Interview

: "Putin hat auf lange Sicht verloren"

19.02.2023 | 14:31 Uhr
Putin hat sein Land auf lange Sicht ins Abseits manövriert, sagt der britische Verteidigungsminister Wallace. Im Interview kündigt er die Ausbildung ukrainischer Piloten an.
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace: Putins Kalkül ist nicht aufgegangen.Quelle: picture alliance / empics
Großbritannien wird zwar ukrainische Piloten ausbilden - aber zunächst keine Kampfjets liefern. Das sei ein zu komplexer, aufwändiger Schritt, erklärt der britische Verteidigungsminister Ben Wallace im Interview mit ZDFheute. Das künftige Verhältnis zu Russland sieht Wallace skeptisch. Putin habe bislang jeden "logischen Ausweg" aus der Situation ignoriert.
ZDFheute: Vor einem Jahr waren einige Nationen in München noch sehr skeptisch, ob Putin wirklich die Ukraine angreifen würde. Wie solide ist die Unterstützung des Westens für die Ukraine heute?
Ben Wallace: Wir haben letztes Jahr damit begonnen, über tragbare Panzerabwehrwaffen zu sprechen. Und jetzt, Ende Januar, reden wir alle über Panzer. Und die Leute, vor allem der Kreml, die an der internationalen Entschlossenheit gezweifelt haben, mussten tatsächlich aufwachen und erkennen, dass die einheimische Gemeinschaft nicht wegschaut.
Ich glaube, das ist der eigentliche Punkt, dass das Kalkül Putins, wir würden uns alle langweilen und in den Urlaub fahren wollen, nicht aufgegangen ist. Ganz im Gegenteil.
Ben Wallace, Verteidigungsminister Großbritannien
ZDFheute: Bei den Panzern dauert es aber länger als gedacht. Warum ist es so schwierig, die versprochene Anzahl von Panzern zu liefern?
Wallace: Ich denke, so schwierig ist es nicht. Zunächst einmal handelt es sich um große, komplexe Waffen, die oft in internationalen Konsortien entwickelt werden. Man muss also oft mit den anderen internationalen Partnern zusammenarbeiten, um alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu haben. Das ist nicht immer einfach. Um ehrlich zu sein, was zählt, ist, dass wir am Ende das Ziel erreicht haben.
ZDFheute: Tatsächlich sind ja noch nicht alle Panzer beisammen. Sie stellen moderne Kampfpanzer zur Verfügung. Was sagen Sie den Ländern, die anfangs gesagt haben, wir sollten das tun und jetzt eher zögern?
Wallace: Ich glaube nicht, dass sie zögern. Um ehrlich zu sein, wurde der Westen von der Ukraine ein wenig überrumpelt. Wissen Sie, alle diese Zahlen, die wir auf dem Papier hatten, wie viele Panzer wir hatten, wie viele Panzergrenadiere… Was wir entdecken, ist, dass wir auf dem Papier vielleicht sagen können, wie viele Panzer wir haben. Wenn man den Knopf drückt und sie bittet, aus der Garage zu fahren, ist die Zahl aber plötzlich viel niedriger. Und das ist die einfache Realität. Und das braucht Zeit. Es braucht Zeit, sie wieder in Schuss zu bringen.
ZDFheute: Haben Sie mit der Bereitstellung der Challenger-Panzer Deutschland über die Ziellinie geschoben, selbst Leopard 2 zur Verfügung zu stellen?
Wallace: Nein. Wissen Sie, es ist sehr einfach in meinem Regierungssystem. Ich habe nicht die gleiche Art von Aufsicht, wie sie der Bundestag hat. Und ich habe keine Koalition, die ich zusammenbringen muss. Wir haben nur eine Einparteienregierung. Ja, natürlich haben wir Debatten in Deutschland gesehen. Aber das ist nur fair und richtig. Und ich habe mich nicht darüber geärgert.
Letzten Endes haben wir alle unser Ziel erreicht, und das ist es, was zählt. Ich denke, dass Deutschland nicht die Anerkennung für seine Bemühungen bekommen hat. Es hat eine große Menge investiert. Der Panzer wurde zu einer Art ungerechtem Symbol dafür, ob Deutschland es schaffen würde oder nicht.
ZDFheute: Die Ukraine fordert nun auch Kampfjets. Wird Großbritannien Jets liefern?
Wallace: Ich denke, auf lange Sicht ist es wichtig, der Ukraine zu helfen, sich nach diesem Krieg zu verteidigen und die Widerstandsfähigkeit der Ukraine zu stärken. Und deshalb wird Großbritannien bei der Ausbildung der Piloten helfen. Aber wir sprechen hier über hochentwickelte schnelle Jets. Das sind keine handgeführten Panzerabwehrwaffen. Man braucht dafür etwa 200 Leute, Ingenieure und Hilfskräfte. Und keine Regierung im Westen wird Truppen in die Ukraine schicken, um das zu unterstützen.
Die Realität sieht also so aus, dass wir diesen Prozess einleiten werden, um der Ukraine zu helfen, sich zu wehren. Aber ich denke, es wäre sehr optimistisch zu glauben, dass es in den nächsten Monaten zu einer Lieferung von Kampfflugzeugen kommen wird.
ZDFheute: Jahrelang gab es, vor allem auf deutscher Seite, den Versuch, so etwas wie eine Sicherheitspartnerschaft mit Russland zu haben. Das ist gescheitert. Welche Art von Beziehung kann es mit Russland in Zukunft überhaupt geben?
Wallace: Ich denke, es ist eine echte Herausforderung, wie es mit Russland in Zukunft weitergeht. Das Bemerkenswerte an diesem letzten Jahr ist, dass Putin jedes Mal, wenn es einen logischen Ausweg gab, diesen ignoriert hat. Er hat es für sich selbst sogar noch schlimmer gemacht. Seine strategischen Entscheidungen waren völlig kontraproduktiv.
Ich denke also, dass Putin auf lange Sicht verloren hat. Er ist ein unbedeutender Führer. Sein Land ist durch die Sanktionen in vielen Bereichen schwer getroffen. In den Augen der internationalen Gemeinschaft ist es ein unbedeutendes Land in der Welt. Selbst für die Chinesen sind die Russen so etwas wie der peinliche Onkel. Die russische Armee ist nicht unbesiegbar, wie jetzt jeder gesehen hat.
Das Interview führte Thomas Reichart, Korrespondent für Außen- und Sicherheitspolitik im ZDF-Hauptstadtstudio.

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