: Werden die Ultrarechten zum Königsmacher?

von Natalie Steger und Milena Drzewiecka, Warschau
15.10.2023 | 09:41 Uhr
Alles deutet darauf hin, dass Polens nationalkonservative PiS-Regierung ihre absolute Mehrheit verliert. Die ultrarechte Konfederacja könnte für sie wichtig werden.

15.10.2023 | 02:35 min
Paulina ist 27, hat Grafik studiert, wohnt im polyglotten Warschau - und ist ultrarechts. Ihr Slogan ist "Gott - Ehre - Vaterland". Eine junge, freundliche Frau, die in ihrer Freizeit gerne Rollenspiele spielt und Figuren aus der polnischen Literatur zeichnet. Sie hat sich einen Tee bestellt und erklärt uns ihre politischen Ansichten.
"Unsere kulturellen Werte sind uns wichtig", sagt Paulina, "unsere polnische Kultur ist uns wichtig und wir werden sie verteidigen. Wir werden dies kultivieren und keine äußeren Einflüsse akzeptieren".

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11.10.2023 | 06:37 min

EU-kritisch, gegen Abtreibungen und Hilfen für ukrainische Geflüchtete

Paulina lehnt jedwede Fremdeinmischung ab, ist ausgesprochen EU-kritisch. Gerade in Sachen Migrationspolitik. Im dem ansonsten Ukraine-freundlichen Polen lehnt sie sogar weitere Sozialhilfe für ukrainische Geflohene ab.
Ich mag keine Masseneinwanderung, egal aus welcher Richtung. Oder EU-Zwangsumsiedlung, ich bin dagegen. Diese Menschen bringen ihre eigene Kultur mit und die polnische Kultur wird verwischt.
Paulina
Sie will Haus, Mann, drei Kinder. Sie ist schwarz angezogen, Schwarz ist eigentlich die Farbe der Frauenrechtlerinnen und Abtreibungsbefürworterinnen. "Da war ich natürlich nicht dabei", stellt sie klar. Sie spricht ruhig, ohne zu eifern, aber beim Thema Abtreibung wird Paulina wirklich emotional.
Es empört mich, das eigene Kind zu töten als attraktives Angebot vorzuschlagen. Ich will eine Familie haben, das ist ein sehr wichtiger Wert.
Paulina

Am 15. Oktober wird in Polen gewählt. Jüngste Umfragen sehen die regierende PiS-Partei vorn.

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Genug von Kaczynski und Tusk

Seit ein paar Jahren fühlt sich Paulina politisch in der Partei Konfederacja gut aufgehoben. Wir begleiten sie zum Wahlkampfabend. Es dröhnen Alice Cooper und Thin Lizzy zum Stimmung-Aufheizen. Auffallend viele junge Männer sind hier, auch Familien. Bei Männern zwischen 18 und 39 ist die Konfederacja die Nummer 1 in den Umfragen.
Die meisten haben genug vom Klub der alten Männer wie PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski und Oppositionsführer Donald Tusk, die seit Jahren ihre persönliche Fehde austragen und die prägenden Köpfe der polnischen Politik sind.

Donald Tusk

Quelle: Piotr Nowak/PAP/dpa/Archiv
Mitbegründer der Partei Bürgerplattform (PO) im Jahr 2001. Von 2003 bis 2014 und dann wieder ab 2021 ihr Vorsitzender. Regierungschef von 2007 bis 2014. Anschließend wechselte Tusk nach Brüssel, war von 2014 bis 2019 EU-Ratsvorsitzender. Wurde danach zum Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament gewählt.

Jarosław Kaczyński

Quelle: Czarek Sokolowski/AP/dpa
Mitbegründer der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Jahr 2001. Ab 2003 durchgehend ihr Vorsitzender. 2006-2007 Regierungschef, in der aktuellen Wahlperiode zweimal Vize-Premier.

Liberale Wirtschaftspolitik und EU-Politik im Zentrum des Wahlkampfs

Ins Zentrum des Wahlkampfs stellt die Konfederacja die Wirtschaftspolitik und EU-Kritik. Steuern runter, keine Regulierungen zum Klimaschutz, wirtschaftsliberal. Eines der Gesichter: der Vorsitzende Krzysztof Bosak, 41, Typ Schwiegersohn. Stets im Anzug, stets von ausgesuchter Höflichkeit. Und bemüht, nicht zu allzu extrem zu klingen.
Wir sind natürlich polnische Patrioten. Wir wollen die Souveränität des polnischen Staates behalten, zumindest das, was nach dem Unterzeichnen der EU-Verträge übriggeblieben ist.
Krzysztof Bosak, Konfederacja
An diesem Abend keine Sätze, die in der Vergangenheit schon fielen wie "Polen ohne Juden, ohne Homosexuelle, ohne Abtreibung, ohne Steuern, ohne EU." Stattdessen verkauft sie ihre radikalen Positionen als "jung". Die Ideologie wird versteckt hinter glatter Oberfläche. Dabei sind die Anhänger ein bunter Haufen von Ultrarechten, Wirtschaftslibertären, Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern, Scheidungsgegnern.

Polen wählt am 15. Oktober ein neues Parlament. Wird die seit dem Jahr 2015 regierende national-konservative Partei PiS an der Macht bleiben – oder schafft die Opposition es sie abzulösen?

