: Kiew: Frau des Geheimdienstchefs vergiftet

von Oliver Klein
29.11.2023 | 18:04 Uhr
Die Frau des ukrainischen Geheimdienstchefs wurde offenbar vergiftet und liegt im Krankenhaus - in der Ukraine fiel der Verdacht sofort auf Russland. Was ist über den Fall bekannt?
Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes Kyrylo Budanow (Archivbild).Quelle: AFP
Marianna Budanowa, die Ehefrau des Chefs des ukrainischen Militärgeheimdiensts, wurde offenbar vergiftet. Das bestätigen Beamte des Geheimdienstes gegenüber mehreren Medien. Ihr Mann, General Kyrylo Budanow, beschuldigt Russland schon seit langem, ihn im Visier zu haben. Wie geht es der Frau? Was wissen wir bisher über den Fall? Wie schätzen Experten die Lage ein? ZDFheute beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was geschah mit Marianna Budanowa?

Budanowa überlebte den Anschlag und befindet sich laut ukrainischen Medienberichten in einem Krankenhaus. "Sie ist rechtzeitig zum Arzt gegangen. Eine Woche später und die Folgen wären viel schwerer gewesen", zitiert die Wochenzeitung "Kyivpost" eine Quelle im Militärgeheimdienst. Das ukrainische Nachrichtenportal "Babel" berichtet von einer Vergiftung mit Schwermetallen. "Diese Substanzen werden in keiner Weise im Alltag und in militärischen Angelegenheiten verwendet", hieß es demnach vom Geheimdienst.
Unklar ist, wie Budanowa vergiftet wurde. Ihr Mann sagte bereits im Sommer, seine Frau habe mit ihm seit Beginn des russischen Angriffskrieges aus Sicherheitsgründen "in seinem Büro" gelebt und sei nicht von seiner Seite gewichen.

Warum wird Russland mit dem Fall in Verbindung gebracht?

Nähere Angaben über das verwendete Gift oder mutmaßliche Täter wurden mit dem Verweis auf laufende Ermittlungen nicht gemacht. Doch nach Bekanntwerden des Falls geriet sofort Russland in Verdacht - denn der Militärgeheimdienstchef Budanow gilt als eines von Russlands Hauptzielen im Ukraine-Krieg.
Sein Geheimdienst ist für eine Reihe von erfolgreichen Sabotageakten in russisch besetzten Gebieten und Russland verantwortlich. Nach Budanows eigenen Angaben wurden bereits mehr als ein Dutzend Anschläge auf ihn verübt. Bei einer Autoexplosion sei er schwer verletzt worden.

Investigativ-Journalisten haben offenbar die Identität der Verdächtigen im Fall Skripal enthüllt - Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdients GRU.

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Zudem trage der Fall die Handschrift des russischen Auslandsgeheimdienstes, der auch zuvor auf diese Weise schon Gegner beseitigt habe, erklärt Ulrich Schlie, Direktor des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn.
Der Kreml schreckt offenbar nicht davor zurück, missliebige Personen beseitigen zu lassen - das zeigen mehrere Anschläge, bei denen der Verdacht im Raum steht oder nachgewiesen wurde, dass sie staatlich angeordnet wurden. Einige Beispiele:

Alexej Nawalny

Der Oppositionspolitiker wurde mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet und überlebte nur knapp. Hier alle Infos zum Fall Nawalny.

Sergej Skripal

Der russische Ex-Spion wurde im britischen Salisbury mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet. Als Tatverdächtige gelten Mitarbeiter des russischen Militär-Geheimdienstes GRU. Es entwickelte sich eine diplomatische Krise zwischen Großbritannien und Russland.

Anna Politkowskaja

Die regimekritische Journalistin Anna Politkowskaja wurde 2004 vermutlich im Flugzeug mit einer Tasse Tee vergiftet. Sie überlebte den Anschlag, wurde jedoch 2006 vor ihrer Wohnung erschossen.

Alexander Litwinenko

Der ehemalige KGB-Offizier starb 2006 an den Folgen einer Vergiftung durch Polonuim. 2021 machte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russlands direkt für den Tod des Kreml-Kritikers verantwortlich.

Wie nah können russische Agenten an Machtzirkeln in Kiew operieren?

Dazu haben Experten unterschiedliche Meinungen. Die "New York Times" zitiert Viktor Yahun, den ehemalige stellvertretenden Leiter des Inlandsgeheimdienstes der Ukraine, er wäre überrascht, wenn Russland Agenten in der Ukraine hätte, die Frau Budanowa oder ihrem Ehemann derartig nahe kommen könnten.
Oleksiy Danilow, der Vorsitzende des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, sagte hingegen - noch vor Bekanntgabe der Vergiftung - dass Russland zuletzt verstärkt Schläferagenten einsetze, um die Regierung in Kiew zu destablisieren.

Zu neun Jahren wurde er bereits verurteilt, seit drei Jahren ist er inhaftiert – jetzt ist Kremlgegner Alexej Nawalny zu 19 weiteren Jahren strenger Lagerhaft verurteilt worden.

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"Angesichts der Tatsache, dass Russland nicht in der Lage ist, mit militärischen Mitteln zu gewinnen, nutzt es nun alte Agentennetzwerke, die leider immer noch existieren. Und jetzt beobachten wir ihre maximale Aktivierung", so Danilow in einem Interview mit der britischen "Times".
Auch Schlie glaubt, dass es für russische Agenten möglich sei, sich Budanowa zu nähern:
Es gibt immer Möglichkeiten, an jemanden heranzukommen: Die Opfer und ihre Gewohnheiten werden vorher ausgekundschaftet, typische Bewegungsmuster in Erfahrung gebracht.
Ulrich Schlie, Experte für internationale Sicherheit, Universität Bonn
"Innerhalb von Gebäuden haben sie noch einen gewissen Schutz, aber sobald sie das Haus verlassen, kann man an sie herankommen", so Schlie.

Wer sich Putins autoritärem Regime entgegenstellt, nimmt hohe Risiken in Kauf. Die preisgekrönte Doku begleitet drei junge Oppositionspolitikerinnen in den Monaten vor der Parlamentswahl in Russland im September 2021.

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Warum wird Gift so häufig eingesetzt?

Gift wird häufig als Mittel gewählt, da es oft geschmacklos, geruchlos und schwer nachzuweisen ist. Es kann Symptome verursachen, die natürlichen Krankheiten ähneln, was zunächst Verwirrung stiftet und Ermittlungen erschweren kann.
"Gift ist ein gängiges Mittel des russischen Geheimdienstes, um jemanden auf die Seite zu schaffen", so Schlie. Es gebe unzählige Möglichkeiten, Gift zu verabreichen:
Bei Anna Politkowskaja war es wohl eine Tasse vergifteter Tee im Flugzeug, bei Sergei Skripal möglicherweise eine präparierte Türklinke. Und es gibt immer noch viele schwer nachzuweisende Formen der Vergiftung, bei denen es gar nicht immer auf den ersten Blick zuzuordnen ist.
Ulrich Schlie, Experte für internationale Sicherheit, Universität Bonn
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