: Italiens extreme Rechte im Aufwind?

von Jonas Grethel
18.02.2024 | 09:49 Uhr
Hitler-Flugblätter im jüdischen Viertel und "römischer Gruß" in Rom: Italiens extreme Rechte sorgt in letzter Zeit verstärkt für Schlagzeilen. Ermutigt die Regierung sie?
In Ferrara haben Neofaschisten nach Polizeiangaben im jüdischen Viertel Flugblätter verteilt, mit denen Mussolini und Hitler verherrlicht wurden.Quelle: Italian Police/Italian Police/AP/dpa
"Verherrlichung des Faschismus" und "Aufstachelung zum Rassenhass" - die Vorwürfe, die die Staatsanwalt Ferrara gerade gegen 24 Personen im Alter von 20 bis 30 Jahren erhoben hat, wiegen schwer. Die als Neofaschisten eingestuften Männer sollen Ende Dezember im jüdischen Viertel der norditalienischen Universitätsstadt Flugblätter verteilt haben, auf denen Hitler und Mussolini glorifiziert und Shoah-Überlebende verunglimpft wurden.
Dazu sollen sie rassistische und faschistische Gesänge angestimmt haben. Als einige Kunden versuchten, das zu verhindern, wurden diese bedroht.

Rund tausend Menschen sollen "römischen Gruß" gezeigt haben

Es ist nicht der einzige Vorfall in Italien in jüngster Zeit: Die Nachricht über die nun angelaufenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft folgt wenige Wochen, nachdem Anfang Januar in Rom etwa tausend Personen bei einem rechtsextremen Aufmarsch offen den mit dem Hitlergruß vergleichbaren "römischen Gruß" gezeigt hatten. Ähnliche neofaschistische Aktionen gab es in Italien in der Vergangenheit immer wieder, selbst im Parlament waren rechtsextreme Kräfte regelmäßig vertreten.

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Trotzdem sind die jüngsten Ereignisse von besonderer Bedeutung - ist doch seit Oktober 2022 erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mit den Fratelli d’Italia wieder eine Partei stärkste Kraft, die in der Tradition des italienischen Faschismus zu verorten ist.

Experte: Kein Boom radikaler Rechter

"Man kann zurzeit nicht von einem Boom der radikalen Rechten in Italien sprechen, das Phänomen ist seit den 90er Jahren relativ gleichbleibend", sagt Guido Caldiron, Autor und Experte für Rechtsextremismus und Neofaschismus:
Das Problem ist vielmehr, dass dieselben Gruppen, die man vor fünf Jahren vielleicht noch wenig beachtet hat, heute deutlich sichtbarer sind.
Guido Caldiron, Autor und Experte für Rechtsextremismus
"Und das hängt damit zusammen, dass seit über einem Jahr in Italien Personen an der Macht sind, die sich mehr oder weniger explizit auf die Geschichte des 1945 besiegten Faschismus beziehen", so Caldiron.

Ministerpräsidentin Meloni war selbst bei rechtem Aufmarsch dabei

Die Fratelli d'Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist indirekte Nachfolgepartei des 1946 gegründeten, offen neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI). Dass die Gedanken und Ideale dieser Bewegung bei den Fratelli bis heute weiterleben, zeigt sich auch an der oft als "Postfaschistin" titulierten Regierungschefin selbst, die es seit ihrem Amtsantritt regelmäßig vermeidet, rechtsextreme Vorfälle im eigenen Land zu verurteilen.

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2008 hatte sie selbst in Begleitung von landesweit bekannten Neofaschisten bei ebenjenem Aufmarsch teilgenommen, bei dem in diesem Jahr hundertfach der römische Gruß gezeigt wurde. Und ihr Parteifreund und Senatspräsident (und damit zweiter Mann im Staat) Ignazio La Russa verkündete Anfang 2023, dass er zuhause eine Mussolini-Statue stehen habe, die er "niemals wegwerfen würde".

Regierungspolitiker nutzen faschistische Parolen

Führende Politikerinnen und Politiker der Regierung zeigen wenig Berührungsängste mit dem Faschismus, machen sich dessen Symbole und Parolen gar zunutze. Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida beispielsweise warnte ebenfalls vergangenes Jahr vor einem "ethnischen Austausch" - ein Kampfbegriff der Neuen Rechten.

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Genau diese rechtsextremen Kräfte fühlen sich durch solche Aussagen bestärkt. Experte Guido Caldiron spricht hier von einem "Echo-Effekt": Militante Gruppierungen wie die um die Jahrtausendwende gegründeten Vereinigungen CasaPound oder Forna Nuova fühlen sich "kulturell und symbolisch mit den regierenden Kräften verbunden" und tragen ihren Hass nun immer offener und selbstbewusster nach außen, wie die jüngste Flugblatt-Aktion in Ferrara beweist.

Experte: Faschistisches Gedankengut normalisiert sich

Die außerparlamentarische extreme Rechte in Italien ist nach wie vor so aktiv, wie schon vor dem Amtsantritt der rechten Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Fratelli d'Italia.

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Und noch mehr: Mit der aktuellen Regierung scheint sich dem Experten Caldiron zufolge faschistisches Gedankengut im öffentlichen Diskurs und Sprachgebrauch langsam zu normalisieren, Skandale blieben immer häufiger aus.
Darin besteht die große Gefahr: Wenn kleine Gruppen etwas sagen, merkt es vielleicht niemand. Aber wenn es ein Minister sagt und dabei von allen Fernsehkanälen gefilmt wird, haben wir ein Problem.
Guido Caldiron, Autor und Experte für Rechtsextremismus
Regierungschefin Meloni scheint mit ihrem aktuellen Kurs allerdings recht erfolgreich zu fahren: Bei den anstehenden Europawahlen im Juni würden sich ihre Fratelli d’Italia laut jüngsten Umfragen mit gut 28 Prozent der Stimmen mit großem Abstand als stärkste Kraft des Landes behaupten - trotz aller Kritik, ihre Partei habe sich nicht vom Faschismus distanziert.

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