: Warum es wieder so viele Störche gibt

17.05.2023 | 06:42 Uhr
Vor ein paar Jahren waren Weißstörche fast ausgestorben, jetzt brüten sie in Kolonien mit dutzenden Nestern auf engstem Raum. Woran das liegen könnte.
Über 50 Nester soll es im Storchendorf Uehlfeld geben.Quelle: dpa
Gleich am Ortseingang warnt ein Schild: "Achtung! Störche im Tiefflug!" Das ist zwar ein bisschen scherzhaft gemeint mit Blick auf die Touristen, die wegen der vielen Störche in das Dorf Uehlfeld kommen. Doch schon wenige Meter weiter sieht man, dass die Warnung nicht von ungefähr kommt. Überall auf den Dächern klappern die Weißstörche.
"Wir haben im Augenblick 53 Horste", sagt Detlef Genz, Bürgermeister der rund 3.000-Einwohner-Gemeinde im Norden Bayerns. "Meines Wissens so viel wie in keinem anderen Ort in Deutschland."

Erst fast ausgestorben, jetzt in Kolonien angesiedelt

Einst war der Weißstorch in Deutschland fast ausgestorben. Inzwischen brüten bundesweit rund 10.000 Storchenpaare. In den vergangenen Jahren habe die Population im Westen Deutschlands stark zugenommen, sagt Storchenexperte Kai-Michael Thomsen vom Michael-Otto-Institut des Naturschutzbunds (Nabu).
Die storchenreichsten Bundesländer seien Baden-Württemberg und Niedersachsen. Im Osten seien die Bestände dagegen allenfalls stabil, in Mecklenburg-Vorpommern sogar rückläufig. Und diese Entwicklung habe Folgen:
Wenn ein großer Populationsdruck da ist, können an günstigen Standorten Kolonien entstehen.
Kai-Michael Thomsen, Michael-Otto-Institut
So wie in Uehlfeld. Gerhard Bärtlein, 74 Jahre, ist mit den Störchen aufgewachsen. Fünf Storchpaare brüten derzeit auf seinen Dächern. Wahrscheinlich wären es noch viel mehr, wenn er den Nestbau an ungeeigneten Stellen nicht in einem frühen Stadium unterbunden hätte. "Vielleicht hat es sich in der Storchenwelt herumgesprochen, dass es sich in Uehlfeld gut lebt?", mutmaßt er.
Schilder im Storchendorf Uehlfeld.Quelle: dpa

Koloniebildung bei Weißstörchen

Wissenschaftlich ist das Verhalten der Störche schwer zu untersuchen, deshalb können Fachleute nur Vermutungen anstellen. "Das ist eine ganz verrückte Sache", sagt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell am Bodensee. In den ersten Jahren werde ein Brutpaar alles versuchen, um sein Revier zu verteidigen.
Doch wenn eine bestimmte Dichte erreicht wird, ist es, als wenn ein Hebel umgelegt wird. Aber was da genau passiert zwischen Aggression und Koloniebildung ist nicht ganz klar.
Wolfgang Fiedler, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie
Die zunehmende Koloniebildung bei Störchen könnte nach Ansicht von Fiedler auch mit dem veränderten Zugverhalten zusammenhängen. Die Zahl der Störche, die über die Westroute in die Winterquartiere fliegen, habe zugenommen. Etwa zwei Drittel von ihnen fliege gar nicht mehr bis nach Afrika, sondern überwintere großteils in Spanien, wo auf Mülldeponien ausreichend Nahrung zu finden sei.
Die Hauptrouten von Zugvögeln wie Störchen:

Das nahrungsreiche Wattenmeer in der Nordsee spielt für viele Zugvögel eine entscheidende Rolle bei der Suche nach Brut- oder Überwinterungsgebieten.

10.04.2023 | 00:58 min
"Seit die Westzieher zunehmen, wimmelt es nur so von Storchendörfern", sagt Fiedler. Vor allem im Süden und Südwesten Deutschlands seien Dörfer mit mehr als zehn Storchenpaaren keine Besonderheit mehr.
[Rückkehr aus Winterquartier: Nachtigallen sind zurück - mit Liebesliedern.]

Wettlauf um das beste Nest

Und das könnte Auswirkungen auf die Rückkehr der Störche nach Deutschland haben, vermutet er. Die Westzieher, die eine kürzere Strecke zurücklegen müssten, könnten schon ab Mitte Februar auf dem Nest sitzen.
Wenn die Dichte steigt, ist der Druck größer, früher zurückzukehren. Wer zuerst auf dem Nest sitzt, hat immer Vorteile.
Wolfgang Fiedler, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie
Ein Storch hatte sich wohl verflogen und überwinterte in Polen:

Storchennester sorgen für Probleme

Den Tourismus haben die Störche in Uehlfeld beflügelt: Ausflügler und Hobby-Vogelkundige sind begeistert, manche Anwohner dagegen weniger. Selbst Gerhard Bärtlein, der ein großes Herz für Störche hat, wie er selbst sagt, meint: "Es reicht mittlerweile." Denn wenn sich die Vögel einmal für einen Standort entschieden hätten, sei es gar nicht so leicht, sie davon wieder abzubringen.
Problematisch ist das vor allem, wenn sie Nester auf beheizten Kaminen oder an Oberkanten von Solaranlagen bauten. So legten Störche vor drei Jahren in Uehlfeld die kleine Brauerei des Brauereigasthofs Zwanzger lahm, weil sie auf deren Schornstein brüteten.
Mit solchen Problemen werde man künftig verstärkt umgehen müssen, prognostiziert Nabu-Experte Thomsen. Er sagt aber auch: "Irgendwann ist die Konkurrenz so groß, dass es vermehrt zu Kämpfen kommt und sich die Störche die Eier gegenseitig aus dem Nest werfen, oder der Stress in der Kolonie führt dazu, dass der Bruterfolg nicht so groß ist."
Über 200 Vogelarten in Deutschland sind gefährdet:
Quelle: Irena Güttel, dpa

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