: Bundestag: Verbrechen an Jesiden Völkermord

19.01.2023 | 12:16 Uhr
Der Bundestag hat die Verfolgung der Jesiden durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" als Völkermord eingestuft. Der Zentralrat der Jesiden sprach von einem "historischen Tag".
Der Bundestag hat die Gräueltaten der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) an den Jesiden im Nordirak und in Syrien als Völkermord anerkannt. Das Parlament beschloss dazu am Donnerstag in Berlin einstimmig einen Antrag der Fraktionen von SPD, Union, Grünen und FDP.
"Die Entscheidung des Bundestages sei auch die Annahme des Auftrags, nach denen zu suchen, die weiterhin vermisst und verschleppt sind, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Beobachter gehen von etwa 3.000 Jesiden aus, die weiterhin in der Gewalt der IS-Kämpfer oder vermisst sind.
Wir können den Völkermord nicht rückgängig machen, aber wir können dafür sorgen, dass die Opfer Gerechtigkeit erhalten, damit der Völkermord nicht vererbt wird.
Annalena Baerbock

Wer sind die Jesiden?

Quelle: ZDF
Die Jesiden sind mit geschätzt 1,5 Millionen Angehörigen eine verhältnismäßig kleine religiöse Gemeinschaft der Kurden. Die jesidische Religion ist vor mehr als 4.000 Jahren in Mesopotamien entstanden. Jesiden leben traditionell in einem pyramidenförmig aufgebauten Kastensystem - sie dürfen sich auch nur innerhalb ihrer Kaste verheiraten, sonst droht der Ausschluss aus der Gesellschaft.

Jesiden leben heute vor allem als Bauern und Viehzüchter im Sindschar-Gebirge im Nordirak, aber auch in Nordsyrien und dem Iran sowie in kleinerer Zahl in der südöstlichen Türkei. Größere Gemeinschaften gibt es außerdem in den USA, in Kanada, Australien und in Europa. In Deutschland leben etwa 200.000 Jesiden.

Wodurch ist die Religion der Jesiden gekennzeichnet?

Jesiden glauben an einen allmächtigen Schöpfer. Sie haben aber keinen Propheten, keine Gotteshäuser und kein heiliges Buch. Ihr Glaube wird mündlich weitergegeben. Ihre Gebete verrichten Jesiden unter freiem Himmel zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Religiöses Heiligtum ist die Stadt Lalisch im Nordirak. Anders als im Christentum gibt es bei den Jesiden keinen Widersacher des allmächtigen Gottes. Jesiden glauben dafür an Gottes irdischen Vertreter, den Engel "Taus-i Melek", der im Zentrum ihrer Religion steht. Radikale Islamisten halten Taus-i Melek für den gefallenen Engel, also den Teufel.

Weshalb werden Jesiden von IS-Terroristen verfolgt?

Weil Jesiden keinen Teufel als Gegenpart Gottes anerkennen und auch den Namen des Bösen nicht aussprechen, sind die Anhänger der Glaubensgemeinschaft in der Geschichte immer wieder als "heimliche Teufelsanbeter" verleumdet und verfolgt worden sind – zuletzt in von den Fanatikern des so genannten Islamischen Staates (IS).

Der IS-Angriff auf die Jesiden im Sindschar-Gebirge im August 2014 hat etwa 5.000 Menschen das Leben gekostet, tausende Frauen und Mädchen wurden verschleppt, vergewaltigt und auf den Basaren von Mossul und Rakka als Sklavinnen verkauft. Jesidische Männer exekutierte der IS massenweise, viele Jungen zwangen die Terroristen in ihre Trainingslager.

Mehr als 400.000 Jesiden sind damals aus ihrer Heimat geflohen. Erst Mitte November 2015 gelang es kurdischen Einheiten aus Syrien und der Türkei, das Sindschar-Gebiet vom IS zu befreien. Bis heute gelten Tausende Jesiden als vermisst.

