: Starmer will neuer Premierminister werden

von Hilke Petersen, London
04.06.2024 | 18:09 Uhr
Rishi Sunak hat die Parlamentswahlen in Großbritannien für den 4. Juli angesetzt. Keir Starmer will dann übernehmen: Von der Working Class zum Premierminister.

Blaskapellen, genannt Brass Bands ziehen durch die Dörfer. Eine schöne Ablenkung so kurz vor der Wahl. Die Vor-Orte von Manchester sind eigentlich Hochburgen der Labour-Partei.

04.06.2024 | 03:56 min
In vier Wochen wählt Großbritannien und der Umfrage-Favorit ist ein ziemlich Unbekannter. Keir Starmer kam spät in die Politik, mit 52 Jahren. Doch er wollte immer eins: Premierminister werden.
Von Beruf ist er Jurist. Menschenrecht und Völkerrecht sind seine Spezialgebiete. Von 2008 bis 2013 war er Leiter von Crown Public Prosecutions, der obersten Strafverfolgungsbehörde in England und Wales. Für seine Verdienste wird er 2013 zum Ritter geschlagen, kann sich seither Sir Keir Starmer nennen.

Keir Starmer: Aufgewachsen in der "Working Class"

Der 61-Jährige kommt aus der "Working Class", aufgewachsen ist er in der eher konservativ geprägten Grafschaft Surrey. Sein Vater war ein Werkzeugmacher, der sich immer ein wenig unter Wert fühlte, weil er in einer Fabrik arbeitete - so beschreibt es Starmer. Seine Mutter: eine Krankenschwester, die an einer chronischen Krankheit litt.

Brexit und Corona-Parties haben Spuren hinterlassen

Im politischen London nennen die Wohlwollenden Starmer einen Pragmatiker, keinesfalls einen Visionär - wie damals Tony Blair, der 1997 einen Riesen-Sieg gegen die Konservativen schaffte mit einer optimistischen Erzählung über "New Labour" und ein Land, das unter ihm modern, cool und progressiv sein würde. Doch die Zeiten jetzt sind andere.

Großbritanniens konservativer Premier Rishi Sunak hat Wahlen für den 4. Juli dieses Jahres angekündigt. Seine Partei steht unter enormem Druck.

23.05.2024 | 03:27 min
Starmer und seine Leute haben es mit einem ermatteten Land zu tun, randvoll mit Wählern, die sich nach Brexit und skandalösen Corona-Parties im Amtssitz des Premiers, Downing Street 10, kaum mehr auf die Politik verlassen.

Erneut Parlamentswahl in Großbritannien

Großbritannien steuert auf die vierte Wahl in neun Jahren zu, wegen all der Verwerfungen durch den Brexit. 14 Jahre lang haben die Konservativen regiert.
Dass Starmer als Labour-Spitzenkandidat jetzt Veränderung, ausruft, scheint strategisch fast alternativlos. Doch ob die Leute daran glauben, bleibt zweifelhaft. Denn die Labour-Partei ist seit jeher nicht beliebt bei den Briten. Viele sehen in Starmer einen Langweiler, ohne klares Profil, ohne warme Aura. Zwar führt Labour seit langem die Umfragen an, die sind aber sind üblicherweise nicht besonders verlässlich. Die Wähler treffen gerne noch in der Wahlkabine spontane Entscheidungen.

Die Partei von Keir Starmer führt die Umfragen an, er könnte nächstes Jahr Premierminister werden. Thema beim Parteitag in Liverpool ist auch eine erneute Annäherung an die EU.

10.10.2023 | 02:01 min

Keir Starmer: Zittern um Mehrheit

Erfolg also ist längst nicht ausgemacht für Starmer. Er könnte es mit dem in Großbritannien seltenen Fall eines "Hung parliament" zu tun kriegen - mit dem Zwang, sich einen Koalitionspartner suchen zu müssen, wenn seine Mehrheit nicht reichen sollte. Starmer sagte kürzlich auf einer Wahlkampftour:
Ich würde mich selbst als Sozialisten bezeichnen. Ich beschreibe mich selbst als progressiv - als jemanden, für den das Land immer an erster Stelle steht und die Partei an zweiter.
Keir Starmer, Vorsitzender Labour Party

Starmer fährt Mitte-Kurs in Labour Party

Starmer hat die Labour-Partei verändert, aufgeräumt, seit sie ins Straucheln kam unter ihrem vorherigen Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Dessen linke Ideen verfolgen Starmer wie Gespenster, die er mit einem Mitte-Kurs loszuwerden versucht - zugleich aber im politischen Spagat, um in der aufgeheizten Stimmung seit dem Krieg in Gaza auch die Wahlkreise zu kriegen, die dominiert sind von muslimischen Wählern.

Pläne für den Gesundheitsdienst NHS

Dem NHS will Starmer aus der Not helfen, dem schwächelnden nationalen Gesundheitsdienst. Auf dessen Wartelisten stehen fast 8 Millionen Patienten-Termine - auch aufgehäuft durch die dauernden Streiks. Labour verspricht, dass 18 Wochen nach ihrem potenziellen Regierungsantritt, die meisten eine Behandlung werden beginnen können. Geschafft werden soll das demnach durch Arbeit außerhalb üblicher Dienstzeiten und mithilfe privater Gesundheitsdienstleister.

Millionen Menschen warten in Großbritannien auf eine Routinebehandlung. Das Gesundheitssystem ist chronisch unterfinanziert – und jetzt streiken auch noch die Assistenzärzte.

11.08.2023 | 01:42 min

Migration: Abschiebungen nach Ruanda absagen?

In der Brexitfrage war die Labour-Partei damals so gespalten und überkreuz wie das ganze Land. Bei diesem emotionalen Thema konkret zu werden - auch nur über eine mögliche Annäherung an die EU zu reden - ist im Wahlkampf oberstes Tabu, für jede Partei.
In der Migrationspolitik hat Starmer bereits angekündigt, die geplanten Abschiebungen nach Ruanda keinesfalls durchzusetzen - im Falle seines Sieges. Vor der Wahl soll kein Flug mit Boots-Flüchtlingen mehr gehen. Die Sache also könnte erledigt sein - und den Steuerzahler teuer zu stehen kommen, denn etwa 400 Millionen Euro sind bereits an das ostafrikanische Land überwiesen, etwa für Unterkünfte und die Abwicklung von Asylverfahren.

Biograf zieht Parallele zu Angela Merkel

Tom Baldwin ist Starmer-Biograf und fest überzeugt, dass der Politiker unterschätzt werde. Er hält ihn für den unpolitischsten Politiker, den er je getroffen habe, erzählt er Journalisten gern. Und erinnert dann an Angela Merkel, die auch so ein Fall gewesen sei.

Die Kommunalwahlen wurden zu einem Debakel für die konservative Tory-Partei von Premier Sunak. Die anstehenden Parlamentswahlen könnten das Ende der Regierung bedeuten.

03.05.2024 | 01:34 min
Entgegen Starmers Ruf, kaum emotional zu sein, kann man tatsächlich immer wieder bei seinen Auftritten beobachten, dass er richtig wütend werden kann: Wenn Paare mit zwei Einkommen ihm berichten, sich kein Haus leisten zu können und Menschen ihm von ihren sozialen Härten berichten.
Gut möglich, dass es für ihn leichter sein wird, als Premierminister in den Amtssitz Downing Street 10 einzuziehen, als angesichts der schwierigen Lage in Großbritannien dort auch länger zu bleiben.

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