: Wende im Audi-Prozess

von Peter Aumeier
25.04.2023 | 13:25 Uhr
Seit 2020 läuft der Prozess um Dieselmanipulationen bei Audi. Heute gab es weitere Geständnisse – doch nicht vom Hauptangeklagten Rupert Stadler. Noch nicht.
Der Hauptangeklagte im Prozess um Dieselmanipulationen bei Audi, Rupert Stadler, hat bisher nicht gestanden. Beobachter vermuten, das könnte aber bald anstehen.Quelle: dpa
Es ist der erste Strafprozess um geschönte Abgaswerte bei Dieselautos und er läuft inzwischen bereits zweieinhalb Jahre - jetzt könnte es plötzlich schnell gehen:
"Ist heute was Besonderes?", fragen die beiden Justizwachtmeister verwundert, die rauchend vor dem Gerichtssaal in München-Stadelheim stehen, "uns hat niemand was gesagt".

Zweieinhalb Jahre - 164 Prozesstage

Es ist Prozesstag 164 und eigentlich weist nicht viel darauf hin, dass heute etwas Entscheidendes passieren könnte. Seit Wochen liest man auf den Wirtschaftsseiten der überregionalen Presse von einem möglichen "Deal" zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft – aber von dem guten Dutzend Journalisten vor Ort will sich keiner so recht festlegen.
Um Viertel nach neun eröffnet der Vorsitzende Richter Stefan Weickert die Sitzung und verliest ein Protokoll. Nicht irgendein Protokoll, denn darin geht es um ein sogenanntes "Rechtsgespräch", das am Mittwoch vergangener Woche zwischen dem Richter, den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft stattgefunden hat. Umgangssprachlich geht es dabei um einen sogenannten "Deal", offiziell "Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten".

Richter fordert "vollumfängliches Geständnis"

Eingestellt hatte diesen "Deal" Richter Weickert mit einem schriftlichen Vorschlag: In der Vorlage besteht Weickert auf "einem vollumfänglichen Geständnis im Sinne der gegebenen Hinweise". Möglich sei dann "eine Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann". Weil der Verzicht auf Gefängnis nur bei maximal zwei Jahren Freiheitsstrafe möglich ist, machte Weickert damit auch deutlich, dass er weit unter der Höchststrafe von zehn Jahren bleiben will, die das Gesetz für schweren Betrug vorsieht.
Nun stellen sich alle im Saal die Fragen: Wer von den verbleibenden drei Angeklagten wird gestehen, kommt damit ein Deal zustande? Und ist damit das Ende des Prozesses eingeläutet?

Vorwurf: Manipulation und Unterlassung

Im September 2015 war der Diesel-Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte aufgeflogen. Laut Anklage sollen die Ingenieure um den ehemaligen Audi-Motorenchef und Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz für die Manipulation von Motoren gesorgt haben, damit gesetzliche Abgaswerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden, die auf der Straße überschritten wurden.

Chronologie des Diesel-Skandals

2015

  • Die US-Umweltbehörde EPA wirft im September des Jahres Volkswagen Verstöße gegen das Klimaschutzgesetz "Clean Air Act" vor. Es geht um 482.000 Diesel-Fahrzeuge in Kalifornien.
  • In der Folgezeit gibt Audi den Einsatz von sogenannter "Schummel-Software" in einem großen Dieselaggregat, dem V6-TDI-Motor, zu.
  • VW beauftragt die US-Kanzlei Jones Day, den Abgasskandal und seine Hintergründe aufzuarbeiten. Dazu werden riesige Datenmengen ausgewertet und Manager befragt.

2017

  • Aufgrund der Untersuchungsergebnisse von Jones Day, die nicht veröffentlicht werden, und der Ermittlungsergebnisse der US-Justizbehörden, vergleicht sich VW mit der US-Regierung auf insgesamt 4,3 Milliarden Dollar an Strafen und Bußgeldern. Damit sehen VW und Audi die Dieselkrise als "aufgearbeitet" an, wollen aber mit den Behörden weiter kooperieren. Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler selbst sieht sich durch die Untersuchungsergebnisse von Jones Day entlastet.
  • Die Staatsanwaltschaft München II durchsucht im März am Tag der Audi-Bilanz-PK Büroräume des Konzerns in Ingolstadt und Neckarsulm. Auch bei VW in Wolfsburg werden Büros durchsucht. Die Behörden ermitteln gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung.

2018

  • Die Staatsanwaltschaft München durchsucht im Februar erneut Büroräume von Audi in München und Neckarsulm. Es geht jetzt erstmals auch um Audi-Modelle mit Abschalteinrichtung, die außerhalb der USA verkauft wurden.
  • Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt von Juni an gegen Rupert Stadler persönlich. Er zählt nun zu einem Kreis von 20 Beschuldigten im Abgasskandal
  • 18.06.2018: Rupert Stadler wird festgenommen und kommt in U-Haft. Ihm wird Betrug im Zusammenhang mit dem Verkauf von Dieselfahrzeugen mit manipulierter Abgasreinigung vorgeworfen. Grund der Festnahme ist Verdunklungsgefahr.
  • Anfang Oktober scheidet Rupert Stadler aus dem Vorstand von Audi und VW aus
  • Ende Oktober wird der Haftbefehl gegen Rupert Stadler gegen Kaution ausgesetzt.

