: PFAS: geruchlos, geschmacklos, krebserregend?

von Renée Severin
17.03.2023 | 19:06 Uhr
In der Industrie gelten PFAS-Stoffe als Wundermittel. Doch die Chemikalien haben eine Kehrseite für Umwelt und Gesundheit. Ein Landkreis ist besonders betroffen.

Deutschlandweit sind mehr als 1.500 Orte nachweislich mit PFAS verunreinigt. Im Landkreis Altötting sind die Messwerte so hoch, dass Blutspenden nicht mehr für Blutkonserven verwendet werden können.

16.03.2023 | 02:10 min
Es plätschert vor sich hin: Das Wasser läuft aus dem Krug des steinernen Mannes in ein Becken. Die Szenerie zeigt den Heiligen Konrad. Sein Brunnen steht im oberbayrischen Altötting, ein Wallfahrtsort. Das Brunnenwasser soll heilen, vor allem bei Augenleiden.
"Das ist schon ein Gag. Die Leute reiben sich ausgerechnet unsere Wasser auf die Augen", sagt Frank Bremauer aus Altötting. Denn das Wasser ist mit Chemikalien belastet: Mit Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS). Schätzungen zufolge umfasst die Gruppe etwa 10.000 verschiedene Stoffe.

PFAS sollen zu Krebs oder Unfruchtbarkeit führen

Natürlich kommen sie nicht vor, sondern werden hergestellt. PFAS-Stoffe finden sich deutschlandweit. Eine Recherche von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR hatte zuletzt eine Karte mit Hotspots hervorgebracht. Altötting ist so einer.
Wir wissen nicht sicher, wie gefährlich das ist.
Frank Bremauer, Bürgerinitiative Netzwerk Trinkwasser e.V.
Bremauer ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Netzwerk Trinkwasser e.V. (BINT). Die Sorge ist groß: Denn PFAS sollen gesundheitsschädlich sein, etwa zu Krebs oder Unfruchtbarkeit führen. Die Stoffe sind sogar im Blut nachzuweisen.

Wofür werden PFAS-Stoffe eingesetzt?

PFAS-Stoffe sind geruch- und geschmacklos, dazu wasser-, fett- und schmutzabweisend - können also vielseitig eingesetzt werden. Bekannte Beispiele sind Beschichtungen von Pfannen oder Regenjacken, außerdem werden die Stoffe auch für die Produktion von Skiwachs, Polstermöbeln oder Kosmetika. In der Industrie werden sie außerdem bei der Herstellung von Halbleitern verwendet.

Wie gelangen PFAS-Stoffe ins Blut?

PFAS gelangen über die Nahrungskette im menschlichen Körper. Dort verteilen sie sich im Organismus. Die Halbwertszeiten - also bis die Stoffe um die Hälfte wieder abgesunken sind - liegen hier bei etwa zwei bis acht Jahren.
2018 hatte das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) ein Blutmonitoring im Landkreis Altötting durchgeführt. Die Werte überschritten teilweise deutlich den Vorsorgewert für PFOA, einer PFAS-Variante. "Ich war fassungslos. Unsere Blutspenden wurden zeitweise nicht mehr angenommen", erinnert sich Bremauer.

Chemiepark Gendorf als Problemquelle identifiziert

Die Problemquelle liegt im nahgelegenen Chemiepark Gendorf. Dort wurde jahrelang PFOA hergestellt. Über Abwasser und Schornsteine gelangte es in Wasser und Böden. Sind PFAS einmal in der Umgebung, bleiben sie. Dr. Martin Göttlicher, Toxikologe am Helmholtz-Zentrum München, erklärt:
Sie reichern sich im Ökosystem an und werden extrem langsam abgebaut.
Martin Göttlicher, Helmholtz-Zentrum München
Es gehe um Halbwertszeiten von Jahrzehnten.

Gefahren von PFAS anfänglich angeblich nicht bekannt

Dr. Rolf Hengel ist Diplomchemiker, hat ab 1981 im Chemiepark Gendorf in Entwicklung und Produktion gearbeitet. Heute blickt er kritisch auf PFAS, aber zu Beginn seien die Gefahren nicht bekannt gewesen.
Eine Ausnahme: Frauen durften wegen möglicher Fruchtschäden nicht in der Produktion arbeiten. Vor 30 Jahren, noch während er in Gendorf tätig ist, erhält Hengel die Diagnose Krebs. Er ist sich fast sicher: PFAS war der Auslöser.

Viele Fragen zu PFAS noch offen

Beweisen kann man das nicht, betont Toxikologe Martin Göttlicher. Bisher wurden nicht alle Fragen endgültig geklärt. Grundsätzlich gäbe es aber Hinweise, dass die Stoffe krebserregend sein könnten.
Zum Beispiel habe man Arbeiter-Kohorten verglichen: Solche, die sehr hoch exponiert sind und solche, die zwar ähnlich arbeiten, aber nicht diese Stoffexposition haben.
Dann hat man schon Hinweise, dass sie beim Menschen krebserzeugend sind.
Martin Göttlicher, Toxikologe
Nieren- und Hodentumore seien aufgefallen. Auch die Immunreaktion von Kindern könnte durch die Stoffe beeinträchtigt sein. Aber: "Wir können es nicht erklären. Deshalb steht es als Beobachtung da und daraus leitet sich Vorsicht ab."
Unter anderem seine Krebserkrankung brachte Dr. Rolf Hengel zum Umdenken, später gründete er die BINT:
Solche Stoffe darf man nicht in den Verkehr bringen.
Rolf Hengel, Gründer Bürgerinitiative Netzwerk Trinkwasser e.V.
Mittlerweile ist PFOA verboten, die Altlasten bleiben. Für Altötting wird das Trinkwasser daher mit Aktivkohle gefiltert. Für belasteten Boden arbeitet der Landkreis an Entsorgungsmöglichkeiten. Die BINT glaubt, eine Sanierung sei unmöglich. Denn die Fläche sei zweimal so groß wie der Chiemsee.

Bremauer wirft Behörden Intransparenz vor

Ende 2022 wurde im Landkreis ein weiterer Stoff, HFPO-DA, erstmals über dem Leitwert nachgewiesen - wohl ein Nebenprodukt. Das LGL hält den Stoff im bisherigen Umfang nicht für gesundheitsschädlich. Die entsprechenden Brunnen wurden erstmal abgestellt. Frank Bremauer ist den Behörden gegenüber skeptisch:
Die Kommunikation ist nicht transparent und offen. Wir haben drei Jahre gewartet, bis wir ein Gespräch im Landratsamt hatten.
Frank Bremauer, Bürgerinitiative Netzwerk Trinkwasser e.V.
Das Landratsamt kann die Kritik nicht nachvollziehen. Es gäbe genug Untersuchungen, über dessen Ergebnisse die Öffentlichkeit zeitnah informiert würde. Das LGL verweist auf seine Informationen im Netz.
Auf EU-Ebene wird derzeit ein PFAS-Verbot geprüft. Fünf Länder hatten einen Antrag ausgearbeitet, darunter Deutschland. Aber die Altlasten bleiben. Das Landratsamt Altötting geht davon aus, dass mit besserer Analytik künftig weitere Stoffe nachgewiesen werden. "Das ist eine nie endende Geschichte", sagt Frank Bremauer. Nicht umsonst werden PFAS auch Ewigkeitschemikalien genannt. Da hilft auch im Wallfahrtort der Glaube an heilende Kräfte nicht.

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