Analyse

: Südafrika straft ANC ab - aber was nun?

von Verena Garrett
02.06.2024 | 18:00 Uhr
Der ANC hat bei den Wahlen in Südafrika die absolute Mehrheit verloren - und betritt Neuland. Die Partei sucht Koalitionspartner und das Land eine politische Neuausrichtung.

Bei den Parlamentswahlen in Südafrika hat die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress, ANC, die absolute Mehrheit verloren. 30 Jahre lang stellte ANC eine Alleinregierung.

01.06.2024 | 00:24 min
Die Stimmen sind ausgezählt, die Unterstützung für die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) ist auf einem historischen Tiefpunkt: Gerade mal etwas mehr als 40 Prozent hat die Dauerregierungspartei erhalten. Dass sie die absolute Mehrheit verliert, wurde schon im Vorfeld der Wahlen erwartet - nach jahrelangen Korruptionsskandalen und wirtschaftlicher Misswirtschaft war diese Abfuhr absehbar. Dass sie allerdings so deutlich ausfällt, hat viele überrascht.
Der ANC ist gezwungen, eine Koalition zu bilden, um das ungleichste Land der Welt zu regieren. Ein Zusammenschluss mit einer Kleinstpartei wird nicht ausreichen.

Politische Ungewissheit für Südafrika

Cyril Ramaphosa, der Präsident Südafrikas und des ANC - und einst Nelson Mandelas Favorit für seine Nachfolge - versprach einen "neuen Aufbruch", als er 2018 die Nachfolge des in Ungnade gefallenen Präsidenten Jacob Zuma antrat.
Er versprach überhaupt in den letzten Jahren viel - Wohnungen, Häuser und Jobs zum Beispiel. Angekommen ist besonders bei der ärmeren Bevölkerung nicht nur wenig, sondern in vielen Fällen gar nichts.

Südafrika im Rückwärtsgang

30 Jahre ANC-Regierung

Der ANC kam 1994 mit dem Versprechen an die Macht, "ein besseres Leben für alle zu schaffen". Die Partei gewann bei den ersten demokratischen Wahlen des Landes fast 63 Prozent der Stimmen.

Drei Jahrzehnte später haben grassierende Korruption, steigende Arbeitslosigkeit, lähmende Stromausfälle und ein schwaches Wirtschaftswachstum schwerwiegende Folgen für die Südafrikaner.

Wirtschaft in Südafrika rückläufig

Die Wirtschaft hat sich in den letzten zehn Jahren rückläufig entwickelt, was sich in einem drastischen Rückgang des Lebensstandards widerspiegelt. Nach Angaben der Weltbank ist das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt seit dem Höchststand im Jahr 2011 gesunken; der durchschnittliche Südafrikaner ist um 23 Prozent ärmer geworden.

Nach Angaben der Weltbank hat Südafrika weltweit die höchste Arbeitslosenquote. Auch die Ungleichheit ist die größte der Welt.

Nachteile vor allem für schwarze Bevölkerung

Schwarze Südafrikaner, die 81 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind am stärksten von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen. Das ist zum großen Teil auf das Versagen des öffentlichen Schulwesens zurückzuführen. Die meisten weißen Südafrikaner haben Arbeit und beziehen wesentlich höhere Löhne.
Die Wahlergebnisse spiegeln die tiefe Frustration der Bevölkerung über den Kurs des Landes wieder. Den Südafrikanern könnten nun Wochen politischer Ungewissheit bevorstehen.

Keine Erfahrung mit nationaler Koalitionsbildung

Im Hintergrund laufen schon seit Samstag die Gespräche, heißt es, denn mit der Verkündung der endgültigen Ergebnisse werden die politischen Parteien nur zwei Wochen Zeit haben, eine Regierung zu bilden. Dann muss ein neues Parlament zusammentreten, um den Präsidenten des Landes zu wählen.
Sollte dies nicht gelingen, müssen Neuwahlen abgehalten werden. Eine Koalitionsbildung hat es auf nationaler Ebene in Südafrika bislang noch nicht gegeben. Bisher konnte der ANC ja immer allein regieren.

Mindestens 45 Menschen sind bereits bei den Unruhen in Südafrika ums Leben gekommen. Ausgebrochen sind die Proteste, als der frühere Präsident Jacob Zuma festgenommen wurde.

