: Antisemitismus: Viel mehr als nur Zahlen

von Julia Klaus
10.05.2023 | 12:45 Uhr
Die Zahl antisemitischer Straftaten ist zwar rückläufig. Doch eine Studie warnt vor antisemitischen Narrativen - auch beim internationalen Ableger von Fridays for Future.
Ein Mann trägt eine Kippa, die religiöse jüdische Kopfbedeckung. Eine neue Studie warnt vor Antisemitimus, der bis in die Mitte der Gesellschaft reiche.Quelle: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/dpa/Archiv
Der Bericht, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag vorgestellt hat, zeigt auf den ersten Blick ein erfreuliches Bild: Demnach gab es vergangenes Jahr weniger antisemitische Straftaten. Bundesweit 2.641 Fälle - ein Rückgang von fast 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, ist das aber kein Grund zur Entwarnung, wie er dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" sagte:
Gleichwohl besorgen mich das weiterhin inakzeptabel hohe Niveau wie die Tatsache, dass die Gewaltdelikte auch in diesem Bereich weiter angestiegen sind.
Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung
Faesers Bericht zur politisch motivierten Kriminalität listet für vergangenes Jahr 88 antisemitisch motivierte Gewaltdelikte auf - 2021 waren es 64 gewesen. Darin enthalten ist gleichsam nur das Hellfeld - wird ein Vorfall nicht bei der Polizei angezeigt, etwa weil sich Betroffene nicht trauen oder weil es keine Straftat war, taucht er dort nicht auf.

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Letztes Jahr 848 antisemitische Vorfälle - allein in Berlin

Um ein breiteres Bild bemüht sich die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS). Sie hat am Mittwoch ihren Jahresbericht für Berlin veröffentlicht - und für das Vorjahr allein dort 848 antisemitische Vorfälle dokumentiert.
Im Durchschnitt ereigneten sich etwas mehr als zwei antisemitische Vorfälle pro Tag in der Bundeshauptstadt.
RIAS Berlin
Insgesamt sind das zwar rund 20 Prozent weniger als im Vorjahr. Angriffe, Bedrohungen und Sachbeschädigungen blieben aber auf dem Niveau wie 2021. Dokumentiert wurde auch ein Fall schwerer Gewalt. In Berlin-Spandau wurden zwei Männer von einer größeren Gruppe so brutal zusammengeschlagen, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.
Jenseits solcher extremen Gewalt sei Antisemitismus bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet, wie die Amadeu-Antonio-Stiftung in ihrem ebenfalls am Mittwoch erschienenen "Lagebild Antisemitismus" ausführt. Ein Alltag ohne antisemitische Verklärungen, Verzerrungen und Vereinnahmungen sei für Jüdinnen und Juden kaum mehr möglich.

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Kritik am internationalen Ableger von "Fridays for Future"

Antisemitische Narrative beobachte man etwa in Teilen der Friedensbewegung. So gibt es immer wieder Anspielungen über angebliche "Strippenzieher" hinter dem Ukraine-Krieg. Auf einer Demo in München wurde etwa ein Plakat gezeigt, das den ukrainischen Präsidenten Selenskyj - der jüdisch ist - als Krake darstellt, die von den USA gesteuert wird.
In dem Bericht genannt wird auch die Klimabewegung - namentlich der internationale Ableger von "Fridays for Future" (FFF). So rief die Gruppe auf Twitter und Instagram zur Unterstützung der BDS-Kampagne auf, die den israelischen Staat durch den Boykott von Produkten und Dienstleistungen wirtschaftlich und politisch isolieren will. Die Bundesregierung stuft BDS als antisemitisch ein.
Zudem schrieb der internationale FFF-Account von einer "Apartheid in Israel" und nutzte den Begriff "Yallah Intifada". Der arabische Begriff "Intifada" bedeutet sich erheben, loswerden oder etwas abschütteln. Damit sind auch zwei palästinensische Aufstände gemeint, bei denen mehr als Tausend Israelis starben.

Weiterer Vorfall in Bremer FFF-Ortsgruppe

Der deutsche Teil der FFF-Klimabewegung hatte sich zwar mehrfach distanziert. Luisa Neubauer schrieb etwa: "Wir stellen uns klar und deutlich gegen jeden Antisemitismus, überall." Doch auch eine Bremer Ortsgruppe war 2022 aufgefallen, weil ein Vertreter von "Palästina Spricht" bei ihnen aufgetreten war. Die Gruppe steht der BDS-Kampagne nahe. Neubauer hatte auf die Autonomie ihrer Ortsgruppen verwiesen, aber angekündigt, den Vorfall weiter zu besprechen.
Das Beispiel "Fridays for Future" zeige, so die Amadeu-Antonio-Stiftung, wie versucht werde, israelfeindliche Positionen in das Thema Klimaschutz zu tragen. Dies schade der Klimabewegung, weil es von ihren eigentlichen Botschaften ablenke.
Fazit: Auch wenn die Zahl antisemitischer Straftaten laut BKA-Bericht weniger geworden ist - sie zeigt zum einen nur das polizeiliche Hellfeld. Zum anderen gibt es Übergriffe unterhalb dieser Schwelle sowie Narrative, die in die Gesellschaft einsickern.

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