Weiterhin Schutz für geflüchtete Jesiden

Redner aller Fraktionen sprachen sich dafür aus, Jesiden auch weiterhin in Deutschland Asyl-Schutz zu gewähren. Zugleich sollten die Rückkehr Geflüchteter in ihre Heimat ermöglicht und Familien zusammengeführt werden.
In dem Antrag wird die Bundesregierung zudem aufgefordert, die Möglichkeit zu einer internationalen politischen Konferenz zur Sicherheit und zum Wiederaufbau der noch großteils zerstörten jesidischen Heimatorte am nordirakischen Sindschar-Gebirge zu prüfen.
In Deutschland soll ein Archiv- und Dokumentationszentrum zu dem Thema gefördert werden sowie ein interdisziplinärer Lehrstuhl. In Asylverfahren soll die andauernde Verfolgung von Jesiden anerkannt werden.

Zentralrat der Jesiden spricht von "historischem Tag"

Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland sprach von einem historischen Tag. Jetzt müsse die Sindschar-Region schnell wieder aufgebaut werden, erklärte die Zentralratsvorsitzende Zemfira Dlovani in einem Facebook-Post. "Ezidinnen und Eziden gehören nicht in Zelte oder Camps, sie gehören in ihre Heimat."
Derzeit leben internationalen Beobachtern zufolge etwa 300.000 Jesiden in Flüchtlingslagern unter zum Teil desolaten Verhältnissen.

Tekkal: Mehr als ein symbolischer Akt

Auch die deutsch-jesidische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal begrüßte die Entscheidung des Bundestags. Die Anerkennung des Genozids sei mehr als nur ein symbolischer Akt, sagte Tekkal, die Gründerin der Menschenrechtsorganisation Hawar ist.
Es ist eine Heilung. Denn nichts wünschen sich die Überlebenden mehr als Gerechtigkeit, dass die Welt ihr Leid sieht und die Täter bestraft werden.
Düzen Tekkal
Die Organisation forderte, dass die humanitäre Lage der Jesiden im Irak verbessert und der Genozid strafrechtlich international verfolgt wird.
Bei der Debatte im Bundestag war auch das weltliche Oberhaupt der Jesiden, Hazim Tahsin Saied Beg, zu Gast, der sich derzeit mit einer jesidischen Delegation zu Besuchen in Berlin aufhält.

Jahrelang hat der IS Syrien und den Irak terrorisiert. Ermittlungen zeigen nun: Ehemalige Dschihadisten und Kriegsverbrecher leben mittlerweile mit neuen Identitäten in Europa.

21.10.2022 | 43:24 min

Tausende Jesiden getötet und verschleppt

Am 3. August 2014 hatte der IS jesidische Dörfer in der Sindschar-Region überfallen, Tausende Männer getötet und Frauen und Kinder verschleppt, unter anderem nach Syrien. Die Frauen und Mädchen wurden systematisch vergewaltigt. Etwa 2.700 Jesidinnen befinden sich Schätzungen zufolge noch immer in der Gewalt von Islamisten in der Region.
Laut deutschem Verfassungsschutz sind seit 2012 auch mehr als 1.050 Deutsche in die IS-kontrollierten Gebiete gereist, um für die Dschihadisten zu kämpfen. "Auch daraus leitet sich eine Verantwortung Deutschlands ab", heißt es in dem Antrag. Die Befassung des Parlaments geht auf eine Petition zurück.

Etwa 200.000 Jesiden in Deutschland

Im Petitionsausschuss sprach im Februar 2022 der jesidische Petent Gohdar Alkaidy über das Anliegen, die IS-Verbrechen als Völkermord anzuerkennen. Er verwies dabei auch auf die Tatsache, dass in Deutschland die größte jesidische Diaspora-Gemeinde weltweit beheimatet ist. Etwa 200.000 Jesidinnen und Jesiden leben in der Bundesrepublik.
Sehen Sie hier ein Porträt der jesidisch-kurdischen Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal:

Ihr großes Engagement macht sie zum Vorbild für Viele.

10.12.2022 | 30:15 min
Quelle: epd, KNA