: Jüdische Restaurants: "Wir sind nicht sicher"

von Ninve Ermagan
15.06.2024 | 18:16 Uhr
Einnahmeverluste, Drohungen, Polizeischutz: Das ist Realität für manches jüdische Restaurant in Deutschland. Ein Lokal musste schließen, ein anderer Inhaber möchte auswandern.
Israel-Boykott und Anschlagsaufrufe der Hamas gegen jüdische Lokale haben ein Klima der Angst geschaffen. (Archivbild)Quelle: Imago
Dramatische Einnahmeverluste, ständige Drohungen und ein permanenter Bedarf an Polizeischutz - das ist die bedrückende Realität für einige jüdische und israelische Restaurants in Deutschland. Der Boykott israelischer Lokale hat seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober ein solches Ausmaß angenommen, dass in der Folge ein Restaurant schließen musste und andere Besitzer darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen. ZDFheute hat mit Betroffenen gesprochen.
Am 6. Juni verkündete das Restaurant "Bleibergs" in Berlin-Wilmersdorf auf Facebook: "Aufgrund der Ereignisse vom 7. Oktober" bleibt das Lokal dauerhaft geschlossen. Nach 20 Jahren habe man diesen schweren Entschluss gefasst.
Seit dem Wiederaufflammen des Nahost-Konflikts zwischen Israel und der Hamas bleiben hier die Gäste aus. "Die Einnahmen sind sehr schlecht und wir haben in diesen acht Monaten Verluste von über 80.000 Euro", berichtet der Besitzer Chaimi Fröhlich im ZDFheute-Gespräch.

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel erleben Juden in Deutschland offenen Hass. Die Zahl antisemitischer Vorfälle hat sich deutlich erhöht.

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Restaurant zieht nach Anfeindungen um

Normalerweise sei das ein gut besuchtes Lokal, ein beliebter Anlaufpunkt für Touristen, doch mittlerweile hätten "die Menschen Angst, in ein Restaurant mit einer jüdisch-orthodoxen Ausrichtung zu gehen." Zahlreiche jüdische und israelische Touristen fühlen sich nicht mehr sicher in der Hauptstadt und verbringen ihren Urlaub in anderen Ländern, konstatiert Fröhlich.
Aufgrund zahlreicher antisemitischer Anfeindungen hat auch das israelische Restaurant "DoDa’s Deli" in Friedrichshain den Beschluss gefasst, seinen Standort nach Wilmersdorf zu verlegen. In der Nähe einer jüdischen Synagoge erhofft sich das jüdische Paar Raz Rivlin und ihre Frau Jenny Rivlin mehr Schutz.
Was zu Beginn des Gaza-Kriegs mit noch harmloseren Aktionen wie "Free Palestine"-Stickern an den Wänden ihres Restaurants anfing, eskalierte zu einer zunehmend bedrohlichen Situation, als eines Tages mehrere Männer die an den Fenstern hängenden Plakate der Hamas-Geiseln mit Bierflaschen beworfen haben.
In einen Tisch im "DoDa"-Deli wurde "Fuck Israel" und "Free Gaza" eingeritzt.Quelle: ZDF

Boykott-Aufrufe, negative Bewertungen: "Wir müssen weg"

Als später "Free Gaza, Fuck Israel" in die Tische des Lokals geritzt wurde, fasste das Paar nach drei Jahren den endgültigen Entschluss:
Wir müssen hier weg. Wir warten nicht bis es noch schlimmer wird.
Raz Rivlin, Besitzerin von "DoDa’s Deli"
Anfeindungen, Boykott-Aufrufe, negative Bewertungen - all das habe sich bis zu diesem Punkt vor dem Lokal abgespielt. "Dass es jemandem gelang, in unser Restaurant zu kommen und zu vandalieren, machte uns Angst."

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Die Besitzerinnen sind schockiert über den Hass, der ihnen entgegenschlägt: "Wir repräsentieren nicht die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung."
Wir wollen doch nur gutes Essen zubereiten und Menschen damit glücklich machen.
Raz Rivlin, Besitzerin von "DoDa’s Deli"
Doch die Realität sieht anders aus: "Viele Menschen haben sich von uns abgewandt, machen uns für das Leid in Gaza verantwortlich und unterstützen eine antisemitische Boykott-Kampagne gegen uns." Besonders im Netz hagelt es seit Monaten negative Bewertungen, berichten die Besitzerinnen.

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Jüdischer Gastronom möchte Deutschland verlassen

Der immer wiederkehrende Vorwurf laute: "Ihr habt palästinensische Gerichte gestohlen." Darüber kann Raz Rivlin nur lachen: "Manche glauben, dass Falafel und Hummus eine Erfindung der Araber sei." Diese Gerichte sind jedoch in allen Küchen Vorderasiens, der Levante und Nordafrikas weit verbreitet.
Doch dieser Antisemitismus zeigt sich nicht nur in der deutschen Hauptstadt. In Frankfurt am Main sieht der jüdische Gastronom Nir Rosenfeld keine andere Wahl, als Deutschland in Zukunft zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Anrufer, die "Scheiß Juden" ins Telefon schreien und fragen: "Kocht ihr mit Gas?" haben seiner Familie als Nachkommen von Shoa-Überlebenden gezeigt: "Wir sind hier nicht mehr sicher."
Das jüdische Gastronomenpaar Nir und Sigal Rosenfeld überlegt aufgrund des grassierenden Antisemitismus, Deutschland zu verlassen.Quelle: ZDF
Die negativen Google-Bewertungen für sein vegan-israelisches Restaurant Kuli Alma häufen sich - und seit mehr als einem halben Jahr meiden viele Gäste sein Lokal, da sie nicht bei "Genozid-Unterstützern essen" wollen.
Eine Frau fragte uns sogar: "Unterstützt ihr Genozid?" und selbst als ich ihr klarmachte, dass wir nur für Frieden sind in Nahost, sagte sie das Catering ab.
Nir Rosenfeld, jüdischer Gastronom aus Frankfurt
Diese Haltung suggeriere: "Die Juden sind an allen Problemen Schuld."

Umsatz geht um die Hälfte zurück

Der Israel-Boykott und die Anschlagsaufrufe der Hamas gegen jüdische Lokale haben ein Klima der Angst geschaffen, was sich in den Zahlen widerspiegelt: Der Umsatz ist laut Rosenfeld teilweise um 50 Prozent zurückgegangen.
Ich bin sehr traurig, dass jüdische Veranstaltungen nur noch mit viel Polizeipräsenz stattfinden. Und warum? Weil unser Leben angegriffen wird.
Nir Rosenfeld, jüdischer Gastronom aus Frankfurt
Kürzlich habe er ein Catering in einer Synagoge gemacht, und erschreckend festgestellt: "Dort waren mehr Sicherheitsleute als Gäste anwesend". Das Problem sei nicht primär die gefährliche antisemitische Minderheit, sondern die Mehrheit, "die diese Gefahr ignoriert."

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