: Diese Nato-Grenze soll Russland stoppen

von Oliver Klein, Nils Metzger, Jan Schneider
22.03.2024 | 13:21 Uhr
Um eine russische Invasion abzuwehren, befestigen die baltischen Staaten die Nato-Außengrenze mit Hunderten Bunkern und Panzersperren. Kann diese Verteidigung gelingen?
Hinter dem Zaun liegt Russland: Litauische Grenzschützer nahe der Exklave Kaliningrad.Quelle: picture alliance / AA
"Wir spüren, dass der Krieg uns nahe ist." Wenn Russland in der Ukraine nicht gestoppt werde, seien die baltischen Staaten "als nächstes dran". So sagte es der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis bei einem Treffen der EU-Außenminister im Januar.
Die Angst der baltischen Staaten vor einem möglichen russischen Angriff in den kommenden Jahren ist konkret. Und die Staaten wissen genau: Wollen sie nicht wie während des Kalten Krieges und davor unter Besatzung leben wollen, müssen sie sich vorbereiten. "Niemand hat einen Zeitplan für Russlands Wahnsinn", sagte Landsbergis. "Die Ukraine verschafft uns Zeit mit ihrem Blut, mit ihrem Leben, mit allem, was sie hat."

Litauen hat gemeinsame Grenzen mit Russland und Belarus. Man fühlt sich bedroht und trainiert für den Ernstfall. Viele Litauer sind bereit, ihr Land zu verteidigen.

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Hunderte Bunkeranlagen gegen russischen Vormarsch

Es sind zwei Bollwerke, auf die die baltischen Staaten, Estland, Lettland und Litauen, setzen: ihre Nato-Mitgliedschaft und die Befestigung der eigenen Grenzen. Im Verteidigungsfall könnten Hunderttausende Nato-Soldaten aus dem gesamten Bündnisgebiet an die Ostflanke verlegt werden. Das braucht eine gewisse Zeit, in der Russlands Vormarsch verzögert werden muss.
Mitte Januar haben sich die drei baltischen Staaten darum auf ein gemeinsames militärisches Großprojekt geeinigt: die Baltic Defense Line, die Baltische Verteidigungslinie. Entlang der Nato-Außengrenzen zu Belarus und Russland inklusive dessen Exklave Kaliningrad sollen ab 2025 Hunderte Bunkeranlagen entstehen, allein Estland plant 600 Stück. Ein vergleichbares Vorhaben hat Europa seit Jahrzehnten nicht gesehen.
Estnisches Verteidigungsministerium
Lukas Milevski ist Dozent für Geopolitik an der Universität Leiden in den Niederlanden. Seit Jahren forscht er zur Sicherheitspolitik des Baltikums:
Die baltische Seite der Grenze wird wahrscheinlich eine der am stärksten befestigten Grenzen in Friedenszeiten weltweit.
Lukas Milevski, Universität Leiden

Wie soll die "Baltic Defense Line" funktionieren?

Die Bunkeranlagen sollen nicht nur Schutz vor Bombardierungen bieten, sondern auch Blicke feindlicher Überwachungsdrohnen abschirmen - eine Lehre aus dem Stellungskrieg in der Ukraine. Dazu kommen Panzersperren aus Beton, sogenannte "Drachenzähne", mit denen Straßen und offenes Gelände über viele Kilometer für Fahrzeuge versperrt werden sollen.
So will das Baltikum seine Außengrenzen vor einem russischen Angriff absichern.
Sogar das Verminen von Gebieten wird im Baltikum diskutiert; der frühere Oberbefehlshaber der lettischen Streitkräfte, Raimonds Graube, etwa forderte jüngst, aus der Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen auszutreten, um eine zusätzliche Option bei der Grenzsicherung zu haben. Verteidigungsminister Andris Spruds sprach sich für den Moment dagegen aus.

Die Heimatliebe im Baltikum ist groß. Doch der Gedanke an eine Wiederholung der russischen Besatzung ist beängstigend, denn ihre Unabhängigkeit möchten sie nicht noch einmal verlieren.

