: "Neue Gebärkultur": Chinas Frauen unter Druck

von Elisabeth Schmidt, Peking
28.12.2023 | 12:21 Uhr
Vor zehn Jahren lockerte China seine strenge Ein-Kind-Politik. Doch der Babyboom blieb aus. Statt Reformen auf den Weg zu bringen, setzt die Staatsführung nun Frauen unter Druck.

Da Chinas Gesellschaft zu überaltern drohte, lockerte China vor genau zehn Jahren die Ein-Kind-Politik. Die Statistik zeigt: Der Geburtenschnitt pro Frau ist immer noch gering.

28.12.2023 | 01:33 min
Im Himmelstempel-Park in Peking flattern sie in Rosa und Hellblau, eine Din-A4-Seite groß und voll mit Informationen: "Sie ist 1982 geboren, 1,65 Meter groß, wohnt in Shanghai, hat ein eigenes Auto und einen Masterabschluss". "Er arbeitet bei einer ausländischen Firma, hat nie geheiratet und besitzt eine eigene Wohnung in Peking". Die Heiratsanzeigen hängen an einer Art Wäscheleine. Aufgehängt haben sie vor allem besorgte Eltern und Großeltern.
Auch Profile auf Dating-Plattformen sollen manche bereits für ihre Kinder und Enkel erstellt haben. Das Phänomen ist nicht neu, wohl aber der Grund: War es vor einigen Jahren in China noch schwer, überhaupt einen Ehepartner zu finden, wollen das heute immer weniger: nicht heiraten, keine Kinder bekommen. Für die Staatsführung ein Horrorszenario.

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Die Lebenshaltungskosten "zu hoch" in China

Gebar in den 1970er Jahren eine Frau in China statistisch noch 6,0 Kinder, sind es heute nur noch 1,0 - und das sind nur die offiziellen Zahlen. Einige Forschende gehen davon aus, dass die Geburtenzahl sogar noch niedriger liegt. "Ein Kind reicht mir völlig", sagt Chen, die wir in Peking beim Spazierengehen mit ihrem kleinen Sohn treffen. Sie habe nicht genug Energie, ein zweites Kind großzuziehen. Li und seine Freundin wollen gar keinen Nachwuchs. "Zu viel Druck", sagt er.
Die Lebenshaltungskosten, um ein Kind groß zu ziehen, sind heutzutage sehr hoch. Das soziale Umfeld zwingt alle Kinder, Nachhilfeunterricht zu nehmen. Wir können uns keine Kinder leisten.
Chen, Einwohnerin Pekings

Wirtschaftskrise und hohe Jugendarbeitslosigkeit

Die Immobilienpreise haben sich in großen Städten in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Die Wirtschaftskrise und hohe Jugendarbeitslosigkeit verschärfen die Situation zusätzlich. "Wir verdienen zu wenig", klagt Tian. Ein Kind in China großzuziehen, ist weltweit mit am teuersten.

Ein-Kind-Politik 1979 eingeführt

China führte die Ein-Kind-Politik 1979 ein, um das starke Bevölkerungswachstum zu bremsen. Zunächst auf Provinzebene, ein Jahr später landesweit. Zur Macht der Behörden zählte damals, hohe Geldstrafen zu verhängen, wenn Eltern mehr als ein Kind bekamen. Auch Zwangssterilisationen und -abtreibungen wurden durchgeführt. Am 28. Dezember 2013 fasste der Ständige Ausschuss des chinesischen Volkskongresses den Beschluss, dass es angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Chinas nötig war, die Geburten-Politik zu ändern.

Erhoffter Babyboom blieb aus

Es war das Eingeständnis, dass die strenge Ein-Kind-Politik, die nach offiziellen Angaben die Geburt von 400 Millionen Kinder verhindert hatte, gescheitert war. Danach durften Paare, von denen einer der Ehegatten Einzelkind war, zwei Kinder bekommen. 2016 war das für alle erlaubt, seit 2021 sind drei Kinder gestattet. Doch der erhoffte Babyboom blieb aus. Anfang 2023 verkündete das Statistikamt in Peking zum ersten Mal seit den 1960er Jahren einen Bevölkerungsrückgang. Ende Dezember 2022 habe das bevölkerungsreichste Land der Welt 1,411 Milliarden Einwohner gehabt und damit rund 850.000 weniger als ein Jahr zuvor. Die Entwicklung ereignete sich vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft mit sinkenden Geburtenraten. Im vergangenen Jahr wurden den Angaben zufolge in China 9,56 Millionen Menschen geboren. Zugleich starben 10,41 Millionen Menschen.
Manche Eltern stecken ein komplettes Jahresgehalt in ihre Kinder. Kindergeld vom Staat, wie in Deutschland, gibt es nicht. Doch statt groß angelegter Reformen vollzieht Chinas Führung eine konservative Rolle rückwärts.

Xi Jinping will "neue Ehe- und Gebärkultur"

Schon seit Jahren brandmarkt die Propaganda unverheiratete Frauen als 剩女 (Shengnü), also "übriggebliebene Frauen". Auf dem nur alle fünf Jahre tagenden Plenum des chinesischen Frauenverbands forderte Staatschef Xi Jinping eine "neue Ehe- und Gebärkultur".
Funktionäre rufen nach höheren Geburtenraten. Mütter und Großmütter geben diesen Druck bereits an ihre Töchter und Enkeltöchter weiter. Doch ob diese Strategie aufgeht, ist höchst fraglich.

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"Ein Kind würde viel Geld kosten"

Viele junge Chinesinnen und Chinesen wollen mittlerweile selbst etwas von ihrem hart verdienten Geld. Zheng erläutert:
Ein Kind würde viel Geld kosten. Mit diesem Geld könnte ich reisen. Ich müsste auf vieles verzichten, auf Shopping oder meine Arbeit.
Zheng
Chinas junge Generation hat heute andere Lebensziele. "Die chinesische Regierung sollte dringend ein Familienprogramm auflegen mit finanzieller Unterstützung - Steuererleichterungen, Direktzahlung, Subventionen. All das, was europäische Länder auch gemacht haben", fordert James Liang.

Obwohl die Ein-Kind-Politik seit einigen Jahren aufgehoben wurde, wollen viele Chinesen nicht mehr als ein Kind bekommen.

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Folgen für China: Überalterung und Fachkräftemangel

Der Ökonom und Mitgründer eines Reiseportals hat an der US-Elite-Uni Stanford zu den wirtschaftlichen Folgen von Bevölkerungsschwund promoviert. Auch die Arbeitgeber seien in der Pflicht, die Vereinbarung von Familie und Beruf zu erleichtern.
Andernfalls befürchtet der Ökonom gravierende Folgen für Chinas Wirtschaft. China drohe Überalterung und Fachkräftemangel, ähnlich wie Japan, doch mit einem entscheidenden Unterschied: Ein gängiger, sorgenvoller Spruch hierzulande lautet: "China wird alt, bevor es reich wird".

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