Analyse

: Ukraine verstärkt Angriffe auf Ölanlagen

von Christian Mölling, András Rácz
08.02.2024 | 14:39 Uhr
Während Moskau die Angriffe auf ukrainische Städte intensiviert, setzt die Ukraine verstärkt Drohnen gegen russische Ölanlagen ein. Kiews Strategie und die Folgen in der Analyse.
Brand in einem Öllager in der westrussischen Region Brjansk (Archivbild)Quelle: dpa
Seit Mitte Januar verstärkt die Ukraine ihre Drohnenangriffe auf die russische Ölinfrastruktur, einschließlich Raffinerien und Öldepots. Angriffsdrohnen trafen mehrere Anlagen in den Regionen Leningrad, Woronesch, Brjansk, Wolgograd und Rostow.
Die Ukraine setzt dabei mehr Drohnen mit größerer Reichweite als bisher ein. Ein Angriff auf die Ust-Luga-Ölanlage in der Nähe von St. Petersburg deutet darauf hin, dass die Ukraine jetzt über solche Drohnen verfügt, die in der Lage sind, 1.000 Kilometer im feindlichen Luftraum zu fliegen und nicht entdeckt zu werden.

Erklärvideo zu den Modellen, Aufgaben und Schwächen von Drohnen.

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Drohnen aus ukrainischer Produktion

Da die Ukraine die einheimische Drohnenproduktion kontinuierlich ausbaut, werden wahrscheinlich immer mehr UAV-Typen mit großer Reichweite und geringer Erkennungsrate an der Front auftauchen. Die Vielfalt der ukrainischen Drohnen, die mit einer Vielzahl von Navigationssystemen und Elektronik arbeiten, erschwert es Russland, sie mit elektronischer Kriegsführung zu bekämpfen.
Die ukrainischen Angriffe zielten nicht darauf ab, ganze Einrichtungen massiv zu beschädigen oder dem Erdboden gleichzumachen. Die geringe Zahl der eingesetzten Drohnen und die begrenzte Menge an Sprengstoff würden so etwas nicht möglich machen.

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Stattdessen geht es offensichtlich darum, an möglichst vielen Stellen in Russland Störungen zu verursachen. Aus diesem Grund konzentrieren sich die Angriffe nicht auf eine bestimmte russische Region, sondern reichen von St. Petersburg bis Wolgograd.

Dilemma für die russische Flugabwehr

Mit den Angriffen auf Öleinrichtungen beabsichtigt die Ukraine, die Treibstoffversorgung des russischen Militärs zu unterbrechen und auch Russlands Einnahmen aus dem Ölexport zu beeinträchtigen. Seit Anfang Februar sind die russischen Ausfuhren von Erdöl und Erdölerzeugnissen aufgrund der durch die Angriffe verursachten Engpässe um ein Drittel zurückgegangen.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Außerdem beabsichtigt die Ukraine wahrscheinlich, Russland zu zwingen, viele seiner modernsten Luftabwehr- und elektronischen Kampfführungssysteme von der Frontlinie ins Hinterland zu verlegen, um die Öleinrichtungen zu schützen. Auf diese Weise könnte die Ukraine die Überlegenheit der russischen Luftabwehr an der Frontlinie verringern und es ihren eigenen Kurzstreckendrohnen erleichtern, russische taktische Ziele anzugreifen.

Russlands verzweigte Infrastruktur sehr verwundbar

Bislang war Russland offensichtlich nicht in der Lage, seine weit verzweigte Ölinfrastruktur vor ukrainischen Luftangriffen zu schützen. Als sowjetisches Erbe ist die russische Ölverarbeitungsinfrastruktur massiv dezentralisiert. Das war ursprünglich dazu gedacht, ein Szenario zu verhindern, in dem ein äußerer Feind sie durch einen einzigen, konzentrierten Schlag ausschalten könnte.

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Heute jedoch wirkt sich dieses verstreute Muster nachteilig auf Moskau aus, da es mehrere Anlagen gegen kleine, einzelne Angriffe eines Gegners schützen muss, der sich auf ein umfangreiches Insiderwissen über das System stützen kann.
Außerdem sind Öldepots und Raffinerien weiche, sehr anfällige Ziele: Selbst kleine Sprengköpfe können große, ausgedehnte Brände verursachen. Da diese Gebäude nie dafür optimiert wurden, Drohnenangriffen standzuhalten, werden strukturelle Schwachstellen überwiegen. Daher wird die Ölinfrastruktur ein attraktives, leichtes Ziel für die Ukraine bleiben.

Russland bislang ohne effektive Gegenwehr

Russland verfügt eindeutig nicht über die Kapazitäten der Luftverteidigung und der elektronischen Kriegsführung, um Angriffe auf alle Öl- und Gasanlagen in der Reichweite ukrainischer Drohnen abzuwehren.
Daher hat Moskau stattdessen einen eskalatorischen Ansatz gewählt, indem es die Angriffe auf Großstädte wie Kiew intensiviert hat, in der Hoffnung, die Ukraine von weiteren Angriffen abzuschrecken. Kurz- und mittelfristig ist jedoch eine weitere Eskalation wahrscheinlich, da die Ukraine wohl kaum aufgeben wird, Russlands bisher größte Schwachstelle - nämlich seine Ölindustrie - anzugreifen.
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