14.07.2021 | 02:47 min

Komplexe Koalitionsgespräche erwartet

Analysten halten eine Koalition zwischen dem ANC und der Democratic Alliance (DA) für am wahrscheinlichsten. Die bisherige größte Oppositionspartei kommt landesweit auf 21,7 Prozent; besonders am Kap sind sie stark. Wie schnell sich Gemeinsamkeiten finden lassen, wird sich erst noch zeigen.

Bei den Wahlen in Südafrika wird möglicherweise die Alleinherrschaft der Regierungspartei African National Congress beendet. Die neue Partei RISE mzansi bringt Hoffnung.

28.05.2024 | 29:30 min
Für den ANC ist seine Politik des Black Empowerment, die darauf abzielt, die Schwarzen an der Wirtschaft zu beteiligen, "nicht verhandelbar", erklärte der ANC-Vorsitzende Gwede Matashe. Ausserdem müsse jeder Koalitionspartner dem Anfang Mai unterzeichneten Gesetz über die nationale Krankenversicherung (National Health Insurance, NHI) zustimmen. Es verspricht eine allgemeine Gesundheitsversorgung für alle.
Die DA lehnt sowohl die Politik des ANC zur Stärkung der schwarzen Bevölkerung sowie diese Krankenversicherung ab. Dennoch hat der DA-Vorsitzende John Steenhuisen einen Zusammenschluss nicht ganz abgelehnt.

Für Südafrika ist 2024 ein Schicksalsjahr: 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid stehen wegweisende Wahlen an. ZDF-Korrespondentin Verena Garrett zeigt, wie es um das Land steht.

30.05.2024 | 29:30 min

Demokratische Allianz gilt als Partei der Weißen

Nicht nur in Südafrika, auch im Ausland blicken Experten in diesen Tagen gespannt nach Südafrika. Das Land am Kap ist das einzige afrikanische G20 Mitglied, es ist wichtiger Partner für Europa und auch für Deutschland. 600 deutsche Unternehmen sind im Land angesiedelt. Stefan Liebing, Wirtschaftsexperte und ehemaliger Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft ist skeptisch. Er sagt:
Die DA hat auf der einen Seite ein realistisches Wirtschaftsprogramm, ist aber andererseits auch als Partei der Weißen stigmatisiert.
Stefan Liebing, Wirtschaftsexperte
Und er erklärt weiter: "Die Frage ist, ob das so überhaupt zusammenpassen kann oder ob es nicht viel Streit und Blockadehaltungen in der Regierung geben würde. Einfacher wird es nicht".

Vor 30 Jahren beendete die ANC die Apartheid in Südafrika. Doch inzwischen verlangt es den Bürgern nach einer politischen Neuausrichtung, die sich in den Wahlergebnissen widerspiegelt.

31.05.2024 | 00:24 min

Neue Partei MK: Koalition nur ohne Ramaphosa

Eine weitere Option: eine Koalition mit der Partei des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma uMkhonto weSizwe (MK). Sie hat 15 Prozent erreicht. Die radikal-linken Economic Freedom Fighters (EFF) liegen bei 9 Prozent, so dass eine Koalition knapp unter den erforderlichen 50 Prozent liegen würde.
Sowohl die EFF als auch die MK befürworten die Beschlagnahmung von Land im Besitz der Weißen und die Verstaatlichung der Minen des Landes - Maßnahmen, die ausländische Investoren alarmieren würden. Die MK hat bereits erklärt, sie sei bereit, mit dem ANC zusammenzuarbeiten, jedoch nicht, solange dieser von Ramaphosa geführt werde.
Eine solche Koalition würde sehr wahrscheinlich für noch mehr Chaos sorgen, einen Rückzug von deutschen Investoren verursachen, überhaupt würden sich Investoren aus Südafrika zurückziehen.
Stefan Liebing, Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft
"Die wirtschaftliche Lage im Land", erläutert Liebing, "ist ohnehin schon angespannt, eine solche Koalition würde das massiv verschärfen".

Politische Zukunft Südafrikas schwer vorhersehbar

Jede Koalitionsregierung wird für den ANC und für Ramaphosa, der mit diesem Wahlergebnis um sein politisches Überleben kämpft, eine bittere Pille sein. Seit dem Beginn der Demokratie im Jahr 1994 war die politische Landschaft Südafrikas noch nie so unklar.
Ob eine Koalitionsregierung für Südafrikas Bevölkerung etwas bewirken kann, ist ungewiss, aber eines ist deutlich: Südafrika und der ANC - Mandelas ehemalige Befreiungsbewegung, die über die Apartheid triumphierte - werden nie wieder dieselben sein.
Verena Garrett ist Leiterin des ZDF-Auslandstudios Johannesburg.

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