: Warum Pistorius bei Soldaten gut ankommt

von Nils Metzger
17.06.2023 | 12:30 Uhr
Boris Pistorius will die Bundeswehr umkrempeln. In der Truppe kann er damit punkten. Aber ist die Beliebtheit von Dauer? So denken Soldaten über ihren Minister.

Bis 2031 will die deutschen Armee um rund 20.000 Soldaten wachsen – auf dann 203.000. Doch Personalmangel gibt es auch ganz akut.

17.06.2023 | 01:38 min
Laut ZDF-Politbarometer ist Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) seit Monaten der beliebteste Politiker Deutschlands. Und auch in der Bundeswehr selbst hat mit dem Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums (BMVg) ein Stimmungswandel eingesetzt.
Unter Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) schien das Haus teils kurz vor der Meuterei. Im Wochentakt wurden kritische Papiere an Medien weitergereicht. Nun scheint stille Geschäftigkeit zu dominieren. Die Umsetzung der Zeitenwende drängt. Wie viel davon liegt am Minister selbst?

Welche Veränderungen kamen unter Pistorius?

Pistorius verordnete seinen Beamten Tempo und Kreativität bei der Beschaffung und tauschte eine ganze Reihe an Köpfen bis hoch zu Generalinspekteur Eberhard Zorn aus. Die Büros der BMVg-Leitungsebene wurden radikal verkleinert, stattdessen kam ein zentraler Planungs- und Führungsstab zurück. Das Ziel: Komplexität bürokratischer Prozesse vereinfachen. Dafür gab es im April parteiübergreifendes Lob.

Deutschlands beliebtester Politiker heißt aktuell: Boris Pistorius. Erste Bilanz des neuen Verteidigungsministers: Er kommt gut an - innen- wie außenpolitisch. Wie macht er das?

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Unter Lambrecht kam häufig die Frage auf, wo die von der Bundeswehr benötigten Bestellungen bleiben - für an die Ukraine abgegebene Fahrzeuge und Munition etwa. Nun werden immer mehr Verträge unterzeichnet. Beim Haushaltsausschuss des Bundestags liegen weitere Beschaffungsvorlagen zur Genehmigung. Laut "Spiegel"-Informationen will das BMVg bis Jahresende 72 solcher Projekte mit Kosten von über 25 Millionen Euro bewilligen lassen. Das wäre Rekord, 2022 waren es nur 23.
So einen Tempozuwachs allein Pistorius zuzuschreiben, wäre jedoch zu einfach. Das viel gescholtene Beschaffungsamt BAAINBw in Koblenz verweist darauf, dass man zu keiner Zeit untätig gewesen sei. In teils frustrierend langsamer Abstimmungsarbeit muss das Amt jede Beschaffung über Monate vorbereiten. Wenn jeder dieser Schritte auch nur etwas hakt, summiert sich das auf. Auch darum wird jetzt von oben Kreativität befohlen.

Die "Berlin direkt"-Doku geht den Fragen nach, ob und wie sich das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zur Bundeswehr durch den Krieg in der Ukraine verändert hat.

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Was denken Soldaten über diese Veränderungen?

Der Gesamtvertrauenspersonenausschuss (GVPA) ist eine Art militärischer Personalrat und vertritt die Interessen der Soldatinnen und Soldaten beim BMVg. Dario Blenich ist im GVPA für die Mannschaftsdienstgrade verantwortlich. Zu den Veränderungen unter Pistorius sagt Blenich ZDFheute:
Dem Verteidigungsminister ist es in kurzer Zeit gelungen, die größten Problemfelder in der Organisation zu erkennen.
Dario Blenich, GVPA beim Verteidigungsministerium
"Neue Helme, Rucksäcke und weitere Ausrüstungsgegenstände kommen in spürbaren Stückzahlen zur Truppe. Das merkt jeder einzelne Soldat und jede einzelne Soldatin unmittelbar", sagt Blenich.
Zwar verweist Blenich pflichtbewusst auch auf die Vorarbeit unter Lambrecht. Betont dann aber die Nähe zur Truppe, die Pistorius früh gesucht habe. Lambrecht wirkte bei Truppenbesuchen oft hölzern und distanziert.
Viel intensiver als unter seiner Vorgängerin ließen Pistorius und seine Staatssekretäre sich vom GVPA über "scheinbar kleine Themen" informieren, etwa zu unnötig komplizierten Verfahren bei der Förderung von Personal, betont Blenich. "Ich empfinde seine Kommunikation als sehr direkt und ehrlich - wenn etwas nicht umgesetzt werden kann, dann kommuniziert er auch offen die Gründe."

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, hält einen sehr viel höheren Verteidigungsetat als bisher diskutiert für dringend geboten: Bei zwei Milliarden Verteidigungsetat mehr verhungert die Zeitenwende.

