Analyse

: Waffen-Einsatzverbot gibt Russen freie Hand

von Christian Mölling, András Rácz
28.05.2024 | 09:48 Uhr
Die Ukraine darf keine westliche Waffen gegen Ziele in Russland einsetzen. Diese Lücke gibt den Russen praktisch freie Hand. Am verheerendsten sind zurzeit die Gleitbomben.

Die Frage, ob die Ukraine westliche Waffen gegen Ziele in Russland einsetzen darf, spaltet die EU und die Nato. Die EU-Verteidigungsminister haben heute darüber beraten.

28.05.2024 | 01:44 min
Die Frontlinie im nördlichen Teil der Region Charkiw stabilisiert sich. Mit dem Eintreffen von immer mehr westlicher Munition gelang es den ukrainischen Truppen, den russischen Vormarsch bei Wowtschansk zu stoppen und den Russen extrem hohe Verluste zuzufügen.

Ukraine darf westliche Waffen nicht auf russischem Territorium einsetzen

Die Stadt wurde praktisch zerstört, doch gelang es den Ukrainern, mehr als 90 Prozent der Zivilbevölkerung zu evakuieren. In der Zwischenzeit beschießt Russland ukrainische Stellungen in diesem Gebiet sowohl mit Rohr- und Raketenartillerie als auch mit Gleitbomben.
Da die letztgenannten Waffen vom russischen Luftraum aus abgefeuert werden, kann die Ukraine nur wenig dagegen tun: Die Gleitbomben sind zu klein, um abgefangen zu werden, und die Ukraine hat nicht die Erlaubnis, russische Kampfjets, die vom russischen Luftraum aus operieren, mit modernen, im Westen entwickelten Luftabwehrsystemen, zu treffen.
Durch diese Lücke haben die Russen praktisch freie Hand: Ihre Luftwaffe kann tun und lassen, was sie will, solange sie vom russischen Luftraum aus operiert und Langstreckenwaffen einsetzt.

Charkiw ist derzeit massiven russischen Angriffen ausgesetzt: Darf die Ukraine westliche Waffen einsetzen, um Stellungen zu bekämpfen, von denen die Angriffe gestartet werden?

27.05.2024 | 02:15 min

Gleitbomben richten größten Schaden an

Am verheerendsten sind gegenwärtig die Gleitbomben. Jeden Tag werden Dutzende von ihnen abgeworfen, und zwar nicht nur gegen Stellungen der ukrainischen Armee, sondern auch gegen die Stadt Charkiw. Während die Russen in der Nähe der Frontlinie die Möglichkeit haben, die Gleitbomben direkt auf die vorgesehenen Ziele zu lenken, zum Beispiel durch Markierung des Ziels mit einem Laser (wenn auch mit begrenzter Genauigkeit), sind die gegen Charkiw eingesetzten Gleitbomben notorisch ungenau.
Außerdem können sie aufgrund der begrenzten Reichweite nur die nördlichen Teile der Stadt erreichen. Daher setzt Russland sie ein, um wahllos die nördlichen Bezirke zu treffen, offenbar in der Absicht, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren.

Die Stadt Charkiw steht seit zwei Wochen unter russischem Dauerbeschuss. ZDF-Korrespondent Dara Hassanzadeh berichtet über die aktuelle Lage aus dem Kriegsgebiet.

25.05.2024 | 01:15 min

Mehr zivile, weniger militärische Ziele

Tatsächlich hat sich die Kampagne gegen zivile Ziele deutlich verschärft. Am 23. Mai schlug Russland eine der größten Druckereien der Ukraine, den Faktor in Charkiw, mit einer S-300-Rakete ein und beschädigte das Unternehmen schwer. 

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Zwei Tage später setzte Russland an einem belebten Samstagnachmittag zwei gelenkte Gleitbomben des Typs UMPB D-30 gegen das Einkaufszentrum Epitsentr im Norden Charkiws ein, wobei mindestens 18 Menschen getötet und mehr als 40 verletzt wurden; fünf Personen werden noch vermisst.
Russland traf auch militärische Ziele: In der Nacht vom 25. auf den 26. Mai setzte Moskau mehrere Marschflugkörper und auch zwei Kinzhal-Hyperschallraketen ein. Die Marschflugkörper wurden zusammen mit iranischen Drohnen eingesetzt, um die ukrainische Luftabwehr zu verwirren und zu überlasten, so dass die beiden Kinzhal-Raketen durchkommen und einen Militärflugplatz treffen konnten.

Nach einem russischen Angriff auf einen Baumarkt in der Millionenstadt Charkiw ist die Zahl der Toten auf elf gestiegen. In den Trümmern könnten sich noch weitere Opfer befinden.

26.05.2024 | 00:19 min

Am Boden nur geringe russische Fortschritte

Vor Ort machten die russischen Truppen sowohl in Richtung Awdijiwka als auch nördlich und südlich von Tschassiw Jar geringfügige Fortschritte. Den Verteidigern ist es zwar gelungen, den russischen Vormarsch in beiden Richtungen zu verlangsamen, aber die Frontlinie ist noch nicht zum Stillstand gekommen.
Mit ihrer artillerielastigen Zermürbungstaktik gelingt es Russland, trotz der schweren Verluste, die sie unter dem immer stärker werdenden Feuer der ukrainischen Artillerie erleiden, weiterhin langsam vorzurücken.

Angriffe auf russische Industrieanlagen fortgesetzt

Auch in Richtung Kupjansk stellt sich die Lage weitgehend ähnlich dar. Hier gelang es den Russen, in das zerstörte Dorf Berestowe vorzudringen und die ukrainischen Verteidiger aus den nördlichen Außenbezirken der Siedlung zu vertreiben.

Die Beisteuerung eigener Waffensysteme sei riskant, so SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. "Wir sollten mehr Energie darauf verwenden, uns um die Flugabwehrsystemfragen zu kümmern."

27.05.2024 | 05:34 min
Die Ukraine setzte ihre Angriffe gegen russische militärische Ziele sowohl in den besetzten Gebieten mit ATACMS-Raketen als auch gegen Russland mit im Inland entwickelten Drohnen fort. Dabei wurden mehrere Luftverteidigungsanlagen und ein Kommandoposten zerstört.
Unterdessen setzte der ukrainische Militärgeheimdienst HUR seine Angriffe auf russische Industrieanlagen tief in Russland fort: Im Laufe der Woche wurden zwei Industrieanlagen in Tatarstan, mehr als 1.000 Kilometer von der Frontlinie entfernt, getroffen.
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