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Anders als Bunker sollen tödlichen Mittel wie Minen erst bei einer sich anbahnenden Konfrontation an den Grenzen verteilt werden. "Die baltischen Staaten planen solche Baumaßnahmen, die in einem laufenden Krieg zu viel Zeit erfordern würden. Gleichzeitig legen sie an verschiedenen Punkten Lager mit Material an, das die Beweglichkeit russischer Truppen einschränken soll", sagt Tomas Jermalavičius vom International Centre for Defence and Security in der estnischen Hauptstadt Tallinn.
Verwundbare Teile der Grenze rechtzeitig zu befestigen, kann auch als Abschreckung dienen.
Tomas Jermalavičius, International Centre for Defence and Security, Tallinn
Litauen etwa will bis zum Sommer 18 solcher Lager für Sperrmaterialien wie Stacheldraht und "Drachenzähne" im ganzen Land anlegen, um schnell reagieren zu können. Auch Bewässerungsgräben sollen vertieft und gezielt Baumreihen angelegt werden, um feindlichen Fahrzeugen das Vorankommen zu erschweren.
"Die genauen Details bleiben unter Verschluss, aber was bekannt ist, ist nichts Neues in der Geschichte der Kriegsführung. Die Herausforderungen bei der Verteidigung eines Gebiets bleiben gleich wie im Zweiten Weltkrieg. Nun gibt es nur mehr verschiedenes Spielzeug, mit dem man arbeiten kann", betont Milevski.

Die Grenze zu Russland ist seit November geschlossen, da ungewöhlich viele russische Migranten diese überquerten. Außerdem investiert Finnland enorm in Militär und Zivilschutz.

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Welche Probleme gibt es bei der Umsetzung?

Was den Bau der Verteidigungslinie verlangsamt: In Estland etwa verweisen Behörden auf Probleme mit Landbesitzern entlang der Grenze, die nicht an den Staat verkaufen möchten. Auch mit explodierenden Kosten sei zu rechnen, so Milevski.
"Die baltischen Verteidigungsbudgets steigen zwar, sind aber vergleichsweise gering und müssen für eine ganze Reihe von Maßnahmen herhalten." Verglichen mit den russischen Streitkräften ist ein Land wie Litauen mit 12.000 Berufssoldaten winzig.

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Nicht jede Verteidigung hilft, einen Krieg zu gewinnen

Daraus ergibt sich auf eine zentrale strategische Frage: Was soll die Baltische Verteidigungslinie überhaupt erreichen? Soll sie eine russische Invasion an der Grenze stoppen - oder nur Zeit gewinnen?
Könnte die Verteidigungslinie die Russen in einer hypothetischen Invasion tatsächlich stoppen, wäre das klar die beste Lösung, aber das scheint höchst unwahrscheinlich. Es ist darum besser anzunehmen, dass die Befestigungen einen russischen Vormarsch nur verlangsamen werden.
Lukas Milevski, Universität Leiden
Hält man zu lange an der Verteidigung einer unvorteilhaften Position fest, bedeutet das für die Verteidiger zu hohe Verluste. Umgekehrt können stark ausgebaute Verteidigungsstellungen auch dazu führen, dass ein Gegner dort gar nicht erst angreift, sondern auf andere Gebiete ausweicht. Das kann gezielt genutzt werden, um Angriffe in bestimmte Bahnen zu lenken.
Wenn Defensivstellungen gut angelegt sind, können sie gegnerische Kräfte in dafür vorgesehene 'Kill Zones' leiten, wo ihre Verluste besonders hoch sind.
Tomas Jermalavičius, International Centre for Defence and Security, Tallinn
Mit Blick auf die Kriegsverbrechen in der Ukraine sei es besonderes Anliegen, Bevölkerungszentren nicht in russische Hände fallen zu lassen, so Jermalavičius. Beide Experten betonen, dass die Verteidigungsmaßnahmen an der Grenze nur ein Teil einer größer angelegten Reaktion der gesamten Nato auf einen russischen Angriff wären.

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Hier kann sich der Konflikt entscheiden: die Suwalki-Lücke

Ob die Nato dem Baltikum rechtzeitig zur Hilfe kommen kann, wird sich vor allem an einem Punkt entscheiden: der Suwalki-Lücke. Sie ist ein rund 100 Kilometer langer Grenzabschnitt von Litauen und Polen. Nirgendwo sonst ist die Distanz zwischen dem russische beeinflussten Belarus und der Exklave Kaliningrad so gering.
Die Sorge: Mit einem schnellen Vorstoß könnten Moskaus Truppen diese Lücke besetzen und damit die Versorgung des Baltikums auf dem Landweg abschneiden. Genau dieses Szenario ist Grundlage der Quadriga-Übung, die die Bundeswehr mit Nato-Partnern aktuell durchführt. Und bald wird die Bundeswehr mit der Brigade Litauen dauerhaft vor Ort sein. Die Suwalki-Lücke mit aller militärischen Kraft offenzuhalten, könnte im Kriegsfall eine ihrer Aufgaben sein.

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