: Warum Verhandlungen unwahrscheinlich sind

09.10.2023 | 21:35 Uhr
Viele Menschen werden getötet, viele entführt: Aus welchem Kalkül die Terroristen Israelis verschleppen - und wie sie befreit werden könnten, erklärt ein Verhandlungsexperte.

Das Gespräch mit Verhandlugnsexperte Matthias Schranner in voller Länge.

09.10.2023 | 10:23 min
"Sie schießen auf uns. Ich blute. Ich habe Angst zu sterben. Ich weiß nicht, was ich tun soll." Eine Mutter erzählt vom letzten Anruf ihrer Tochter. Romy ist eine der überwiegend jungen Menschen, die am Samstag ein Musikfestival in Israel besuchen, bevor radikalislamische Terroristen die Veranstaltung stürmen.
Mehr als 260 Menschen werden erschossen. Dutzende Besucher werden von dem Fest verschleppt und in den Gazastreifen entführt - darunter auch Romy. Bilder und Videos zeigen, wie Menschen auf Motorrädern, Caddys und Autos weggebracht werden. Auch aus anderen Teilen Israels. Teilweise sind die Opfer mit weißen Tüchern verhüllt.

Tausende junge Menschen hatten ausgelassen gefeiert. Dann Luftalarm, Raketen, Schüsse.

09.10.2023 | 02:00 min

Verhandlungsexperte: "In dieser Dimension noch nie passiert"

Das Ausmaß ist im seit Jahrzehnten andauernden Nahost-Konflikt einmalig. "In dieser Dimension ist so etwas noch nie passiert", sagt Verhandlungsexperte Matthias Schranner, der lange als Spezialist für Geiselnahmen im Bundesinnenministerium zuständig war, im Gespräch mit ZDFheute live.
Er geht davon aus, dass die Angriffe und Entführungen mit "Sicherheit von oberster Stelle sehr lange geplant" wurden. Das sehe man daran, wie geplant und organisiert die Terroristen die Menschen entführt hätten. Ein Kalkül der Terroristen dürfte aus Sicht Schranners dabei die Verwendung der Verschleppten als sogenannte menschliche Schutzschilde sein.

Nach dem Angriff auf Israel sind über 100 Zivilisten in der Hand der Hamas. Wie kann ihre Befreiung gelingen? Israels Militärsprecher und ein Verhandlungsexperte bei ZDFheute live.

09.10.2023 | 37:42 min

Was die Terroristen mit den Entführungen beabsichtigen

Das heißt: Die Entführung der Israelis in den Gazastreifen soll aus Sicht der Angreifer die israelische Führung davor bewahren, die Palästinensergebiete zu bombardieren. Denn: Wohin die Verschleppten genau gebracht wurden, ist ungewiss. Schläge der israelischen Armee würden mit großer Wahrscheinlichkeit ihre eigenen Landsleute nicht verschonen.
Laut Genfer Konvention ist dieses Vorgehen der Hamas verboten: Zivilpersonen als Schutzschild für militärische Ziele zu missbrauchen oder die Bewegungen der Zivilbevölkerung so zu lenken, dass sie militärische Ziele vor Angriffen abschirmen oder Kriegshandlungen decken, richtet sich gegen das Völkerrecht.
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Videos und Bilder der Opfer enthüllen Aufenthaltsort nicht

Dass die kursierenden Bilder und Videos dabei helfen, den Aufenthaltsort der Opfer zu lokalisieren, glaubt der Verhandlungsexperte nicht. Bei der Art und Weise, wie die Angriffe "orchestriert" wurden, könne er sich nicht vorstellen, dass die Terroristen "so unprofessionell sind, und die Entführten an ein Mobiltelefon lassen".

Der Großangriff der Hamas traf Israel, als das Land besonders verwundbar war.

09.10.2023 | 02:15 min

Wie können Israelis befreit werden?