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Bundeswehr muss moderner Arbeitgeber werden

Ein besserer Umgang mit den Beschäftigten ist dringend nötigt. Personalprobleme seien künftig die größte Herausforderung für die Bundeswehr, warnen Blenich und andere Experten. Das Militär konkurriert mit der Industrie um eine überschaubare Zahl an technischen Fachkräften - und kann oft deutlich weniger zahlen.
Man müsse sich noch viel mehr auf die Berufszufriedenheit konzentrieren; es seien mehr flexible Arbeitszeitmodelle nötig, mehr Möglichkeiten, um Kinder und pflegebedürftige Angehörige versorgen zu können, so der GVPA-Vertreter. "Leider gibt es vereinzelt noch immer die 'Kalten Krieger' die gerne die Uhr komplett zurückdrehen wollen."
Wir müssen ein positives Betriebsklima schaffen, bei dem sich alle Menschen wohl fühlen, wo Diversität als Bereicherung gesehen wird, weil sich alle mit ihren unterschiedlichen Hintergründen und Fähigkeiten einbringen können.
Dario Blenich, GVPA beim Verteidigungsministerium

Kommunikation in die Truppe hat sich verbessert

Im Januar sprach ZDF frontal mit einem Bundeswehr-Offizier über den schlechten Zustand und die Frustration der Truppe. Damals berichtete er: "Es müsste langsam Alarm geschlagen werden. Oder wir nehmen uns bei der Nato zurück und konzentrieren uns auf uns selbst. Um langfristig eine Bundeswehr zu schaffen, die nicht immer aus Scheiße Gold produzieren muss."

Die Bundeswehr steckt in einer Krise: defekte Panzer, fehlende Munition, frustrierte Soldaten. Ministerinnen und Minister wechselten, die Probleme aber wuchsen.

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Rund ein halbes Jahr später sieht der Offizier manche Verbesserungen: "Pistorius hat schon wichtige Dinge angestoßen. Aber am Ende kommt es auf das Geld und die Kultur innerhalb der Bundeswehr an. Wir erleben jetzt bald im Mittelbau große Personalprobleme, die sich über Jahre aufgebaut haben und die er allein nicht lösen kann. Wie bei allen Ministern wird man die Ergebnisse erst in vier bis fünf Jahren sehen können."
Auch er verweist darauf, dass Pistorius gut ankomme in der Truppe:
Pistorius ist halt ehrlich und sagt Dinge, die Soldaten verstehen. Aber da ist vermutlich bei älteren Soldaten noch eine Schippe Sexismus dabei nach drei Verteidigungsministerinnen.
Anonymer Offizier der Panzergrenadiere

Verteidigungsminister mit Meme-Potenzial

Was Pistorius ebenfalls hilft, ist die bunte Welt der Bundeswehr-Memes. Mit beißendem Humor kommentieren Soldaten in den sozialen Medien die Absurditäten ihres Alltags. Und sie haben ihren "Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt" (IBuK) als Motiv entdeckt - nicht als Witzfigur, sondern als ironisch überzeichneten Über-Minister, der im Alleingang die Bundeswehr kampfbereit macht.
Bundeswehr-Meme über Pistorius
Eine bessere PR in die Truppe hinein kann sich Pistorius kaum wünschen. Und sie sei Zeichen einer echten Beliebtheit, berichtet ZDFheute ein Soldat, der regelmäßig solche Bilder erstellt. "Positive Memes, die auch von anderen geliked werden, kommen nicht einfach so."
Von ZDFheute angefragt, ob der Minister die Memes über sich im Netz wahrnehme, teilt das BMVg mit: "Natürlich nimmt Minister Pistorius Aussagen und auch Stimmungen in der Truppe und außerhalb der Streitkräfte wahr." Solche unterschiedlichen Wertungen seien "nicht nur Ausdruck der Vielfalt und der grundgesetzlich verankerten Freiheit der Meinungsäußerung, sondern auch einer starken Demokratie", so eine Sprecherin.

Fällt die Zeitenwende dem Bundeshaushalt zum Opfer?

Jenseits aller kommunikativen Stärken basiert Pistorius Ruf noch viel auf Vorschusslorbeeren; der Hoffnung, dass er bei der Zeitenwende liefern kann. Und da wuchsen zuletzt auch Zweifel - genährt durch einen Bundeshaushalt, der nur wenig Spielraum gibt. Das 100 Milliarden Euro Sondervermögen reicht bei Weitem nicht aus für alle Probleme.
"Zeitschleife statt Zeitenwende - die Bundeswehr bleibt in der strukturellen Unterfinanzierung", titeln die Sicherheitsexperten Christian Mölling und Torben Schütz in einer Analyse von Donnerstag. Sollten in der Folge Berichte über Materialprobleme, Mangelversorgung und Monster-Bürokratie wieder zunehmen, wird das auch auf die Beliebtheit des Ministers abfärben.

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