Es komme der Punkt, an dem die Ukraine in der Lage sei, das "Maximum ihrer Kräfte zu entfalten", sagt Militärexperte Marcus Keupp bei ZDFheute live
01.09.2023 | 26:18 min
Der Ukraine ist im
Krieg gegen die russischen Invasoren zuletzt ein
Durchbruch entlang der Südfront gelungen. Zudem setzt Kiew verstärkt auf den Einsatz von Drohnen für Angriffe auf das russische Hinterland. Bei ZDFheute live erklärt Militärexperte Marcus Keupp, wie die ukrainische Gegenoffensive derzeit läuft und warum Russlands Verteidigungslinie bröckelt.
Sehen Sie oben das ganze Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Marcus Keupp ...
... zum aktuellen Verlauf der ukrainischen Gegenoffensive
Die Ukraine habe einen bedeutenden Durchbruch durch die "erste Verteidigungslinie" der russischen Armee an der Südfront erreicht, erklärt Keupp. Das strategische Ziel der ukrainischen Streitkräfte sei es, die "Südfront zu spalten" und so viel Druck auf Russlands Truppen auszuüben, dass diese nicht mehr ihre Logistik koordinieren könnten.
Es gehe dabei nicht um einen "hollywoodreifen Durchbruch", wie oftmals kolportiert worden sei. "Diese Operationsführung erinnert eher an klassische Schlachten des Zweiten Weltkriegs", sagt Keupp. Kiew wolle an einem bestimmten Punkt eine Lücke in die russische Verteidigung reißen, "die muss so fünf bis zehn Kilometer breit sein - und durch diese Lücke schieben sie dann das schwere Material, also ihre Reserven".
Die Ukraine ist jetzt gerade dabei, diese Lücke aufzumachen. Das ist also ein sehr gefährlicher Moment für die Russen.
Marcus Keupp, Militärexperte... zu den Zielen der Ukraine an der Südfront
Von zentraler Bedeutung sei dabei der Ort Tokmak, den die ukrainische Armee
ausgehend von Robotyne erreichen wolle. Von dort aus könne die Ukraine "die russische Logistik sehr effizient unterbinden", da in diesem Gebiet "mehrere wichtige Landstraßen" und südlich des Ortes unter anderem eine wichtige Eisenbahnlinie verliefen.
Tokmak ist quasi so eine Art Wachposten, der den ganzen rückwärtigen Raum beherrscht, bis hin zur Schwarzmeerküste.
Marcus Keupp, MilitärexperteMit jedem Tag, an dem der Krieg andauere, werde es für Russland logistisch schwieriger. Man müsse sich zudem vergegenwärtigen, wie "dünn" Russlands Armee "auf diesem riesigen Gelände" besetzt sei und wie wenig russische Truppen dort stünden.
Beispiel für einen Frontverlauf
Wie kann man sich einen Frontverlauf im Ukraine-Krieg vorstellen? Die ukrainische Armee hat es mit einer kilometerweiten Anlage zu tun, die sie bei ihrer Gegenoffensive überwinden muss.
Quelle: ZDFDie ersten Kilometer
Minenfelder und "Drachenzähne" - höckerförmige Sperren aus Beton - bilden die ersten Hindernisse. Ein Stück dahinter: Schützengräben, die mit russischen Soldaten besetzt sind.
Quelle: ZDFDie Hauptverteidigungslinie
Sie ist noch massiver ausgebaut, vor allem mit breiteren und tieferen Panzergräben. Hier sollen Reservetruppen möglichst sicher sein. Unterstützt durch Artillerie und Raketenwerfer.
Quelle: ZDF
... dazu, in welcher Phase sich der Krieg momentan befindet
"Wir sind jetzt in der Phase, wo es darum geht, ist der Krieg für die Russen strategisch verloren oder nicht", sagt der Militärökonom. Er sei für Russland taktisch verloren, wenn die Ukraine in die Position gelange, die Schwarzmeerküste zu erreichen und die Krim zu beschießen.
Der Militärökonom geht davon aus, dass man momentan das "Maximum der Kraftentfaltung" der ukrainischen Gegenoffensive sehe. Die Geschwindigkeit der aktuellen ukrainischen Erfolge könne Kiew zuversichtlich machen. Wenn Russland eine funktionierende Verteidigung hätte, dann würde sich eine solche "Tasche" wie bei Robotyne "nicht öffnen", sagt Keupp.
In der Ukraine beginnt das zweite Schuljahr mitten im russischen Angriffskrieg.
01.09.2023 | 01:41 min
Nun könnte der "Wendepunkt der ganzen Operation einsetzen". Sollten die Kräfte der Ukraine tatsächlich stärker sein als das, was Russland noch zu bieten habe, "dann ist das für die Russen nur noch ein Rückzugsgefecht".
Ich denke schon, dass jetzt in den nächsten Wochen die strategische Entscheidung in diesem Krieg, also zumindest was die Südfront angeht und was die Beschussmöglichkeit auf die Krim angeht, fallen wird.
Marcus Keupp, Militärexperte... über die ukrainische Taktik der verstärkten Drohnenangriffe
Mit Blick auf die
vermehrten Drohnenangriffe der Ukraine erklärt Marcus Keupp, dass Russland nun so langsam erfahre, "was passiert, wenn ein Land mit Drohnen angegriffen wird".
Bisher mussten das nur die Ukrainer erdulden und nun bekommen die Russen sozusagen ihre eigene Medizin, ihre bittere Medizin zu spüren.
Marcus Keupp, MilitärexperteDie Ukraine setzt vermehrt auf Drohnenangriffe gegen Ziele in Russland.
01.09.2023 | 01:38 min
Neben Langstrecken-Drohnen, die Kiew einsetze und welche die russische Flugabwehr "relativ leicht erkennen und abfangen kann", nutze die Ukraine auch "Low-Cost-Drohnen", die auf dem klassischen Radar "so gut wie unsichtbar" seien.
Diese Art von Billig-Drohne könnte ein Gamechanger werden.
Marcus Keupp, MilitärexperteDas liege daran, dass man die Produktion dieser Drohnen "extrem dezentralisieren" könne, wodurch deren Produktionsstätten für Russland nicht mehr auszuschalten seien.
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