Laut Schranner gibt es zwei Möglichkeiten, um die Entführten zu befreien. Bei einer militärischen Lösung würden israelische Bodentruppen den Gazastreifen "Haus für Haus durchkämmen", was natürlich "unglaublich schwierig" sei, so Schranner. "Das ist schon ein riesiger Aufwand (…) und super riskant."
Die zweite Möglichkeit, die es gebe, sei die Verhandlung. "Also tatsächlich versuchen, über Hintergrundgespräche herauszufinden, was die Hamas jetzt damit bezwecken möchte." Denn: Es müsse ja einen Grund haben, warum Terroristen "die Geiseln eben nicht erschossen, sondern mitgenommen haben".

Nach wie vor sind bewaffnete Terroristen der Hamas auf israelischem Gebiet, sagt Arye Sharuz Shalicar. Es handele sich um eine Situation, die es zuvor so noch nie gegeben habe.

09.10.2023 | 06:51 min

Gespräche mit Hamas? Alles deutet auf Gewalt hin

Dass man den Gegner kenne, darin sieht Schranner einen großen Vorteil. Die Hamas sei "sehr stark hierarchisch organisiert". Man wisse dadurch, "mit wem man reden muss", damit man zu einer möglichen Einigung kommen könnte. Schranner schlägt vor, Diplomaten zu aktivieren, die im Hintergrund immer Verbindungen zu den Terrorgruppen gehabt haben.
Dennoch würden die Zeichen derzeit eher gegen einen Verhandlungsprozess deuten. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu habe auch gesagt, dass dieser Krieg das gesamte Gebiet, die gesamte Region verändern wird, betont Schranner.
Alle Signale gehen auf Gewalt - und kein einziges Signal geht auf Gespräche.
Matthias Schranner, Verhandlungsexperte

Ehemaliger Sicherheitsberater: Geiseln werden Israel nicht aufhalten

Davon geht auch Jaakov Amidror aus, ein ehemaliger Sicherheitsberater von Netanjahu. Die Entführungen würden die Regierung nicht davon abhalten, den Gazastreifen zu bombardieren, bis die Hamas zerstört sei, glaubt er.
Dass die Gewalt weiter eskaliert, darauf deutet auch die Ankündigung der Hamas, die Entführten zu töten, sollte Israel ohne Vorwarnung die Häuser von Zivilisten im Gazastreifen bombardieren. 

Hamas

Quelle: picture alliance / AA
  • Radikal-islamische Terrorgruppe, 1987 während erster Intifada gegründet
  • Name ist Akronym für "islamische Widerstandsbewegung"
  • Ziel: Zerstörung Israels und Einrichtung eines islamischen Staats
  • besitzt keine demokratische Legitimierung und geht restriktiv gegen Bevölkerung vor

Hisbollah

Quelle: dpa
  • radikale Schiiten-Miliz, dominiert mehrere schiitische Gebiete im Libanon
  • Ziel: Interessen der Schiiten durchsetzen, Kampf gegen Israel
  • fungiert als politische Partei und Terror-Miliz
  • ideologisch und politisch mit Iran verbunden, enge Koordination mit Hamas
  • Großteil militärischer Ausstattung stammt aus Iran
  • verfügt über großes Raketenarsenal, können vermutlich zehntausende Kämpfer mobilisieren
  • bereits mehrmals im Konflikt mit Israel, etwa im Libanon-Krieg 2006
  • in Deutschland als Terrororganisation eingestuft
  • Experten verweisen auf eine instabile Lage im Libanon: Hisbollah könnte sich Krieg mit Israel wohl auch finanziell nur schwer leisten.

Iran

Quelle: ZDF/Iranian Supreme Leaders Office
  • seit der Revolution 1979 eine schiitische Islamische Republik
  • Staatsoberhaupt: Ali Khamenei - dieser erklärte zuletzt abermals: Die Palästinenser und andere Kräfte würden "das Krebsgeschwür Israel bald schon auslöschen"
  • Iran sieht Israel als Erzfeind an und lehnt dessen Existenz ab
  • fördert und finanziert seit Jahrzehnten Terror-Gruppen in der gesamten Region
  • konkurriert mit Saudi-Arabien um Einfluss in der Region, ermöglicht durch Öl-Milliarden
  • ist klar gegen eine mögliche Aussöhnung und Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien, die sich zuletzt angedeutet hat. Könnte Hamas darum zu Großangriff auf Israel bewegt haben.

Quelle: Reuters, ZDF

Quelle: ZDF, dpa, AFP

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