2019

  • 31.07.2019: Anklageerhebung durch die Münchner Staatsanwaltschaft.

2020

  • 30.09.2020: Prozess-Beginn in München-Stadelheim

2021

  • 12.01.2021: Rupert Stadler sagt erstmals im Prozess aus
  • 06.08.2020: Anklage gegen vier weitere ehemalige Audi-Manager

2023

  • 25.04.2023: Wolfgang Hatz, ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Vorstand und ein weiterer leitender Ingenieur geben zu, die Software-Manipulationen in Auftrag gegeben zu haben. Sie hatten damit ebenfalls einem Deal zugestimmt.
  • 03.05.2023: Rupert Stadler kündigt an, ein Geständnis ablegen zu wollen. So kann er eine Gefängnisstrafe umgehen.
  • 16.05.2023: Stadler legt ein Geständnis im Audi-Prozess ab.
  • 27.06.2023: Das Landgericht München verurteilt Stadler zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Zudem muss er ein Bußgeld in Höhe von 1,1 Millionen Euro zahlen. Die Wirtschaftsstrafkammer spricht ihn des Betrugs schuldig, weil er den Verkauf von Dieselautos mit manipulierten Abgaswerten zu spät gestoppt hatte.
Anders als den beiden Mitangeklagten wird Stadler nicht vorgeworfen, Motoren manipuliert zu haben, die auf dem Prüfstand die Einhaltung von Abgasvorschriften simulierten. Vielmehr soll es der Audi-Chef versäumt haben, nach dem Bekanntwerden der Manipulationen den Verkauf betroffener Autos der Marken Audi und VW zu stoppen.

Staatsanwaltschaft: Zu spätes Geständnis

Bereits vor Ostern hatte der mitangeklagte Ingenieur Henning L. ein Geständnis abgelegt und das Verfahren war gegen eine Geldauflage von 25.000 Euro eingestellt worden. Auch der gebürtige Italiener Giovanni P., der beschuldigt wurde an der Motorenmanipulation beteiligt gewesen zu sein, hatte zuvor schon alles zugegeben. Im Rechtsgespräch hatten seine Anwälte nochmals darauf hingewiesen, dass er in der Branche "völlig verbrannt" sei und zudem pleite. Da er erneut ein Geständnis ablegte, wird er wohl mit einer Bewährungsstrafe und einer Zahlung von 50.000 Euro davonkommen.

Im Streit um das sogenannte Thermofenster in Dieselfahrzeugen hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg ein Urteil gefällt: Demnach senkt der EuGH die Hürden für Schadensersatz-Klagen von Diesel-Käufern bei unzulässiger Abgas-Technik.

21.03.2023 | 01:40 min
Der frühere Audi-Motorenchef Hatz ließ seinen Verteidiger heute vor dem Landgericht München erklären, auch er bekenne sich zu den ihm zur Last gelegten Vorwürfen. Ihm sei bewusst gewesen, dass die von ihm mitverantwortete Abgas-Nachbehandlung in zahlreichen Autos illegal gewesen sein könnte. Einen "Deal", eine Bewährungsstrafe und eine Geldauflage von 400.000 Euro, lehnte jedoch die Staatsanwaltschaft heute ab. Hatz' Schuld sei zu groß, sein Geständnis komme zu spät.

Hinweise auf Prozessende?

Und die Gallionsfigur des Prozesses, der Hauptangeklagten Rupert Stadler? Der frühere Audi-Chef sei nach Angaben des Richters "noch nicht sprechfähig", aber dem Deal-Angebot einer Bewährungsstrafe und einer "siebenstelligen Strafzahlung" generell nicht abgeneigt. Voraussetzung dafür wäre allerdings auch ein Geständnis von ihm.

Der Abgasskandal und das Software-Update

Im September 2015 flog ein groß angelegter Betrug des Volkswagen-Konzerns in den USA auf. VW hatte seine Dieselautos so programmiert, dass sie den Abgastest im Labor bestanden, aber im normalen Straßenbetrieb viel zu viel gesundheitsschädliche Stickoxide in die Luft bliesen. Solche sogenannten "Abschalteinrichtungen" sind in den USA und der EU verboten. VW musste in den USA die dreckigen Dieselautos mit Katalysatoren nachrüsten. Nicht aber in Europa, wo das deutsche Kraftfahrtbundesamt zuständig ist.

Das gab sich mit einem Software-Update zufrieden. Danach waren die VW-Dieselautos immer noch im Straßenbetrieb dreckig, bliesen viel mehr Stickoxide in die Luft, als die Grenzwerte zulassen. Grund dafür waren neue Abschalteinrichtungen, die Volkswagen in das Software-Update programmierte und als "Thermofenster" rechtfertigte.

Am heutigen Mittwoch wollen sich seine Verteidiger, der Richter und die Staatsanwaltschaft nochmals besprechen. Wohl vor allem auch, um nochmals über die Höhe der angedrohten Strafzahlung zu sprechen. Bereits morgen wird weiterverhandelt. Sollte Stadler auf den Deal dann eingehen, wäre das Ende des Prozesses sehr nah.
Peter Aumeier ist Redakteur im ZDF-Studio München

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