13.10.2023 | 02:02 min

Konfederacja könnte wichtige Rolle bei Regierungsbildung spielen

Die nationalkonservative Regierungspartei PiS könnte die Konfederacja nach den Wahlen vor sich hertreiben. Die PiS wird aller Voraussicht nach ihre absolute Mehrheit verlieren, die Konfederacja um die 9 Prozent schaffen. Dann wäre sie der einzige mögliche Koalitionspartner für die Regierungspartei.
Im Wahlkampf verspricht Bosak, man werde keine Koalition eingehen. Allerdings ist es nicht undenkbar, dass sich die PiS für gewisse Gegenleistungen die Konfederacja erkauft, um eine Minderheitsregierung zu schaffen.

PiS (Prawo i Sprawiedliwość - Recht und Gerechtigkeit)

Die nationalkonservative Partei von Jarosław Kaczyński führt seit 2015 die Regierung in Polen an. Als Juniorpartner verstärken die PiS-Fraktion im Parlament unter anderem Abgeordnete der rechtspopulistischen Suwerenna Polska (Souveränes Polen) von Justizminister Zbigniew Ziobro, der das Gesicht der umstrittenen Justizreformen ist.

Recht und Gerechtigkeit verknüpft eine etatistische Wirtschaftspolitik mit einem traditionellen Weltbild. Die Partei setzt auf einen starken Sozialstaat, will das Kindergeld weiter erhöhen. In der Migrationspolitik lehnt sie eine Umverteilung innerhalb der EU ab, die katholische Kirche soll in Polen ihre starke Rolle behalten.

Koalicja Obywatelska (Bürgerkoalition)

Die Koalition wird vom liberalkonservativen Spitzenkandidaten Donald Tusk und seiner Platforma Obywatelska (Bürgerplattform) angeführt. Tusk war von 2007 bis 2014 Polens Regierungschef, bevor er fünf Jahre lang EU-Ratspräsident und anschließend Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament wurde.

Anfang 2022 kehrte er auf die politische Bühne in Polen zurück. Die KO will den Streit mit der Europäischen Union beenden und die Justizreformen der PiS zurückdrehen. Trotzdem bleibt sie zuwanderungsskeptisch. In ihrem Wahlprogramm verspricht das Wahlbündnis die Möglichkeit einer legalen Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche und die Einführung von eingetragenen Lebenspartnerschaften.

Trzecia Droga (Dritter Weg)

Ein Angebot für christdemokratisch orientierte Wähler, die eine Alternative zur PiS und KO suchen. Das Wahlbündnis besteht aus der Partei "Polska 2050" (Polen 2050) des ehemaligen Journalisten Szymon Hołownia und der Bauernpartei PSL von Władysław Kosiniak-Kamysz.

Hołownia verbuchte 2020 als Drittplatzierter der Präsidentschaftswahl einen Achtungserfolg. Beide geben sich pro-europäisch, legen einen großen Wert auf rechtsstaatliche Prinzipien und fordern ein Vorantreiben der ökologischen Transformation.

Nowa Lewica (Neue Linke)

Die Partei setzt in ihrem Programm auf klassische linke Themen wie Frauenrechte, Arbeitnehmerrechte, die Trennung von Staat und Kirche, den Schutz der Schwächeren. Sie will die "Rolle Polens in Europa stärken", indem der Streit mit der EU beendet und eine unabhängige Justiz wiederhergestellt wird.

Die Linke will insbesondere auch Frauen mobilisieren: Sie sollen "den Regenschirm gegen den Kugelschreiber tauschen" - der Regenschirm war eines der Symbole der Proteste gegen das verschärfte Abtreibungsrecht.

Konfederacja (Konföderation)

Die Ultrarechten setzten auf eine starke Rolle der katholischen Kirche und ein konservatives Familienbild mit einem radikalen Abtreibungsrecht - auch wenn an Frauen gerichtete Themen im Wahlprogramm ausgeklammert sind. Die Konfederacja ist EU-skeptisch und wirtschaftsliberal, kritisiert die PiS für ihre Sozialpolitik und fordert radikale Steuersenkungen bis hin zur Abschaffung der staatlichen Sozialversicherungsanstalt.

Sie ist besonders bei jungen Männern beliebt. In ihren Reihen sitzen auch einige Nationalisten, die in der Vergangenheit mit rassistischen und antisemitischen Stimmen auffielen. Die Konfederacja fällt außerdem mit anti-ukrainischer Rhetorik auf.

Quelle: ZDF

Anhängerin verspricht sich "blühendes Polen"

Die Ultrarechten haben sich als wählbar verkauft, nicht nur für stramme Nationalisten. Krzysztof Bosak ist mit seinen 41 Jahren seit fast 20 Jahren in der Politik und hat dazu gelernt.

In Polen gibt es immer weniger Krankenhäuser, in denen legale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden können.

12.10.2023 | 02:20 min
Grafikerin Paulina ist von dem Wahlkampfauftritt in Warschau wie berauscht. Mit der Konfederacja sieht sie die Zukunft so:
Ein Polen, das seinen polnischen Charakter bewahrt, mutig in die Zukunft blickt. Ein Polen, das wirtschaftlich, kulturelle und demografisch wächst. Ein blühendes Polen.
Paulina
Die, die an diesem Abend die Ultrarechten feiern, sind ein Teil der Zukunft Polens.

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