliches Phänomen, auch wenn es in der männlichen Community weit weniger Beachtung findet. Lediglich 141.400 Aufrufe finden sich auf TikTok unter dem Hashtag #luckyboysyndrome.
In Deutschland wird der Trend ebenfalls aufgegriffen. Die deutsche Content-Createrin "Vibewithselly" erklärt in ihrem TikTok-Video:
Dabei ist es ganz entscheidend, sich selber immer einzureden, dass man eben immer Glück hat.
Vibewithselly, TikTokerin
Die Methode treffe einen Nerv, sagt Manifestations-Coach Kerstin Grenzau. Es zeige, dass viele Menschen, insbesondere junge Frauen und Mädchen, unglücklich seien. "Aufgrund positiver Gedanken soll das Glücklichsein erfüllt werden", erklärt sie weiter.
Aber reicht das? Werde ich davon immer glücklich, wenn ich Affirmationen in mich 'hineinprügle'?
Kerstin Grenzau, Manifestation-Coach

Gefahren hinter dem Konzept

Schenkt man der Herangehensweise des "Lucky Girl Syndroms" Glauben, dann ist das äußere Umfeld lediglich durch Gedanken beeinflussbar. Erfolg basiert demnach auf Glück, positiven Glaubenssätzen und der Kraft positiver Gedanken. Die Frauen würden dadurch die Verantwortung ablegen, sich selbst glücklich zu machen, erklärt Manifestations-Coach Grenzau.
Dass die Herangehensweise des "Syndroms" nicht unproblematisch ist, weiß auch Dr. Aljoscha Dreisörner, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsplattform "The Stress of Life" von der Uni Wien. "Positives Denken allein führt nicht zu mehr Glück", sagt Dreisörner.
Das ist meiner Meinung nach gefährlicher Unsinn und gleichzusetzen mit Quantenheilung und Homöopathie.
Dr. Aljoscha Dreisörner, Uni Wien
Wenn positive Absichten zu Verhaltensänderungen führen würden, dann könne man sein Glück womöglich durch positives Denken beeinflussen. Sich allein auf seine Gedanken zu verlassen, bringe aber rein gar nichts.

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Ein weiteres Problem sind negative Gefühle: Diese würden in den TikTok-Videos als etwas Falsches betrachtet, erläutert Manifestations-Coach Grenzau. Das permanente Unterdrücken nicht gewollter Emotionen lasse keinen Raum für das Auflösen von negativen Erfahrungen. Damit sei die Herangehensweise des "Lucky Girl Syndromes" nicht nachhaltig.
TikTokerin Laura Galebe macht es sich hingegen in ihren Videos leicht: "Wenn es nicht so läuft, wie ich es mir wünsche, dann kommt eben was Besseres danach." Negative Erfahrungen werden also teils direkt mit positiven Affirmationen erdrückt - eine Herangehensweise, die fast schon an Wahnvorstellungen erinnert.

Toxische Positivität, psychische Probleme, Privilegien-Unterschiede und körperliche Einschränkungen

Die Expert*innen sehen dadurch auch eine enge Verbindung zur toxischen Positivität. Das "Lucky Girl Syndrome" ziele auf eine Lebensweise ab, "die nur das Positive im Leben haben will", erklärt Dr. Dreisörner. Außerdem werde außen vorgelassen, dass negative Gefühle Gründe haben und Menschen an ihnen wachsen und dadurch glücklich werden können, ergänzt Grenzau. Es findet also ein Unterdrücken von negativen Erfahrungen statt.
Ein weiterer Kritikpunkt des Trends: Themen wie psychische Probleme, Privilegien-Unterschiede oder auch körperliche Einschränkungen beispielsweise durch Krankheiten oder Behinderungen werden nicht besprochen. Ob solche Themen somit auch mit dem "Lucky Girl Syndrome" geheilt werden könnten, erwähnen TikToker*innen wie Laura Galebe nicht. Zudem ist das "Lucky Girl Syndrome" nicht wissenschaftlich belegt.

Hilfe bei Depression & psychischen Problemen

Gute Laune und Optimismus können zwar einen positiven Einfluss auf Menschen haben, aber nicht alle psychischen Probleme lösen. Unter 0800 / 1110111 bietet die Telefonseelsorge kostenlose und anonyme Beratungen an. Jugendliche finden bei der Nummer gegen Kummer unter 116111 Hilfe. Betroffene können zudem auf den Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (bzga.de) Beratungsstellen finden.

Idee hinter dem "Lucky Girl Syndrome" ist nicht neu

In den Grundzügen ist die Idee hinter dem Konzept nicht neu: Im Wesentlichen zielt das "Lucky Girl Syndrome" auf das "Gesetz der Anziehung" ab. In seinem gleichnamigen Buch beschreibt Autor Michael Losier das Gesetz. Der Kern: "Ich ziehe all die Dinge, Menschen und Situationen in mein Leben an, denen ich Aufmerksamkeit und Energie gebe" – ob positiv oder auch negativ.
Und auch in den vergangenen Jahren haben unterschiedliche Konzepte immer wieder Anklang in der Bevölkerung gefunden. Darunter waren etwa Manifestation oder Vision Boards, mit denen Menschen sich ihre ideale Zukunft vorstellen können.

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